Jörn Klare geht nach Hause

600 Kilometer zu Fuß in die Heimat

Jörn Klare im Funkhaus von Deutschlandradio Kultur
Jörn Klare im Funkhaus von Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio / Matthias Horn
Von Jörn Klare · 07.03.2016
Was genau ist Heimat? Jörn Klare geht dieser Frage nach - und zwar im wahrsten Sinne. Rund 600 Kilometer wanderte der Autor von Berlin ins Ruhrgebiet, um den Ort zu besuchen, in dem er einst aufwuchs. Hier der erste Teil seiner Reisereportage.
"Ich bin meinem Heimatbegriff näher gekommen" das sagt Jörn Klare über seine Wanderung von Berlin nach Hohenlimburg, wo er seine Kindheit und Jugend verbrachte.
Er entschloss sich zu der Reise, nachdem er - vor einem Umzug in Berlin - darüber nachgedachte, was eigentlich seine Heimat sei. Trotz der dreier Jahrzehnte in seiner Wahlheimat Berlin fühle er sich dem kleinen Ort am Rande des Ruhrgebiets am stärksten verbunden, meint er.

Jörn Klare: Nach Hause gehen. Eine Heimatsuche
Ullstein Verlag, Berlin 2016
244 Seiten, 20 Euro


Der Autor Jörn Klare wandert nach Hause - quer durchs Land.
Der Autor Jörn Klare wandert nach Hause - quer durchs Land.© Foto: Jörn Klare
Hier ist der erste Teil seiner Reisereportage:
"Heimat … Heimat ist für mich alles."
Mit der Fähre geht es bei Ronney über die Elbe nach Sachsen-Anhalt. Dann auf kleinen Wegen die Saale hinauf Richtung Calbe.
"Die DDR war für mich Heimat. Und ich möchte sie nicht missen - im Gegenteil!"
Es ist der achte Tag meiner Wanderung. Gut 150 Kilometer liegen hinter mir.
"Wir haben gefeiert. Heute feiern wir nicht mehr, das ist das Schlimme. Heute feiern wir nicht mehr. In der Nachbarschaft isst jeder heute für sich alleine - das gab es zu DDR-Zeiten nicht."
Gestartet bin ich an meiner Haustür in Berlin. Obwohl ich in der Stadt seit knapp 30 Jahren lebe, musste ich mir vor kurzem eingestehen, dass ich sie nicht als Heimat begreifen kann. Das hat mich irritiert. Was und wo ist denn meine Heimat, fragte ich mich und dachte plötzlich an Hohenlimburg, eine kleine Stadt am östlichen Rand des Ruhrgebiets - das – nun ja - Kaff, in dem ich aufgewachsen bin. Da gehe ich jetzt hin. Noch an die 500 Kilometer sind es auf diesem Weg nach Hause.
"Der Mensch braucht Heimat, wenn er keine Heimat hat … ich sag es mal, dann weiß er nicht, wo er eigentlich ist und wo er hinkommt und wo er hingeht."

Was ist Heimat?

Unterwegs suche ich Gespräche, und wo ich sie finde, frage ich nach Heimat.
"Im Türkischen sagt man: Die Heimat ist eine Bestimmung, ein Schicksal und dem kann man nicht entkommen."
"Heimat ist der Ort, wo ich geboren bin, zu dem ich eine ganz große Zuneigung empfinde."
"Menschlichkeit gehört mit zur Heimat. Das ist ganz wichtig."
Vorbei an einem leeren Spielplatz und Industrieruinen mit eingeschlagenen Fensterscheiben hinein nach Calbe. Das Städtchen liegt schön am Fluss, doch die Fußgängerzone ist so gut wie leer, die meisten Besitzer haben ihre Geschäfte aufgegeben. Selbst der Dönerladen verkauft nichts mehr. Ein Haus hat man halb abgerissen und die Reste einfach stehengelassen. Calbe sieht aus, als hätte man es bei einem eiligen Aufbruch einfach liegen lassen.
"Wir sind eine Stadt, die hochgradig verschuldet ist. Dann kam noch das Hochwasser 2013, das uns den Rest noch gegeben hat."

Vom Leben in einer schrumpfenden Heimatstadt

Uwe Klamm, knapp 60 Jahre alt und Erster Vorsitzender des Heimatvereins Calbe.
"Viele junge Leute haben Calbe verlassen. Wir sind von 18.000 auf knapp 9.000 runter und die Tendenz geht nach unten."
Klamm trägt Jeans und ein quergestreiftes Poloshirt in gedeckten Farben. Ein Maschinenbauer mit Diplom, zurzeit "leider" arbeitslos.
"Ich bin sehr viel in der Welt unterwegs gewesen und habe mich immer wieder gefreut, wenn ich meinen Kirchturm gesehen habe, wenn ich hier zuhause anlanden konnte, und hier in der Heimat wieder sagen konnte: Hallo, hier bin ich! Das ist für mich sehr wichtig."
Bei dem Thema "Heimat" blüht er auf. Er zeigt mir die "Heimatstube", ein Museum zur Geschichte Calbes, das Klamm zusammen mit Gleichgesinnten aufgebaut hat.
Die Historie der Stadt reicht über tausend Jahre zurück. Klamm scheint so gut wie alles zu wissen, was es zu wissen gibt.
"Dieses Weltmännische, wenn ich schon höre: 'Man muss mal in Amerika gewesen sein, man muss mal in London gewesen sein, man muss da gewesen sein…' Das ist alles schön und gut. Aber man muss erst mal hier auf dem Wattenberg gewesen sein, man muss erst mal durch die Saale geschwommen sein, man muss erst mal hier in der Region im Harz."
Weiter Richtung Harz. Meist allein, manchmal mit Begleitung.
Zum Abschied fragte ich Klamm, ob er sich ein Leben ohne Heimat vorstellen könnte. Seine erste Antwort war ein Schlucken.
"Ohne Heimat wäre ich ein bisschen wie ziellos in der Unendlichkeit rum kreisen. Es hat für mich Bodenständigkeit. Wenn es mir schlecht geht, kann ich daraus Kraft schöpfen. Leben ist ja kein Zuckerschlecken mehr."
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