Joël Dicker: "Die Geschichte der Baltimores"

Wenn drei Freunde dieselbe Frau lieben

Portraitaufnahme des Autors Joël Dicker neben einem Bücherstapel.
Ein einmaliger Erfolg ist toll", meint Autor Joël Dicker. Schwieriger sei es aber, ein ganzes Leben als Schriftsteller erfolgreich zu sein. © picture alliance / dpa
Von Irene Binal · 10.05.2016
Vor drei Jahren feierte Joël Dicker mit seinem Erstlingswerk "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" einen Triumph. Nun ist sein nächster Roman erschienen: "Die Geschichte der Baltimores" - ein Familiendrama anstelle eines Krimis, doch mit gleichem Protagonisten wie im vorangegangenen Buch.
Vor drei Jahren feierte Joël Dicker mit seinem Erstlingswerk "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" einen Triumph. Nun ist sein nächster Roman erschienen: "Die Geschichte der Baltimores" - eine Familiengeschichte anstelle eines Krimis. Kann der Roman mit dem Vorgänger Schritt halten?
Schriftstellerischer Erfolg ist eine zweischneidige Angelegenheit. Nach lobenden Kritiken, Lesungen und Interviews stellt sich für den Autor eines Debüts die Frage: Lässt sich der Erfolg noch toppen?
Manche Literaten wie etwa Harper Lee ziehen es in dieser Situation vor, gar nichts mehr zu veröffentlichen, aber für Joël Dicker kommt das nicht in Frage. "Ein einmaliger Erfolg ist toll", meint er, "aber es ist viel schwieriger, ein ganzes Leben lang erfolgreich zu sein".
Und so legt Dicker nun den nächsten Roman vor. "Die Geschichte der Baltimores" heißt er, und obwohl der Westschweizer sich vorgenommen hatte, diesmal etwas ganz anderes zu machen, zeigen sich doch Parallelen zu seinem Erstling "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert".

"Bei 'Harry Quebert' ging es nicht genug um die Charaktere"

Das beginnt schon damit, dass Dicker beim gleichen Erzähler bleibt, bei Marcus Goldman, einem erfolgreichen Schriftsteller, der diesmal keinen Mordfall aufklären muss, sondern sich in seine Familiengeschichte vertieft.
Ein Umzug nach Florida, wo Marcus sich um den Nachlass seines verstorbenen Onkels Saul kümmern soll, sowie die Begegnung mit seiner Jugendliebe Alexandra, rühren die Vergangenheit auf, eine Vergangenheit, in der Marcus mit seinem mittelständischen Elternhaus in Montclair, New Jersey, hadert und sich wünscht, zur Familie seines Onkels in Baltimore zu gehören.
Denn Onkel Saul hat Geld wie Heu, eine charmante Frau, einen hochintelligenten Sohn namens Hillel und einen Ziehsohn, Woody, der nicht nur gut aussieht, sondern auch ein Sport-As ist. Marcus, Hillel und Woody bilden die Goldman-Gang, drei Jugendliche, deren Freundschaft tief und - wie sie meinen - unzerstörbar ist.
Dabei erweist sich Joël Dicker aufs Neue als begabter Erzähler, der den amerikanischen Tonfall sehr genau trifft und sich gekonnt in die Psyche seiner Figuren einfühlt. "Ich hatte das Gefühl, dass es bei 'Harry Quebert' nicht genug um die Charaktere ging", erklärt er in Gesprächen: "Diesmal sollte die Psychologie eine größere Rolle spielen."

Zerrissen zwischen Liebe und Neid, Bewunderung und Eifersucht

Tatsächlich sind die Figuren komplex, zerrissen zwischen Gefühlen wie Liebe und Neid, Bewunderung und Eifersucht. Die Freundschaft der Jungen gerät ins Rutschen, als sich alle drei in Alexandra verlieben, die Adoleszenz treibt sie auseinander, und am Ende steht eine im Verlauf der Geschichte immer wieder angedeutete Katastrophe, die den tiefen Fall der Baltimores nach sich zieht und der nur Marcus halbwegs unbeschadet entkommen kann.
All das ist spannend, mitreißend und berührend, und wäre "Die Geschichte der Baltimores" Dickers erster Roman, man könnte ihn dafür uneingeschränkt feiern.
Im Vergleich mit seinem Vorgänger freilich offenbart das Buch doch einige Schwächen. Die komplizierte Dramaturgie mit mehreren Zeitebenen ist oft nicht ganz überzeugend, mitunter verliert sich Dicker in Nebensächlichkeiten und die Auflösung erscheint zu vorhersehbar.
Joël Dickers Erzähltalent gleicht diese kleinen Minuspunkte aus, aber so ganz kann "Die Geschichte der Baltimores" mit seinem Vorgänger nicht Schritt halten. Doch es bleibt ein Trost: Bei seinem nächsten Roman wird Joël Dicker es wieder ein bisschen leichter haben.

Joël Dicker: "Die Geschichte der Baltimores"
Aus dem Französischen von Brigitte Große und Andrea Alvermann
Piper-Verlag, München 2016, 512 Seiten, 24 Euro

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