Jesuit Christian Herwartz

Der Heilige in der Kommune über dem Punkerlokal

Eine Bettlerin streckt in der Innenstadt von Frankfurt am Main einem Passanten ihre Hand entgegen.
Nichts besitzen, das ist das Ideal der Jesuiten. © picture-alliance/ dpa / Arne Dedert
Von Peter Kessen · 27.12.2014
Speckige Wände, abgewetzte Möbel: In der Jesuiten-Kommune in der Berliner Naunynstraße geht es nicht um Besitz oder Statussymbole, sondern um innere Einkehr in Armut. Christian Herwartz ist einer der Bewohner und das wenige, was er hat, teilt er mit anderen.
"Wir leben gar nicht in dem Niveau, was bürgerliche Menschen in Deutschland anstreben. Also, wir leben zu einfach. Und das ist aber die Voraussetzung um mit Menschen, die in der Gesellschaft am Rande leben, ob das nun Hartz IV, oder Flüchtlinge oder Strafentlassene sind, die leben so wie wir. Und diese Ähnlichkeit hat bewirkt, dass wir dafür offen waren."
Von der Solidarität der Armut erzählt der Jesuit Christian Herwartz in einer kleinen Kammer neben dem Wohnzimmer seiner Kommune. Wie eine alte, niemals renovierte WG wirken die drei Zimmer, abgeschabte Möbel, fettiges Dunkel umrandet die Lichtschalter, verschlissen sind die Handtücher im Bad.
Das Mittagessen steht auf dem Tisch, Hühnerfrikassee. Herwartz setzt sich zu den Mitbewohnern an den großen Esstisch, drei Flüchtlinge aus Afrika, ein Mann aus dem Nahen Osten, eine Katholikin aus dem Schwarzwald und drei ältere Menschen aus Deutschland.
Schnell wechseln die Worte, erst einmal geht es um die Kräuter im Essen und Bob Dylan.
Am Tisch sitzt ein Mann, 65 Jahre alt, Tattoos zieren die Arme, Rock'n'Roll und Priscilla steht auf seiner Haut. Auf seiner Baseballmütze steht sein Name, Rock'n'Rolf. Vor vier Jahren beschloss er seinen Traum wahrzumachen, als Sänger in Berlin, nachdem er über Christian Herwartz gelesen hatte, wollte er nur hier leben, in der Jesuitenkommune über dem Punkerlokal Trinkteufel:
"Für mich, das sage ich wirklich in aller Offenheit, ist Christian mein Heiliger, ich bin nicht streng religiös, aber in Christian habe ich eine Person gefunden, die das vertritt. Es ist so einfach, man muss nur teilen können. Teilen, teilen, teilen. Und das passiert in der Naunynstrasse, ich glaube, dass ist die einsame Insel in Berlin. Hier wird geteilt, und ich teile auch – so gut ich kann."
Ein Unfall führte ihn zu Gott
Am selben Nachmittag sitzt Christian Herwartz mit drei Mitbewohnern aus der WG in der S-Bahn zum Flughafen Berlin Schönefeld. Die Ordensleute gegen Ausgrenzung und ein Unterstützerkreis aus der katholischen und evangelischen Kirche halten vor dem Abschiebegewahrsam für sogenannte "Illegal Einreisende" eine Mahnwache ab.
Christian Herwartz ist 71 Jahre alt, sein Vater war U-Boot Kapitän im Zweiten Weltkrieg. Als junger Mann absolviert er eine Offiziersausbildung bei der Bundeswehr, will Maschinenbau studieren. Ein Unfall bremst ihn. Auf dem Krankenbett liest er ein Buch über die Jesuiten und wird selber einer.
Lange ein linker Arbeiterpriester, arbeitet er 21 Jahre bei Siemens als Dreher und Lagerist. Ende der 70er-Jahre entsteht die Kommune mit ihren drei Wohnungen in der Naunynstraße. Wohl um die 500 Menschen haben hier bereits Schutz gefunden, darunter auch viele Flüchtlinge. Zum größten Teil finanziert von den Renten der Jesuiten.
Herwartz Augen leuchten, wenn er sich jemand anderem zuwendet, aber er spielt keine Kommunikation. Häufig scheint er abzuschalten, fast in sich zu verschwinden. Auf dem Weg zur Mahnwache zieht er sich in der S-Bahn um, sitzt hier im Unterhemd, auf seinen Armen leuchten zwei Tattoos, Geschichten aus der Bibel, über Emmaus und den brennenden Dornbusch. Geschichten von Erweckungserlebnissen, Gott da zu finden, wo man ihn nicht erwartet hatte. Das trage er auf dem Herzen und auf der Haut, erzählt er.
Helfen bedeutet, Grenzen niederzureißen
Gut 30 Menschen stehen im Halbkreis vor dem Flughafen in Schönefeld, hinter dem Zaun ist das Abschiebegewahrsam, in dem jetzt zumeist Asylbewerber leben. Herwartz und die anderen protestieren gegen das spitzfindige Verbot eines Gerichts direkt vor Ort zu protestieren, gegen Abschiebungen, sogenannte Flughafengefängnisse und Asylbedingungen.
Rock'n'Rolf greift zur Gitarre und spielt Bob Dylans Hymne von den Zeiten, die sich verändern. Und Veränderung, das bedeutet für Christian Herwartz ein radikales Bild von der Welt zu haben, einer Welt, in der sich Täter und Opfer klar gegenüberstehen.
"Es ist ja ganz offensichtlich, dass es Kriegsgebiete gibt, aus denen die Menschen fliehen müssen und in denen wir unseren Wohlstand verdienen. Und jetzt kommen die Menschen, die von diesen Waffen getroffen sind, oder deren Strukturen kaputtgegangen sind."
Helfen bedeutet da für ihn, Grenzen niederzureißen. Als ob die Kreuzberger Kommune ein Vorbild für Deutschland sein könne. Darum steht er auch hier, vor dem zukünftigen Flughafen Berlins, der den Namen Willy Brandts trägt.
"Der Flughafen wird genannt nach Willy Brandt, der natürlich illegal nach Schweden eingereist ist, sonst hätte er sein Leben verloren. Der Flughafen heißt Willy Brandt, aber die, die wie Willy Brandt über die Grenze kommen wollen und zu uns, die werden ins Gefängnis gesteckt."
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