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Von Stefan May · 02.04.2013
Berlin ist nicht gerade bekannt für Alpenglühen und Schuhplatteln, dennoch gibt es hier eine Jodelschule - ausgerechnet in Kreuzberg. Die betreibt Doreen Kutzke, gebürtig aus Sachsen-Anhalt. Ihr Unterricht gefällt sogar Österreichern, die das Jodeln eigentlich im Blut haben.
Musik: Erzherzog Johann-Jodler

"Holera Didadeldo
Diridiri Dudeldö
Holeri Dudödeldi
Diri Diri Dodeldu."

Der Erzherzog Johann Jodler ist so etwas wie ein österreichischer Paradejodler. Schon Loriot hat ihn für sein Jodeldiplom in dessen Grundmotive zerlegt. Grundmotive für den Grundkurs sozusagen. Die hohe Schule ist dann das:

Musik: "Jodelparade"

Da will der österreichische Jodeladept hin. Oder hat er andere Ziele, hier im Flachland?

Walter Gesslbauer: "Einfach einmal mich zu überwinden, zu jodeln. Es ist nicht so einfach aus sich selber herauszugehen, jodeln kann man nicht leise, das musst du laut machen. Das ist einfach was Archaisches."

Archaisches, das mag er, der Gast aus Österreich: Walter Gesslbauer, Ende 40, gebürtig aus der Steiermark, IT-Spezialist beim österreichischen Bundesheer in Wien. Es wäre einleuchtend, wenn Berliner zum Jodeln Lernen nach Österreich fahren. Hier aber ist es umgekehrt: Walter Gesslbauer sitzt mir in der Berliner S-Bahn gegenüber, auf der Fahrt zur Jodelschule Kreuzberg.

"Ich habe zu Hause am Abend einmal Fernsehen geschaut und beim Zappen bin ich da irgendwo auf so ein WDR gekommen, auf so einen deutschen Sender, und da habe ich also die Doreen Kutzke in der Sendung gesehen. Und die hat sich dort selber vorgestellt mit ihrer Jodelschule Kreuzberg. Und das hat mir einfach so gut gefallen, die Idee, dass ich mir gesagt habe, das muss ich auch einmal ausprobieren. Und in weiterer Folge würde es mich freuen, wenn ich irgendwann einmal vielleicht den Erzherzog-Johann-Jodler jodeln kann oder den Andachtsjodler, weil die gefallen mir einfach."

Also besuchte Walter Gesslbauer die Homepage von Doreen Kutzke, wohlgemerkt Berlin-Kreuzberg: ein röhrender Hirsch in einer himmelblauen und weißen Landschaft mit spitzen Berggipfeln. Danach entschied er sich für einen Arbeitsurlaub in Berlin: Jodeln lernen in der deutschen Hauptstadt.

Die Jodel-Lehrerin vom Kreuzberg

Die Schule befindet sich in einem von Graffitis verunstalteten Altbau mit abgewetztem Klingelschild in Kreuzberg. Über knarrende Holzstiegen mit rotem Bastläufer gelangt unser Student der Stimmakrobatik in das oberste, das vierte Geschoß. Es ist die Wohnung von Doreen Kutzke.

Die Jodlerin vom kleinen Kreuzberg ist Mitte 30, trägt ein knallrotes Wollkleid, hat ihr blondes Haar straff zurückgebunden und strahlt Fröhlichkeit aus. Keine Spur von volkstümlicher Dirndl-Seligkeit. Doch das ist nicht die einzige Überraschung. Gejodelt wird nämlich nicht nur in den Bergen – je höher, umso bravouröser, wie man gemeinhin denkt.

Doreen Kutzke: "Die Pygmäen jodeln zum Beispiel, oder die Samen ganz im Norden von Schweden und Norwegen, das nennt sich dann joiken. In Afrika gibt es das sogar zur Geistervertreibung. Wir würden das nicht als Jodeln erkennen, weil wir sind halt so einen bestimmten Dreiklang gewohnt beim Jodeln, was sich für uns dann erkennt, so (singt) na-na-na, oder so. Na, das ist so ganz typisch für uns, klingt natürlich da anders, aber die Technik: Alle bedienen die gleiche Technik, diesen Bruch der Stimme."

Da verwundert es dann nicht mehr, dass auch da, wo Doreen Kutzke herkommt, aus einem Dorf in Sachsen-Anhalt, knapp an der thüringischen Grenze, gejodelt wird. Einmal im Jahr treffen sich dort seit vielen Jahren Einzelsänger und Chöre aus der Region zum Jodelwettbewerb. Und so erlernte Doreen schon im Alter von sechs Jahren in der heimischen Kinder-Jodelgruppe das Jodeln.

"Also, als ich angefangen habe zu jodeln, war das auch eher so, dass ich meine Familie ziemlich damit genervt habe: O Gott, mach die Tür zu. Ich habe teilweise Cassetten bejodelt, um die dann zu verschenken zu Weihnachten, frei improvisiert, einfach laufen lassen, dann hört man auch im Hintergrund, wie dann jemand ruft: Das Essen ist fertig! Die waren ziemlich genervt, das weiß ich noch."

Zweite Überraschung: Der Erzherzog-Johann-Jodler ist gar nicht die Königsdisziplin, ja nicht einmal ein Jodler.

Kutzke: "Es ist tatsächlich so, dass die komponierten Jodler ganz oft nicht wirklich was mit dem Jodeln zu tun haben. Ein Komponist, der versucht eine schöne Melodie zu finden, und beim Jodeln braucht man aber immer bestimmte Tonabstände, um die Stimme brechen zu lassen. Es ist ganz selten, dass zwei nebeneinander liegende Töne, dass man die jodeln kann. Es sei denn, genau da ist der natürliche Bruch in der Stimme. Also, man hört es wirklich bei den komponierten Jodlern, dass sie … die sind wunderschön, aber die werden gesungen. Also, alles was man jodeln kann, kann man auch singen, aber nicht alles, was man singen kann, kann man auch jodeln. Weil man die Abstände braucht zwischen den Tönen. (singt) Das war jetzt der einzige Teil, wo gejodelt wird. (jodelt). Also drei Silben habe ich gejodelt jetzt bei diesem Jodler. (jodelt) Hier habe ich jetzt jedes Mal die Stimme brechen lassen, also bei jeder Silbe."

Dritte Überraschung: Jodeln ist keine Hexerei.

"Wenn man die Technik einmal verinnerlicht hat und dann natürlich auch wieder aufrufen kann, also das passiert meistens nach einer Stunde schon. Man muss sich da trauen, ja, das ist ganz wichtig. Dass man sagt, okay, gut, ich verlier jetzt mal alle Hemmungen und lass meine Stimme so klingen und erlaub meiner Stimme, auch unkontrolliert zu sein, und dann, ja, ist wie mit allen Sachen, durch ständige Wiederholung einfach. Wenn man es gerne macht, dann lernt man's auch. Man muss es schon ein bisschen üben, ja."

Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme

Erste Unterrichtsstunde für Walter Gesslbauer. Anfangs geht es noch zu wie im Sprechunterricht: Atemtechnik, dann Lockerung der Gesichtsmuskulatur.

Gesslbauer: "Brrr, Llll …"

Schüler und Lehrerin stehen einander in etwa zwei Metern auf dem Teppich im Wohnzimmer gegenüber. In der Ecke hat sie ein kleines Tonstudio aufgebaut, an der einen Wand steht ein Piano, an der anderen hängt über einer 70er-Jahre-Sitzgruppe eine Weltkarte. Zwischen den Fenstern steht auf einer niedrigen Kommode ein Spiegel. Fürs Jodeln wird erst der Brustton gestärkt.

Kutzke: "Die Stimme einfach bisschen nach vor holen, so von oben nach unten. Ganz leger.

Und dann geht es relativ schnell dahin, dass man erst mal versucht, ich nenn das halt immer so, eine hässliche Stimme zu erzeugen. Weil es hat nichts mit wohlklingendem Gesang zu tun, erst mal."

Die Jodelschule im Wohnhaus – eine Herausforderung für die Nachbarn?

Kutzke: "Ach, die sind ganz cool. Die wissen das, und, also, bis jetzt hat sich noch keiner beschwert. Sind aber auch alles Musiker, also wir gehen uns da schon gegenseitig auf die Nerven." (lacht)

Doreen Kutzke ist selbst ausgebildete Schauspielerin und Sängerin. Sie leitet zwei Chöre. Vor zehn Jahren hat sie mit dem Jodelunterricht begonnen. Walter Gesslbauer ist inzwischen beim Wesentlichen des Jodelns angekommen: Dem Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme.

Die Klientel von Doreen Kutzke ist höchst unterschiedlich. Immer, wenn in der Komischen Oper das Weiße Rössl umbesetzt wird, fährt die neue "Christl von der Post" zum Jodeltraining nach Kreuzberg. Auch wenn nichts an ihrem Haus auf die Jodelschule hinweist, ist sie bekannt, weil sie Jodel-Workshops in einem Ladenlokal in der Nähe abhält. Und da kommen dann auch schon die Berliner Türken aus der Gegend zum Jodelunterricht.

Kutzke: "Ich hatte eine Kindergruppe auch, mit ganz gemischten Kindern also jetzt hier, aus dem Kiez einfach. Bei Kindern ist das eh wesentlich besser. Die sind nicht so belastet mit irgendeiner komischen Tradition, oder die sagen: Woah, das ist ja altbacken, das ist ja volkstümlich. Das gibt’s nicht, das ist dann eher so: Ach, hört sich ja lustig an. Mit denen mach ich dann aber auch, dass wir auf Hip-Hop jodeln."

Walter Gesslbauer tastet sich bereits an seine ersten Jodler heran, Silbe für Silbe. "Jodelschlag" nennt es Doreen Kutzke, wenn rasch zwischen den zwei Registern Brust und Kopf gewechselt wird. Das, was klassische Sänger ängstlich zu vermeiden suchen: dass die Stimme bricht.

Die beiden in der Mitte des Zimmers singen, jodeln sich an, bewegen ihre Körper vor und zurück, er breitbeinig mit in die Hüften gestemmten Armen, sie schwenkt die Arme in die Höhe, steigt nach vorne und wieder zurück. Mit ihrer seltenen Liebhaberei tritt Doreen Kutzke auch öffentlich auf: Beim Country-Jodeln, in Museen und Theatern, bei privaten Feiern.

"Die Bandbreite ist tatsächlich ziemlich groß. Es geht von Noise über wirklich so elektronische Musik, also was auch so Beats betrifft, Hip-Hop-Beats. Aber dass ich mir halt selbst auch so Backing-Tracks zusammenstelle und da improvisier' ich dann halt drauf. Übernächste Woche bin ich in London, 'Welcome Trust' nennt sich die Gesellschaft, die haben so eine Kollektion, wo sie halt auch Veranstaltungen machen, wo sie Wissenschaft und Kunst zusammenbringen. Und da bin ich mit einer Neurowissenschaftlerin, die halt einen Vortrag über Stimme hält: und was passiert mit Stimme physiologisch und psychologisch? Und ich bin sozusagen dann die Jukebox."

Jodeln tut gut

Die Jodellehrerin hat ihrem österreichischen Probanden einen Text in die Hand gedrückt. Nun sieht es wirklich aus wie in Loriots Jodelschule. Doch die Holahis und Holahos geben dem Eleven aus dem Jodelland Österreich offenbar zusätzliche Kraft.

Vom "Jodeltrieb" spricht Doreen Kutzke, der auch den Laien befällt, sobald er auf einem Gipfel steht. Größere Bekanntheit hat die Jodelexpertin durch Einladungen ins Fernsehen erhalten.

"Natürlich geht es da ganz oft auch um diesen Kuriositätenfaktor, dass gesagt wird, okay, da kommt jetzt keine Volksmusiktante, die da sitzt und übers Jodeln erzählt, sondern halt jemand, von dem wir's jetzt erst mal nicht erwartet hätten. Dass da jemand so viel Spaß daran hat, das halt auch weiterzugeben und darüber zu reden. Das ist ganz oft, muss man immer auch ein bisschen aufpassen, dass es nicht so verarscht wird."

Jodeln ist eine ernste Sache, aber man darf und soll auch dabei lachen. Jodeln tut gut, sagt Doreen Kutzke. Jodeln macht gute Laune.

"Das erlebe ich halt auch immer bei den Leuten, die zum Unterricht kommen oder nach den Workshops, dass sie halt echt sagen so: Och Gott, ich hatte da vorhin eine total miese Laune, und jetzt geht's mir total gut: Ich hab richtig geatmet, ich war mal laut, ich hab etwas gemacht, ich konnte über mich selbst lachen – ganz viel Humor auch dabei. Also, das ist wirklich lustig auch. Wenn man dann auch erst mal hört, was dabei rauskommt, natürlich muss man da lachen, ja.

Dann habe ich angefangen mich zu beschäftigen: Wo gibt's das überall auf der Welt? Aus welchen Gründen gibt's das? Ist das nur eine Kommunikationsvariante, oder ist das ein Hirtenruf? Warum ist das entstanden, warum gibt's das in Afrika? Warum gibt's das in Sibirien? Warum gibt's das bei den Innuit und so weiter? Und das ist ja wirklich sehr interessant, was man da alles erfährt. Und deswegen wird's langsam missionarisch für mich, dass ich ... Ich möchte mehr darüber wissen, und ich möchte es auch gerne teilen. Weil ich fasziniert bin davon."

Schließlich holt Doreen Kutzke ein Zither-ähnliches Gerät vom Klavierhocker, eine Auto-Harp aus der Countrymusik und begleitet den Schüler aus Österreich. Dadurch wirkt der Vortrag gleich viel professioneller.

Nach der ersten Lektion sitzt Walter Gesslbauer in einem Café und zieht bei einer Apfelschorle Zwischenbilanz.

"Also, das Jodeln da mit der Doreen, also das hat also den Körper mehr oder minder aufgeweckt. Ich war munter, ich war - und auch das, was sie gesagt hat - ich war happy. Also Jodeln macht happy."

Die Überwindung, in einer Wohnung laut aus sich herauszugehen, hat ihm gut getan. Dennoch war die eine Stunde fürs erste genug, denn er hat sie auch als körperlich anstrengend empfunden, immerhin hat er einiges gelernt in der kurzen Zeit.

Gesslbauer: "Das Wichtigste ist ja, dass einmal … Was ich gelernt habe, ist, dass man zwischen Brust- und Kopfstimme einfach keinen Stopp macht, sondern, dass das wirklich fließend rübergeht. Und mit dem, was ich momentan noch zum Kämpfen hab', ist, ich würde das bezeichnen, ist das Jodelvokabular. Nämlich mit O, I – also was passt besser für die Kopfstimme, was passt besser für die Bruststimme, und damit die Konsonanten, die sich damit gut verbinden lassen."

Rundum zufrieden

Wohlan, Tag zwei des Jodelkurses in Berlin-Kreuzberg. Heute geht es Walter Gesslbauer schon deutlich lockerer von der Hand, im Duett mit Doreen Kutzke.

"Das können wir noch einmal machen, ja machen wir beide. Die haben wir so brav geübt. Ja."(Jodeln)

Nach zwei Stunden ist Walter Gesslbauer ein souveräner Jodler - und seine Lehrerin ist zufrieden.

"Super geschlagen. Also, ganz großen Respekt davor, dass er irgendwie mutig genug war, das zu machen. Und nicht so kontrolliert, hat gut mitgespielt."

Kurze Zeit später steigt Gesslbauer die steile Holztreppe wieder hinab. Ein Österreicher, der in Berlin jodeln gelernt hat, oder sagen wir eher: kennengelernt hat. Denn anschließend, beim Abendessen im Restaurant, schränkt er ein:

"Ich habe einmal einen Jodelkurs besucht, ich weiß die Grundzüge des Jodelns, worauf's ankommt, ja, aber, dass ich sagen kann, ich kann jetzt jodeln, ich glaube, da muss ich noch ein bisserl üben."

Rundum zufrieden ist er dennoch: Seine Erwartungen seien voll und ganz erfüllt worden, sagt er. Die zwei Stunden seien ein Erlebnis für den ganzen Körper gewesen, und es hat Spaß gemacht.

"Ja, war gut, weil in Wien oder in der Steiermark wäre ich eh nicht gegangen. Die Doreen hat das wirklich toll gemacht. Ich habe nicht geglaubt, dass wir in eineinhalb Stunden in der Lage sein werden oder dass ich in der Lage sein werde, also den Erzherzog-Johann-Jodler so halbwegs hinzukriegen, aber die hat das wirklich toll aufgebaut."

(Gesslbauer und Kutzke, Gesang) "Wo i geh und steh, tut mir mein Herz so weh, um mei' Steiermark, ja, glaubt's mir's g'wiss. Wo das Büchserl knallt, und wo der Gamsbock fallt, wo mein lieber Herzog Johann is'. (Jodeln) Wunderbar. Super. (Gelächter)"
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