"Jesus: ein Radikaler im öffentlichen Dienst"

Rezensiert von Thomas Kroll · 12.12.2005
In "Die Bibel. Was man wirklich wissen muss" erklärt der studierte Theologe Christian Nürnberger komprimiert das Buch der Bücher. Der streitbare Publizist konzentriert sich auf Themen wie Schöpfung und Jesus und die Kirche. Sein Jesus-Kapitel trägt den Titel "Jesus: ein Radikaler im öffentlichen Dienst".
Sie gilt als die Grundlage der europäischen Kultur, zählt zur Weltliteratur, war und ist Welt verändernde Literatur: die Bibel. Ein Buch, ohne das man vieles nicht versteht. Ein Buch, das heute viele nicht verstehen. Grund genug für Christian Nürnberger, die wichtigsten Inhalte des Alten und Neuen Testaments für heutige Leserinnen und Leser zu erschließen.

"Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde". Der erste Vers der Bibel ist allseits bekannt. Weniger bekannt hingegen dürfte sein, wie viel Sprengstoff dieser Satz enthält. Nürnberger, studierter Theologe, verdeutlicht dies mit Seitenblicken auf die Schöpfungsmythen der benachbarten Kulturen des alten Israels. Da ist von zahlreichen Göttern die Rede, denen nichts Menschliches fremd ist. Da ist von Menschen die Rede, die von den selbstverliebten Göttern selten Gutes erwarten dürfen. Ganz anders die Stoßrichtung des ersten der beiden biblischen Schöpfungsberichte. Ein Gegenmythos, eine Revolution.

"Das ganze mythologische Personal samt zugehörigem Fundus ist wie altes Gerümpel auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. ... In heutige Sprache übersetzt waren ... die alten Mythen nichts weiter als in die Länge gezogene Actionthriller, die durch ihre unaufhörliche Aneinanderreihung von Mord und Totschlag, Katastrophen und Groß-Zaubereien auf Dauer doch etwas ermüden."

Der nüchterne Text der Bibel von der Erschaffung der Welt in sechs bzw. sieben Tagen verdeutlicht: Die Welt ist Welt, kein Tummelplatz der Götter. Die Sterne beispielsweise sind simple Leuchten am Firmament, keine Götter, denen man opfern muss. Himmel und Erde sind für den Menschen da, nicht umgekehrt.

"Und der Mensch hat eine von Gott verliehene und darum unantastbare Würde. Jeder Mensch hat sie, nicht nur Könige und Kaiser. Welt und Natur sind weltlich ... Göttlich ist allein Gott. Er, dem niemand dreinreden kann, erschafft die Welt nach seinem Plan. ... Was er will, spricht er aus. Was er spricht, geschieht. Niemand kann es ihm verwehren. Und außerdem ist er den Menschen herzlich zugetan."

Es bahnt sich eine Liebesgeschichte an, die in ihrem weiteren Verlauf von vielen Tiefs und Hochs gekennzeichnet ist – auf beiden Seiten. In deren Verlauf sucht und findet Gott immer wieder Menschen, die über sich selbst hinauswachsen. Freiwillige wie Abraham, Moses und David, die Gottes Plan vom Gelingen menschlichen Lebens folgen und für andere erfahrbar machen.

Wer die Bibel auf gut 200 Seiten vorstellen und erschließen, interpretieren und kommentieren möchte, muss auswählen. Nürnberger konzentriert sich auf fünf Themenkreise: Schöpfung, Abraham, Exodus, Jesus und die Kirche. Zwangsläufig kommt manches zu kurz: Kein Wort zu den Psalmen, und die Prophetenbücher sind nur minimal aufgenommen. Einiges hingegen wird ausgiebiger bedacht und einem gewinnbringenden, kritischen Wiederlesen unterworfen: so die Erzählung von der Bindung Isaaks und von der Glaubensprüfung Hiobs.

Sprachwitz und pointierte Formulierungen lenken die Aufmerksamkeit auf die roten Fäden, die die vielfältigen biblischen Geschichten durchziehen und miteinander verbinden. Dabei ist der Autor stets darauf bedacht, die Bedeutung der Bibel für Entwicklung und Verständnis der europäischen Kultur nachzuweisen. Die Befreiungsbewegungen der Moderne, Parole und Programm der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit –, undenkbar ohne die Bibel.

"Ich weiß nicht, ob Gott existiert, aber die biblischen Geschichten sind für mich in sich so schlüssig, so modern und revolutionär, dass sie mir auch ohne den Glauben an Gott viel geben können. Die ganze abendländische Geistesgeschichte, zum Beispiel die Aufklärung, wurzelt ganz tief in der Bibel."

Christian Nürnberger bezeichnet sich selbst als Agnostiker. Von daher mag es nicht verwundern, dass der streitbare Publizist sein knapp 40-seitiges Jesus-Kapitel – "Jesus: ein Radikaler im öffentlichen Dienst" – mit dem Blick auf den am Kreuz Gescheiterten enden lässt. Von der Auferstehung zunächst kein Wort. Vielmehr unternimmt Nürnberger im an und abschließenden Kapitel den Versuch, das Entstehen der Kirche, das weitere Agieren der Jesusjünger ohne die "Hypothese Auferstehung" zu erklären. Das liest sich gut, wird aber nicht jeden überzeugen. In diesem Zusammenhang findet man auch die eine oder andere kirchenkritische Bemerkung, nicht zuletzt die bedenkenswerte These:

"Dreihundert Jahre lang sind ... [die Christen] den Weg gegangen, den Jesus lehrte. Das von ihnen angehäufte Glaubenskapital reichte für anderthalb Jahrtausende. Jetzt ist es weg und muss neu produziert werden."

"Die Bibel. Was man wirklich wissen muss"
Christian Nürnberger

Rowohlt Berlin 2005, 222 Seiten, € 16,90