Jim Rakete

Die Kinoleidenschaft eines Fotografen

Der deutsche Fotograf Jim Rakete.
Der deutsche Fotograf Jim Rakete. © picture alliance / dpa / Emily Wabitsch
Moderation: Patrick Wellinski · 02.08.2014
Nach Dominik Graf, Iris Berben und Katja Eiching zeigt der Fotograf Jim Rakete im Filmmuseum Frankfurt seine persönlichen Lieblingsfilme. Im Gespräch verrät er, warum "Außer Atem" von Jean-Luc Godard seine erste Wahl war.
Patrick Wellinski: Was im Kino läuft, das entscheiden meist andere. Uns bleibt da lediglich die Entscheidung, was davon sehen wir uns an und was nicht. Aber einmal die freie Wahl haben und selbst entscheiden, welche Werke auf die Leinwand gehören – ein Privileg, das sicherlich viele wünschen, aber die wenigsten die Möglichkeiten dazu bekommen.
Und das Filmmuseum Frankfurt macht es aber dann doch einmal im Jahr möglich.Einen Monat lang darf ein Glücklicher seine ganz persönlichen Lieblingsfilme dem Frankfurter Publikum zeigen. Diese Carte Blanche, so heißt die Reihe, durften bisher Dominik Graf, Iris Berben oder Katja Eichinger füllen, dieses Jahr kommt ein Mann hinzu, den die Welt der Bilder auch sehr nah ist: der Fotograf Jim Rakete, den ich jetzt ganz herzlich bei uns im Studio begrüße. Willkommen!
Jim Rakete: Ja, guten Tag!
Wellinski: Neun Filme haben Sie ausgesucht, die dann den ganzen August über im Filmmuseum Frankfurt gezeigt werden. Es heißt, "Außer Atem" von Jean-Luc Godard sei ihre erste Wahl gewesen – warum?
Rakete: Mir hat vor allen Dingen imponiert der interessante Einsatz der Mittel. Wenn man gar keine Mittel hat und man ist dann angewiesen auf hochempfindliches Filmmaterial und sagt, Lampen haben wir leider keine dabei, fängt man die Welt an anders zu sehen. Und der Grundtenor des Films war, er wollte eine Geschichte erzählen – das ist eine ganz kleine Gangstergeschichte –, und er wollte da raufgucken wie auf eine Reportage. Und so hat er's gedreht.
Also im Grunde genommen ist es so, die Kamera folgt der Handlung, die Kamera weiß die Handlung nicht vorweg. Da gibt's dieses wunderschöne Bild, wie die blutjunge Jean Seberg mit 19 Jahren auf dem Champs-Élysées irgendwie den "Herald Tribune" verkauft, und das hat Raoul Coutard gedreht, indem er die Kamera in einen Postzustellungswagen stellte und ein Fenster reinschnitt. Und dann fuhr er immer diesen Postzustellungswagen hinter dem Pärchen her.
Wellinski: Wenn wir jetzt auf die ganze Auswahl Ihrer Filme blicken – ein paar sollte ich natürlich jetzt erwähnen – "Schießen Sie auf den Pianisten" von François Truffaut, "Außer Atem" von Godard haben wir erwähnt, "Winterschläfer" von Tom Tykwer ist auch dabei, "Die Sieger" von Dominik Graf, "Die zwölf Geschworenen", "Klute" von Alan J. Pakula –, da fällt einem auf, eine gewisse Linie ist zu erkennen: Es gibt Schwarz-Weiß-Filme und Farbfilme. Eine bewusste Entscheidung?
"Neue Generation von Regisseuren ist damals ans Ruder gekommen"
Rakete: Da hab ich komischerweise keine Sekunde dran gedacht, weil mich immer die Erzählform am meisten fasziniert hat. Also wenn wir jetzt so ein Kammerspiel nehmen wie "Die zwölf Geschworenen", da kam im amerikanischen Fernsehen und im Film plötzlich auf eine neue Generation von Regisseuren, die sich aus dem Theater rekrutierten. Warum waren die so wichtig plötzlich Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre?
Es war so, dass die richtig guten Stücke, die verfügbar waren, nur für Theater zur Aufführung gedacht waren. Und wenn eine Fernsehanstalt wie CBS oder NBC nun diese Stücke aufführen wollte, dann kriegte sie die Rechte, die Aufführungsrechte nur für eine Live-Theaterperformance. Und deshalb mussten diese jungen Regisseure damals umgehen damit, dass sie eine fertige Inszenierung live übertragen mussten. Zeitsprünge, Ortssprünge, die auf der Bühne stattfinden mussten, da konnte ja kein Vorhang sein, sondern die mussten mit großer Fantasie überbrückt werden, und eine ganz neue Generation von Regisseuren ist damals ans Ruder gekommen – die Schlesingers, die Frankenheimers oder die ... –, die alle diese Erfahrungen hatten.
Wellinski: Wenn man Ihnen jetzt zuhört, hört man die Leidenschaft für das Kino. Nehmen Sie uns doch mal mit in Ihr Leben: Welche Rolle spielte das Kino für Sie?
Rakete: Ja, es spielte immer eine ganz große Rolle. Das Kino kann ja ganz viele gesellschaftliche Entwicklungen vorweg ahnen, es geht um mit dem Unbehagen, was wir alle vor einer ungewissen Zukunft haben, und so sind im Kino schon ganz früh Spuren zu finden über Dinge, die wir heute erst beim Namen nennen können. Also die ganze NSA-Psychose, unter der wir heute leiden, die ist ja im Grunde genommen im Kino schon längst vorweggenommen worden durch Filme wie "Staatsfeind Nr. 1" oder durch andere Phänomene.
"Sehr geheimnisvolle Schauspielerinnen"
Wellinski: Man bekommt schon den Blick von Ihnen recht gut vermittelt, dass Sie auf das Neue achten, auch durchaus auf das Technische, also auf die Frage, wie wurde etwas gemacht oder warum hat mich so etwas begeistert, aber gibt es vielleicht auch generell bei Ihnen Plotkonstellationen, die Sie besonders in Kinofilmen reizen?
Rakete: Ja, die gibt's. Ich glaube, dass es zwei Sachen gibt, die mich ganz besonders faszinieren. Das eine ist das Verschwinden, das andere ist der Verrat. Also diese beiden Sachen, die stecken im Kino ganz tief drin, und die findet man immer wieder, leichter als im Theater merkwürdigerweise, aber ich sehe das in den modernen Stoffen – in Deutschland zum Beispiel tun sich Leute schwer damit.
Wellinski: Sie sind bekannt als Porträtfotograf, da scheint es einem fast klar, dass Sie auch auf Filmgesichter achten, also zum Beispiel auf Jane Fonda in "Klute" oder auf Emmanuelle Beart in "Ein Herz im Winter". Sind das für Sie schöne Gesichter?
Rakete: Ja, aber unbedingt. Es sind beides richtige Ikonen, finde ich, und sehr geheimnisvolle Schauspielerinnen. Und wenn man sich die Lebenslinien anguckt von diesen beiden Schauspielerinnen, das könnte Bücher füllen. Also ich finde es unglaublich, was die gemacht haben und in welcher Abfolge sie Dinge gemacht haben und wie beide mit ihrem attraktiven Äußeren auch zu kämpfen hatten in ihrer Karriere.
Der Fotograf Jim Rakete signiert ein Plakat mit dem Konterfei des Schauspielers Moritz Bleibtreu.
Der Fotograf Jim Rakete signiert ein Plakat mit dem Konterfei des Schauspielers Moritz Bleibtreu.© picture alliance / dpa / Jens Wolf
Wellinski: Wie in der Fotografie ist auch im Film eigentlich alles in erster Linie Licht, Licht und Schatten natürlich – was ist eigentlich das perfekte Licht für Menschengesichter?
Rakete: Zum Gutaussehen oder zum Glaubwürdigmachen?
Wellinski: Ha, das ist eine sehr gute Frage, fangen wir mal mit zum Glaubwürdigmachen an.
Rakete: Also wir sitzen hier gerade in einem Radiostudio, und zur einen Hälfte fällt Tageslicht rein, zur anderen Hälfte ist hier so eine künstliche Beleuchtung von der Decke. Würde man im Film nicht unbedingt wählen oder im Foto auch nicht, wenn man ein Gesicht glaubwürdig machen will, weil man ist eigentlich immer besser beraten, eine Lichtquelle zur Hauptlichtquelle zu erklären.
Also ich muss die Situation, in der Licht entsteht, ich muss die glauben, ich muss die Reflexe glauben, ich muss die unterschiedlichen Farbtemperaturen glauben. Jetzt haben wir aber so'n ... sind wir dauernd eigentlich in solchen Radiostudios unterwegs, wir sind dauernd in Situationen, in denen so die Wirklichkeit ein bisschen weggeleuchtet wird, und diese Art von Mischlicht, wie wir die jetzt in der ganzen städtischen Umgebung haben, ist nicht besonders glaubwürdig, wenn ich sie auf einem Foto verewige oder wenn ich sie in einen Film packe. Also da muss man dann eigentlich wieder zeigen, wer Herr im Haus ist, in diesem Fall wäre das das Tageslicht, was zum Fenster reinfiele, was man verstärken müsste, und das andere müsste man ganz stark abschwächen.
"Marlene Dietrich sprach immer von ihrem Nordlicht"
Wellinski: Und für das Schönaussehen?
Rakete: Fürs Schönaussehen ist eigentlich die Lichtachse das Entscheidende. Also Marlene Dietrich sprach immer, wenn sie mit Sternberg redete, von ihrem Nordlicht, die sagte immer, mach mir mein Nordlicht. Weil sie sich diese Hohlwangigkeit erzielt hatte, indem sie sich ihre Backenzähne irgendwie hat ziehen lassen, fiel das Licht immer bei ihr so auf diese schönen Wangenknochen und verursachte diesen Katzenschatten. Und das ist, würde ich mal sagen, ein richtig tolles gültiges Rezept geblieben.
Wir sind jetzt ein bisschen weg vom ausgeleuchteten Porträt der 30er, 40er, wir sind jetzt eigentlich in einer sehr viel naturalistischeren Betrachtung, dafür gibt's aber leider wie gesagt dieses große Problem, dass wir dauernd alles rumschönen. Selbst im Fernsehen sehen wir eigentlich kaum noch ein nicht retuschiertes Bild.
Wellinski: Ist das vielleicht auch der Grund, warum – wenn man auf Ihre Filmauswahl draufguckt – Hollywood eigentlich fast nicht stattfindet, außer jetzt zwei New-Hollywood-Filme? Ist für Sie vielleicht Hollywood so eine Art Feindbild, weil Sie ja in Ihrer Arbeit auch hinter die Fassade blicken, und Hollywood ist in erster Linie und für Ewigkeiten immer Fassade?
Rakete: Ja, aber auch ne Fassade erzählt doch wahnsinnig viel über denjenigen, der dahinter ist. Ich habe eigentlich nie meine Aufgabe darin gesehen, irgendjemand zu enthüllen, sondern ich wollte ihm eigentlich immer zeigen, wer er ist. Wenn ich jetzt auf Fotosessions gucke, die ich einigermaßen okay finde von den Sachen, die ich gemacht habe, sind es immer Bilder, die so sind, wie man die Leute erlebt, wenn sie einem gegenübersitzen eigentlich. Das reicht mir eigentlich, weil ich die Leute ja interessant finde. Ich finde ja nicht mein Bild von den Leuten interessant, sondern ich find die Leute interessant.
Wellinski: Wie finden Sie eigentlich Darstellungen von Fotografen im Film, also wenn man jetzt auf die Inhalte guckt, kommen wenige vor, bis auf ein sehr bekanntes Fotoshooting in Klaus Lemkes "Sylvie", das auf den Twin Towers stattfindet in New York und die Kamera schraubt sich entlang hoch. Wie sehen Sie Ihren Job auf der großen Leinwand?
"Handwerk im Film ist immer furchtbar zu beobachten"
Rakete: Ja, schrecklich, also immer ... Handwerk im Film ist immer furchtbar zu beobachten, weil man dann doch ganz oft sieht, dass die Leute mit dem Werkzeug nicht so richtig gut umgehen können. Also da muss man wirklich viel üben, bis man ein Skalpell so hält wie ein Chirurg oder bis man einen Pinsel so hält wie ein Maler.
Wellinski: Abschließend noch eine Frage: Sie sind ein sehr haptischer Mensch, wenn man weiß, wie Sie arbeiten – stört es Sie eigentlich, dass nicht alle Ihre Filme in Frankfurt auf 35-mm-Filmformat projiziert werden, sondern einige auch digital?
Rakete: Na ja, ich meine, das ist wirklich eine Schaden-Nutzen-Abwägung. Wenn man Kino zukunftsfähig halten will, kommt man um die digitale Leinwand überhaupt nicht drumrum. Die stehen ja vor demselben Dilemma wie wir Fotografen mit dem schwindenden Filmmaterial. Die müssen sich darauf einstellen, und das gilt eigentlich für alle Kinos.
Das Kino an sich aber, also ein Ort, an dem sich Menschen versammeln, sich konzentrieren, sich zusammen was angucken und ein Gemeinschaftserlebnis haben von einer Geschichtenerzählung, das finde ich unschlagbar als gesellschaftlichen Ort. Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn jetzt die letzten Kinos zumachen würden, die letzten Programmkinos, dann wäre der, der am meisten darüber heulen würde, wäre ich.
Wellinski: Jim Rakete, vielen Dank für Ihre Zeit und vielen Dank für Ihren Besuch bei uns im Studio!
Rakete: Ja, sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.