Jesper Juul: "Liebende bleiben"

Hier stehen mal die Eltern im Mittelpunkt

Jesper Juul: "Liebende bleiben"
Jesper Juul: "Liebende bleiben" © Cover Beltz Verlag / dpa / picture alliance / Christian Charisius
Von Susanne Billig · 10.02.2017
Wie schaffen Eltern es, ein Liebespaar zu sein, wenn Kinder den Löwenanteil ihrer Kraft fordern, eine Herausforderung die nächste jagt und sich der Rausch der Anfangsjahre verflüchtigt hat? Der Familientherapeut Jesper Juul verrät, wie Eltern "Liebende bleiben" können.
Lange hat der Kinder- und Familientherapeut Jesper Juul in seinen Büchern all die Fragen erörtert, die ein Leben mit Kindern aufwirft. In seinem neuen Buch "Liebende bleiben" stellt er nun die Beziehung derer in den Mittelpunkt, ohne die es gar keine Familie und keine Kinder gäbe: die Eltern. Eine geniale Idee, die zeigt, wie nah der Däne am Zeitgeist dran ist und wie schnell er neue Trends griffig aufgreift. Denn die Zeit, in der sich Eltern ausschließlich als Eltern begreifen, bröckelt. Wie allein der Blick in Zeitschriften wie "Nido" und Co. beweisen.

Familie ist ein unauflösbares Ganzes

Allerdings fällt ihm der thematische Sprung vom Kind zum Elternpaar nicht ganz leicht. Ganz gleich, welche Themen er anschneidet – ob es um die hohen gegenseitigen Ansprüche von Paaren geht, um die innere Emigration so vieler Männer, um Väter oder Mütter mit schweren Krankheiten oder um die Frage, in welchen Situationen eine Trennung angeraten wäre – immer gleitet Jesper Juuls Ideenwelt rasch zu den Kindern und ihrer Beziehung zu Vater oder Mutter. Und so bekommen Leserinnen und Leser hier also keineswegs einen "Paar-Ratgeber pur", sondern für den Therapeuten bildet die gesamte Familie mit allen ihren Mitgliedern ein unauflösbares Ganzes. Darin allerdings hat die Beziehungsqualität der Eltern einen erheblichen Einfluss auf das Wohlergehen der Kinder, betont der Autor.
Wer sich auf diese Voraussetzung einlässt, erhält einen Ratgeber in bewährt guter Jesper-Juul-Manier, in dem sich viele Ideen für Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs oder der schmerzhaften Entfremdung finden. Wie immer bietet der Autor ausführliche Wortprotokolle echter Therapiegespräche mit einem anschließenden kurzen Theorieteil, und es ist spannend, live dabei zu sein, wenn Jesper Juul die teils äußerst verwickelten familiären Situationen mit klugen Fragen wieder auseinander rollt und den Kern der Paar-Schwierigkeiten freilegt.

Wo liegen die eigenen Grenzen?

Seine Lösungsvorschläge haben denselben Tonfall wie in der Kindererziehung: Weniger ist mehr. Zu hohe Ansprüche ersticken. Anstatt krampfhaft zu versuchen, in allen Familienangelegenheiten einer Meinung zu sein, sollten Eltern einander Raum für unterschiedliche Temperamente und Umgangsstile auch mit den Kindern geben – und klar kommunizieren, wo die eigenen Möglichkeiten und Grenzen liegen.
Liebenden, die es bleiben möchten, legt der Autor vor allem eines ans Herz: In Konfliktsituationen nicht nur den Kindern, sondern auch der Partnerin oder dem Partner gegenüber loyal zu bleiben. Doch wie?
Jesper Juul findet am Ende seines Buches zu drei sinnvollen Grundregeln: Niemand kann von einem anderen Menschen verlangen, sich zu ändern oder persönlich zu wachsen – so sehr man sich das auch wünschen mag, es funktioniert einfach nicht. Stattdessen kann man den Partner fragen, in welche Richtung er gehen möchte und welche Unterstützung er sich dabei wünscht. Und schließlich können Menschen nur reifen, wenn sie sich geliebt und anerkannt fühlen – genau so, wie sie sind.

Jesper Juul: Liebende bleiben. Familie braucht Eltern, die mehr an sich denken
Beltz, Weinheim 2017
256 Seiten, 18,95 Euro

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