Jockeys und ihr Knochenjob

Hungern, Schwitzen, schwere Stürze - alles für den Sieg

Rennbahn Hoppegarten, Beschreibung:Jockey Alexander Pietsch (r) gewinnt am 27.03.2016 in Hoppegarten (Brandenburg) das zweite Rennen auf «Reality» vor Daniele Porcu auf «Rose of Eden». Foto: Bernd Settnik/dpaFotograf:Bernd SettnikQuelle:dpa-ZentralbildBildnachweis:(c) dpaAnbieter:picture alliance / dpaBildrechte:Verwendung weltweitBesondere Hinweise
Jockeys geben alles - hier bei einen Pferderennen in Hoppegarten bei Berlin. © picture alliance/dpa/Bernd Settnik
Von Jesko zu Dohna · 05.03.2017
Für ein paar Minuten Ruhm setzen die "leichten Männer" viel aufs Spiel und riskieren dabei nicht nur ihre Gesundheit: Dennoch bleiben viele Jockeys der Rennbahn ein Leben lang treu. Die Rennen sind wie eine Droge.
Anfang Juni 2016 war der deutsche Jockey Frederik Tylicki noch ganz oben auf. Ende Oktober dann der Schock. In einem Flachrennen auf der Galopprennbahn im englischen Kempton Park stürzte der 31-Jährige in einem Unfall mit vier Pferden dann so schwer, dass er seitdem querschnittsgelähmt ist. Tylicki ist nur eine Beispiel unter vielen. Und nicht nur schwere Stürze wie diese gehören zum Geschäft: Schon bevor es überhaupt in die Startboxen geht, riskieren die Männer viel. Die Rennen sind für sie wie eine Droge.
Trainer John Hillis gibt vor dem Rennen letzte Anweisungen.
Trainer John Hillis gibt vor dem Rennen letzte Anweisungen.© Deutschlandradio / Jesko zu Dohna

Adrenalin sorgt für die Kraft

Sie reiben sich mit Babyöl ein, dann hocken sie in der engen Sauna und schwitzen die letzten Kilos ab. Zweimal 15 Minuten. Schließlich ist es geschafft. 54 Kilo zeigt die Waage in der Jockeystube. Allein Adrenalin muss im Rennen für die Kraft sorgen, die es braucht, die um die 500 Kilogramm schweren Vollblüter ins Ziel zu reiten, am besten als Sieger.
Für das heutige "Nachspiel" hat Jesko Dohna drei Jockeys über Wochen im Alltag und auf der Rennbahn begleitet.
Die Jockeystube in München-Riem vor dem Rennen
Die Jockeystube in München-Riem vor dem Rennen© Deutschlandradio / Jesko zu Dohna
Ein Jockey erschöpft in der Jockeystube. Rechts: Roy van Eck.
Ein Jockey erschöpft in der Jockeystube. Rechts: Roy van Eck.© Deutschlandradio / Jesko zu Dohna
Manuskript zur Sendung:
Jockey Thomas Bitala. Er ist 41 Jahre alt und bekommt leuchtende Augen, wenn er ans Rennreiten denkt.
"Die Masse von Fleisch, das ist das gleiche wie Büffel, wenn die vorbeilaufen die ganze Herde, und das hast du neben dir. Und dann stell dir mal vor, du sitzt da oben. Du hast diese 600 Kilo unter dir hast du unter Kontrolle. Und es wird immer schneller, immer schneller, 60 70 Kilometer. Probier' mal eine Hand rauszuhalten beim Autofahren bei 70. Und du sitzt da drauf, der Wind weht und dein Pferd kämpft mit dir. Und dann hast du Kollegen neben dir, auch ein Pferd, und dann kämpft ihr zusammen."
Thomas Bitala bei der Arbeit. Er steht an diesem Montagmorgen in der engen Box und sattelt Air Attack fürs Training. Der Arbeitstag im Rennstall in München-Riem beginnt für den gebürtigen Tschechen um fünf Uhr. Sechs Pferde muss der kleine Mann an diesem Vormittag für seinen irischen Trainer John Hillis reiten.
Nach dem Warmreiten biegen die fünf Reiter, angeführt von Bitala auf die alte Trainingsbahn ein.
Der Nebel hat sich noch nicht verzogen, als die Vollblüter angaloppieren. Hinten bei den zugewucherten Hindernissen flüchten zwei Rehe. Eigentlich ist es an diesem Morgen hier wie im Paradies, wenn es nicht die Arbeit gäbe: satteln, warmreiten, galoppieren, absatteln, abduschen, striegeln und wieder von vorn. Hartes Training, um im Rennen am Ende die eine Nasenspitze vorn zu sein.
138 Rennreiter wie Thomas Bitala, gibt es in Deutschland. 76 davon sind Jockeys, Berufsreiter. Ihr Job ist es, die 500kg schweren Vollblüter so schnell wie möglich ins Ziel zu reiten. Bis zu acht Mal an jedem Renntag – am besten als Sieger. Um die 55 Kilogramm dürfen die Reiter dabei wiegen. Vertraglich festgelegt. Schon 300 Gramm zu viel kosten Strafe. Vertragsbruch. Um ihr Gewicht zu halten, opfern die Männer viel. Tag für Tag. Hungern, Sauna und Dauerläufe im Schwitzanzug gehören zum Alltag im Galoppsport. Trainer John Hillis erinnert sich:
"Laufen war für mich: Zuerst mit einen Schlafanzug aus Baumwolle, der saugt den Schweiß, dann habe ich einen Plastikanzug über, dann ein oder zwei T-Shirts, einen Jogginganzug, Mütze Handschuhe, und bei 30 Grad gehst du laufen. Dann gehst Du zurück und stellst dein Auto in die Sonne und dann gehst du zurück und liegst in deinem Auto und das Auto war wie eine Sauna. Du sitzt da für 20 Minuten und lässt den Schweiß richtig raus. So habe ich immer 3-4 Kilo abgenommen."
John Hillis sitzt in der Küche im Reitstall. Er ist jetzt 51 Jahre alt. Bis 2007 war er Jockey, erst in Irland, dann in München. 28 Jahre lang schuftete er täglich, um jedes Wochenende wieder die Chance auf den Sieg zu haben. 450 Mal schaffte er das. Über 5000 Mal saß er dafür im Sattel. Eine erfüllte Karriere auf den Rennbahnen der Welt. Gegenüber von John sitzt Thomas Bitala und schlingt ein Wurstbrot hinunter. Er genießt es zu essen. Für ihn ist es die erste Saison ohne Rennen. Vor 25 Jahren, mit 16, fing er in Prag an - und ist immer dabei geblieben. Seit diesem Jahr ist er im Ruhestand, mit 41 Jahren. Und hat seitdem sofort 15 Kilo zugenommen. Jetzt hilft er bei Hillis im Stall aus.
"Feierabend. Ich will ausschlafen. Ich hatte mein Leben lang nie sonntags frei. Umso älter man ist, umso schwerer wird es, das Gewicht zu halten. Und umso schwerer wird es sich selbst dazu zu animieren. Wenn man jung ist, sagt man: 'Rennreiten, ich mach alles dafür, ist mir egal, auch wenn ich auf allen vieren nach Hause krabbel' jeden Tag. Das ist mir wurscht."
Der Jockey: Für Hillis und Bitala ein Traumjob. Einer, für den sich die Quälerei lange lohnte. Der Ablauf ist immer der Gleiche seit 200 Jahren, ob in England oder Hong Kong. Am Sonntag nach den Rennen wird noch zu Abend gegessen, dann von Montag an geht das Hungern wieder los. Eine Hand voll roher Eier im Glas, mit einem Löffel Glucose heruntergespült, ein paar Tassen Tee und viele Zigaretten – so hangeln sich die leichten Männer durch die Woche.
"Vier Stunden Sauna, ein normaler Mensch kann das nicht verstehen. Du gehst rein für 30, 35 Minuten. Kommst raus. Zehn Minuten Pause, hast einen kleinen Drink, meistens habe ich immer Prosecco oder etwa so was. Kreislauf. Und bringst das alles wieder hoch. Gehst du wieder rein."

53 Kilogramm bei einer Körpergröße von 1,72 Meter

Mit 1,72 Meter war John Hillis eigentlich schon fast zu groß für den Sport. Umso mehr musste er in der Woche kämpfen, um sich immer wieder auf 53 Kilogramm Renngewicht zu bringen. Sein Folterinstrument Nummer eins dafür war die Sauna, doch irgendwann lohnte es sich dann alles nicht mehr.
"Ich hab' aufgehört als Rennreiter, weil mein Körper mir auch gesagt hat, es ist jetzt genug. Ich saß in der Sauna. Ich musste 300 Gramm zwischen Rennen wieder runternehmen, da habe ich gesagt: Es ist Ende."
Antrieb für jeden Jockey ist die Liebe zu den Tieren. Aber mehr noch dieses eine Gefühl, wie sie das nennen, wenn die Pferde mit Schaum vorm Mund in vollem Galopp über die Ziellinie jagen, das sich noch potenziert, wenn sie dann gewinnen. "Hyper off"- Rennreiten nennt John Hillis diesen Zustand, den jeder junge Reiter erlebt, und der dann zu der Sucht seines Lebens wird.
"Das ist einfach der Kick, ist der Kick, wenn Du in die Zielgerade reinkommst und schnallst mit der Zunge und dein Pferd beschleunigt unter dir, die 500 Kilogramm und strengen sich an: Das ist wie Fliegen, das ist unbeschreiblich dieses Gefühl."
"Deswegen machen wir das eigentlich. Im Grunde genommen Adrenalin-Kick. Um das geht’s."
Auf das Verhältnis kommt es an. Es muss sich lohnen, für diese fünf bis acht schönen Momente am Sonntag. Manche halten 30 Jahre aus, doch irgendwann erwischt es jeden. Der Körper spielt nicht mehr mit, der Wille ist nicht mehr da. Was den beiden Pensionären fehlt hat Roy van Eck noch. John Hillis lernte den 21-Jährigen letztes Jahr in Baden-Baden kennen. Seitdem reitet der Niederländer für den Iren.
Am Morgen des Renntages ist Roy van Eck um 7 Uhr aufgestanden. Ist schon drei Kilometer gelaufen. 800 Gramm fehlen jetzt noch. Und noch das halbe Kilo für die Cola, die er eben getrunken hat. Cola ist besser als Wasser, sagt er. Da ist wenigstens noch Zucker drin. Es ist 10 Uhr. Van Eck steht in der holzvertäfelten Jockeystube in München. Das alte Holz knarzt. Es riecht nach Sauna. In drei Stunden, wenn die Rennen beginnen, wird es nach Männerschweiß, Pferd und Muff stinken. Die bunten Trikots und Kappen aus Seide hängen an den Haken über den Holzkisten von 1897. Van Eck gleitet in den Schwitzanzug, zieht Trainingsanzug und Regenjacke darüber. Draußen sind es 35 Grad.
"Jetzt geh ich dann Laufen, jetzt ist die Sonne da. Durch die Sonne schwitzt du ganz schnell. Ich geh jetzt eine Runde Laufen, und wenn ich meinen Kopf in der Sonne bin, da hinten bei den 300 Meter, dann sprinte ich mal hier bis ins Ziel, eigentlich wie die Rennpferde. Und dann gehe ich einfach und dann schwitzt du alles voll."
Immer kleiner wird van Eck, verschwindet fast. Hinten beim Start sieht man ihn nur noch als blauen Punkt vor den Büschen. Nach 10 Minuten kommt er wieder, außer Atem. Der Schweiß läuft die Wangen herunter, auf seiner Schläfe pulsiert eine dicke Ader. Gramm für Gramm rinnt das Wasser jetzt in den Anzug.
"Du siehst jetzt, wie mein Körper rot wird, jetzt gehe ich schwitzen. Eine Runde ist jetzt vielleicht 1800 bis 2000 Meter. Das bin ich gewohnt von zu Hause, aber durch die Klamotten fange ich jetzt an zu schwitzen und dann ist Gewicht verlieren eigentlich kein Problem. Dann hast du sicher 500 Gramm verloren."
Zurück in der Jockeystube reibt sich van Eck mit Babyöl ein, dann läuft der Schweiß noch schneller. 800 Gramm muss er noch. Zweimal 15 Minuten sitzt er in der engen Sauna, dann steigt er nackt mit seinem sehnigen Körper auf die Waage. Geschafft. Der Niederländer ist an jedem Sonntag immer der erste in der Stube, am liebsten ist er dann ganz allein mit sich und seinen Qualen.
"Ich muss viel arbeiten für mein Gewicht, aber wenn Leute das sehen, denken sie, der Junge muss so viel arbeiten für sein Gewicht, ist der Junge fit für heute Mittag? So hab' ich es lieber, dass sie das nicht sehen. Ich mach' morgens mein Ding. Und dann ziehe ich mich zu Hause schön an, komme auf die Rennbahn, dusch' mich, sehe fit aus. Und die Leute denken, der Junge ist immer am Gewicht, der macht sich immer nett. Das sieht netter aus, als wenn die Leute hier reinkommen und sehen, wie ich schwitze und aus der Sauna komme. Das finde ich nicht nett, ich will gerne nett für die Besitzer aussehen."
Noch eine Stunde bis zum Start. Inzwischen ist es laut geworden. Ein dichtes Stimmengewirr: italienisch, englisch, französisch. Die älteren Jockeys hocken in der Sauna, schwitzen. Es ist immer das Gleiche, Thomas Bitala kennt das:
"Aber du bist sowieso schon am Limit so ausgequetscht, wie ein Schwamm ausgedrückt und dann hast du noch eineinhalb Kilo zu machen. Das ist eine Katastrophe, für einen Jockey."

Vor dem Rennen hat jeder Jockey sein Ritual

Andere polieren die gelackten Reitstiefel aus Kunstleder, die wirken wie Attrappen, so federleicht sind sie. Alles, was die Reiter tragen, inklusive Sattel und Sturzhelm, wiegt 1,2 Kilo. Er streift die wattierte Schutzweste über den nackten Körper, steigt barfuß ohne Unterwäsche in Stiefel und weiße Nylonhose. Klemmt die kleine Peitsche unter den Arm. Roy van Eck ist stolz dabei zu sein. Mit einem Grinsen sitzt er auf seiner Kiste. Vor dem Rennen hat jeder Jockey sein Ritual. Van Eck kontrolliert den Sattel, ein anderer sitzt stoisch da, blickt ins iPad. Einer, der Italiener, sitzt aschfahl am Fenster, zieht gierig an einer Zigarette und starrt ins Leere. Um kurzfristig leistungsfähig zu sein und das Hungergefühl zu unterdrücken, greifen manche Jockeys zu Hilfsmitteln. Topjockeys wie Andrasch Starke wurden mit Kokain erwischt. Die Rennordnung verbietet zwar Drogen und Alkohol und kontrolliert die Reiter auch sporadisch, aber das Ganze fällt nicht unter Doping, das gilt nur für Pferde.
"Aber es gibt auch Leute, die so tief gehen, die gehen an die Drogen dafür, und das passiert und das ist schade, aber du musst mal sehen, wie schwer es ist und wenn du das jeden Tag machen musst und es morgen wieder machen musst, ich will nicht sagen, das ich das verstehen kann, weil es ist einfach blöd wenn du das machst, aber wenn ich sehe wir schwer es ist, wenn er heute acht Ritte hat und morgen wieder, dann kann ich eigentlich doch verstehen, dass Leute mal Sachen suchen die es allen leichter machen."
Die Männer sprechen nicht gern über das Thema. Sie wissen aber auch, wie verlockend es sein kann, die Qualen mal für ein paar Stunden zu vergessen und ein bisschen mehr Kraft zu haben. Thomas Bitala:
"Ja, es passiert schon immer wieder, doch, doch, ist leider so. Aber du machst nur Fehler, dass du auch mal vergisst, deine Qualen."
Noch fünf Minuten bis zum Start. Am Führring prüfen verschwitzte Zocker mit einem letzten Blick ihre Siegchancen, notieren sich ihren Geheimtipp. Unter den mächtigen Eichen spürt van Eck langsam wie das Adrenalin in ihm aufsteigt. John Hillis redet auf ihn ein: letzte Instruktionen, aufbauende Worte.
Noch ein kurzes 'Hals und Bein', ein Blick zum Besitzer, dann werden die leichten Männer in den Sattel gehoben. Die Jockeys haben jetzt nur zwei Minuten, ein Gefühl für das unbekannte Pferd zu bekommen: Was kann meins, was ist drin im Rennen? Im Galoppsport sind die Pferde die Stars. Der Rennreiter macht höchstens fünf bis zehn Prozent der Gesamtleistung aus.
Die Jockeys galoppieren über die Grasbahn zum Start. Mit ruhigen Worten transportieren kräftige Männer die Rennmaschinen in die Startboxen. Vor Nervosität steigt ein Pferd, der Reiter kann sich gerade noch halten. Van Eck auf Air Attack wird als letzter in seine Box geschoben.
Kraftvoll spritzen die 13 Pferde, Huf an Huf, aus den Boxen. Hinter der Tribüne läutet eine Glocke.
Wettschluss, nichts geht mehr. Air Attack und van Eck sind Favorit, 41 für 10 Euro Einsatz für die Siegwette.
Air Attack scheint heute gut aufgelegt zu sein heute. An zweiter Position geht er in den Schlussbogen. Die Chance ist da. Van Eck wird energisch, wild rudert er mit den Armen, beide Hände an den Zügeln, die Peitsche zwischen den Fingern. Es sieht gut aus. Die Pferde biegen auf die Zielgerade ein, immer schneller werden sie jetzt. Van Eck, Bitala und Hillis: Alle wissen, was bei Geschwindigkeiten von 70km/h alles passieren kann. Die Reiter stehen in den kurzen Bügeln, den Pferderücken nur zwischen ihren Knöcheln. An jedem Renntag folgt der Krankenwagen dem Pulk der Rennpferde im Inneren der Bahn.
Rückblende: 2. Juli 1994, Rennbahn Hamburg-Horn: Im Rennen um den Coca-Cola-Preis biegt Ron Hillis, kleiner Bruder von John, wie van Eck jetzt, in die lange Gerade ein. Als plötzlich das Pferd vor ihm einem anderen in die Haxen läuft. Innerhalb einer Blitzsekunde stürzt Ron mit seinem Pferd darüber.
"Er hat direkt mit seinem Kopf den Boden getroffen. Sein Helm war kaputt. Er hat sehr viel Glück gehabt. Er war schon tot am Boden und Dr. Peter Wind, er hat Ron gerettet auf der Bahn. Er hat die Luftröhre oder was aufgemacht mit seinem Kugelschreiber, dass er wieder Luft und alles kriegt."
Johns Bruder wird mit Kopfverletzungen ins Krankenhaus geflogen. Schwebt in Lebensgefahr. 20 Tage liegt er im Koma. Danach hat er nur noch einen Tunnelblick und muss seine Karriere beenden. Hillis reitet in dieser Zeit weiter Rennen, auch für seinen kleinen Bruder. Jeder Jockey weiß, du kannst das größte Rennen der Welt gewinnen, und morgen liegst du querschnittgelähmt in einem Krankenwagen. Von jeder Verletzung bleibe ja was, sagt Thomas Bitala, so unterernährt kuriert man Brüche nicht richtig aus.
Angesprochen auf die Gefahr reagiert er mit Trotz: "Durch die Angst lass ich mich nicht beeinflussen in meinem Leben. Angst wird einfach ausgeschaltet. Aus die Maus. Wenn was passiert, passiert was. Angst ist immer nur zusammenkrampfen, das ist falsch, immer falsch. Aber ich arbeite sowieso weiter. Ist mir egal, wenn der Arzt sagt, wenn ich mich verletze, Rippen gebrochen, drei, vier Rippen, reite ich weiter einfach, darf ich halt nicht so viel durchatmen oder mach meine Weste lockerer. Man reitet weiter, du reitest einfach weiter, weiter, weiter. Weil es Spaß macht."
Kurz vor dem Ziel gibt Roy van Eck seinem Pferd die Peitsche, einmal, zweimal. Vergebens. Air Attack kann nicht mehr mithalten. Fällt zurück. Von hinten fliegen vier Pferde an ihm vorbei.
Die Pferde laufen am Zielspiegel vorbei. Party Freak gewinnt sicher. Air Attack unter van Eck werden ein paar Pferdelängen dahinter nur Sechster. Das Pferd leidet an diesem Tag unter der Hitze. Der siebenjährige Wallach hat Heuschnupfen. Nichts zu machen, auch nicht für den besten Reiter. Aber man weiß ja nie vorher.
In der Jockeystube wankt van Eck in Trance zum Kühlschrank in der Ecke. Im nächsten Rennen, in dem er wieder Sechster wird, darf er 500 Gramm mehr wiegen. Schnell stürzt er zwei Red Bull herunter, schnappt nach Luft.
"Der Kreislauf ist unter Druck gewesen. Und jetzt zwei Red Bull, dann ist das gleich in einer Stunde wieder normal."
Van Eck hat Krämpfe in den Beinen. Wenn das Adrenalin nach dem Einlauf weg ist, stürzt ein Jockey schon mal noch im Ausgalopp ohnmächtig vom Pferd.
"Das ist mir einmal passiert, aber das passiert kein zweites Mal, dann weißt du wo deine Grenze ist. Damit musst du aufpassen, weil das gefährlich sein kann, sehr gefährlich."
Ex-Jockey Thomas Bitala: "Es gibt keinen Jockey glaube ich, welcher noch nie zusammengeklappt ist, weil es einfach sein Körper übertrieben hat. Weil du gehst immer an die Grenze ran. Und dann, wenn irgendwas passiert, dann: zu heiß, zu wenig getrunken, Kreislauf, Bumm."

75 Euro Sattelgeld bekommt der Reiter pro Rennen

Zweimal sechster Platz? Dann hat man eigentlich alles umsonst gemacht. 75 Euro Sattelgeld bekommt der Reiter pro Rennen. Das verdoppelt sich bei einem Sieg auf 150 Euro, plus 5 Prozent der Gewinnsumme. Im letzten Rennen sind das bei 2600 Euro Preisgeld für das Siegerpferd gerade einmal 280 Euro für den Gewinner, minus Spesen. Reich werden nur die wenigsten Topjockeys, aber selbst die haben oft finanzielle Probleme nach der Karriere und arbeiten weiter im Sport. Wer, seit er Teenager ist, nichts als Pferde im Kopf hat, auf den hat eben mit 45 keiner mehr gewartet.
Thomas Bitala weiß noch nicht, wie lange er bei Hillis im Stall arbeiten wird: "Meine Zukunft weiß ich noch nicht. Ich lass das auf mich zukommen einfach. Es macht mir immer noch Spaß, mit den Pferden zu arbeiten, aber Rennen wahrscheinlich nicht mehr. Ich weiß, dass ich auch was anderes machen kann. Ob das Taxifahren ist, oder irgendwas anderes, ich werde auf jeden Fall das machen, was mir Spaß macht."
Van Eck bekommt eine rosa Flasche billigen spanischen Cava für seinen sechsten Platz. Als sogenannter Herrenreiter ist Roy van Eck mit seinen 62 Kilogramm zu schwer für die besten Pferde. Trainer John Hillis gibt ihm trotzdem die Chance, für ihn in Profirennen mit den Jockeys zu starten. Denn der 21-Jährige hat großes Talent. Die Einnahmen, die er hat, gehen direkt an den Amateurverband. Das er trotzdem immer wieder antritt und sich genauso durch die Woche quält, bringt ihm den Respekt der alten Jockeys ein:
"So viele Junge Männer wie er, die so viel Liebe und auch noch Talent mitbringen, gibt’s nicht viele von. Und die sind dann noch mehr oder weniger bestraft, weil sie einfach zu schwer werden. Das ist traurig, ist das."
Andreas Helfenbein ist mit 49 Jahren der älteste Jockey im Geschäft. Unter Kollegen gilt er als schwierig. Vor den Rennen macht er aufwendige Dehnübungen und sitzt stoisch auf seiner Kiste und meditiert.
"Und dann gibt es so viele junge Leute die nichts im Kopf haben und nur Blödsinn und kein wirkliches Interesse am Sport haben und denken mit Beginn der Lehre, die sind die Größten. Habe ich ganz viele gesehen und kennengelernt, die sieht man heute alle nicht mehr."
Nur wenige jüngere Menschen haben heute den Biss und die Leidenschaft, eine Karriere als Rennreiter einzuschlagen. In den letzten Jahren hat sich ihre Zahl in Deutschland halbiert. Tendenz fallend.
"Wenn du einem Jungen sagst - mit 15 Jahren, 'Jetzt gehst du in den Stall und mistest aus und kehrst zusammen und das machst du jetzt für ein halbes Jahr, bist du auf einem Pferd sitzst', dann sagt der 'Weißt du was, da such ich mir was anderes. Wo bin ich denn hier? Mist und Scheiße zusammenputzen, und dann soll ich mein Leben lang nicht fressen? Du kannst mich mal!'"
Thomas Bitala macht sich Sorgen um seinen Sport. Das mit 650.000 Euro dotierte Derby in Hamburg ist zwar Deutschlands wichtigstes Pferderennen, aber im internationalen Vergleich eher schwach dotiert. Früher waren die Wetteinsätze bundesweit höher. Auch bei Veranstaltungen in der Woche. Heute droht vielen Rennvereinen das Aus.
"Wenn ich sag 'Ich bin Jockey', dann fragt der 'Was ist das?' Sagt der: 'Ist das DJ oder? Discjockey, ja?' Weil das die Leute nicht wissen."
"Es ist irgendwie untergegangen alles. Alte Menschen kommen noch, die Zocker. Es müssen ja nicht alle für 500 Euro oder Hunderter kommen. Es reicht ja wenn sie für einen Zwickel wetten. Mit Zwei Euro fieberst du genauso mit. Es geht ja nicht ums Geld, es geht um das Gefühl. Schönes Abendessen oder Picknick auf dem Gras mit der Familie. Du zischst ein, zwei Bierchen da mit der Familie, schaust zu und es ist schön."
Trotz des Niedergangs des Sports würden John Hillis und Thomas Bitala jungen Leuten immer dazu raten Jockey zu werden:
"Es können sehr, sehr wenige Menschen auf der Welt sagen: 'Ich geh' gerne in die Arbeit, Ich arbeite wirklich gerne, ich liebe meinen Job.'"
"Wenn du kämpfen kannst, dann mach das, wenn du Weichei bist, dann lass es: Dann wirst du nicht froh."
Als Roy van Eck am Abend Sattel und Schwitzanzug verstaut, freut er sich auf einen gemütlichen Abend. Wenn er jetzt alles in sich hineinschlingt und für drei isst, dann kann er nicht schlafen und hat Schmerzen. Morgen muss er schließlich wieder fit sein. Dann geht er in Nimwegen wieder in die Uni und berät Leichtathleten, wie man sich richtig ernährt.
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