Jenas OB wirft Union "Verharmlosung" der Rechtsextremen vor

18.11.2011
Jenas Oberbürgermeister kritisiert, CDU und CSU hätten die Gefahr von rechts nicht ausreichend ernst genommen. Die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus bedeute eine Ablenkung und Verharmlosung, sagte Albrecht Schröter.
Christopher Ricke: Der Terror von rechts hat Wurzeln in Jena, in der Stadt, die im Osten eigentlich neben Potsdam und Leipzig eine der besten Adressen ist, einer der Leuchttürme. Der Oberbürgermeister von Jena ist der Sozialdemokrat Albrecht Schröter, der ist seit gestern Abend Träger des Preises für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus. Vergeben wird dieser Preis vom Förderkreis des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Das Schröter diesen Preis bekommt, war schon lange beschlossen, aber natürlich bekommt diese Ehrung in diesen Tagen eine gewisse Symbolkraft. Ich habe mit Albrecht Schröter gesprochen und ihm zunächst zu seinem Preis gratuliert.

Albrecht Schröter: Ja, vielen Dank!

Christopher Ricke: Was bedeutet es denn für Sie und Ihre Stadt, dass Sie diesen Preis ausgerechnet jetzt bekommen?

Schröter: Es bedeutet mir sehr viel, weil natürlich die Diskussionen, die im Augenblick laufen, für uns als Stadt Jena nicht sehr schön sind, obwohl wir auch sagen: Jena hat in den letzten zehn, 15 Jahren sich einen so starken Ruf als Stadt gegen Rechtsextremismus erworben, dass wir uns jetzt von der bloßen Tatsache, dass die drei, die diskutiert werden, aus Jena stammen, auch nicht sonderlich irritieren lassen. Die ganze Angelegenheit ist sehr, sehr unschön und man muss sicher deutschlandweit Schlussfolgerungen ziehen. Ja, das ist der eine Part, und der andere, dass ich mich natürlich sehr, sehr freue über den Preis, ihn aber nicht für meine Person allein annehmen möchte, sondern ich glaube, es gibt ganz viele Menschen in Jena, die ihn verdient hätten, besser verdient hätten als ich, und so möchte ich ihn eigentlich für die Jenaer, die tapferen Jenaer annehmen, die sich aktiv gegen Rechtsextremismus engagieren.

Christopher Ricke: Diese tapferen Jenaer treffen sich immer wieder bei Demonstrationen gegen rechts. Ich habe gehört, dass Sie, wenn Sie an solchen Demonstrationen teilnehmen, extra einen Tag Urlaub nehmen, damit Sie sozusagen nicht im Amt auf die Demo gehen. Warum kann sich denn ein Oberbürgermeister nicht in seiner Dienstzeit gegen rechts stellen?

Schröter: Das ist richtig, manchmal lässt es sich auch nicht vermeiden, aber ich trenne auf jeden Fall folgenden Sachverhalt: Als Oberbürgermeister einer kreisfreien Stadt bin ich Chef der Versammlungsbehörde, als solcher muss ich Neutralität wahren im Versammlungsrecht. In diesem Fall, wenn es also Kollisionen gibt, trete ich die Verantwortung für die Versammlungsbehörde an den zuständigen Beigeordneten ab, damit ich als Oberbürgermeister frei bin, mich auch so zu verhalten und so zu äußern, wie viele Bürger in Jena das erwarten, nämlich politisch, und mich klar an die Spitze auch des Protestes stelle.

Christopher Ricke: Thüringen muss sich in diesen Tagen viel Kritik anhören, zu passiv sei man im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Sind denn die, die gegen den Rechtsextremismus demonstrieren, diese tapferen Jenaer, die Sie beschrieben haben, sind die einsam?

Schröter: Sie waren in den 90er-Jahren einsamer und weniger als heute, das muss man schon sagen, und ich muss auch wirklich aus heutiger Sicht feststellen, dass die, die nicht erschrocken waren in diesen Tagen über das, was da passiert, weil sie geahnt haben, dass so etwas passieren kann und passieren könnte und würde, die waren schon in den 90er-Jahren in Thüringen einsamer. Aber die Zahl derer, die sich engagieren, hat deutlich zugenommen. Dieses Engagement kommt immer mehr aus der Mitte der Gesellschaft, was mich besonders freut, denn es kommt darauf an, viele Menschen zu aktivieren, die auf die Straße zu bringen, sie auch mit kreativen und auch ansprechenden Ideen zum Protest auch zu ermutigen.

Aber in den 90er-Jahren war es tatsächlich so, dass es in Thüringen ein Klima gab, insbesondere durch die Landesregierung und auch durch den Verfassungsschutz, in dem die, die sich engagiert haben, das Gefühl hatten, sie werden wenig gehört oder gar nicht, es wird verharmlost und es wird durch die Gleichsetzung zwischen Links- und Rechtsextremismus im Grunde immer auch eine Art Ablenkung und Verharmlosung betrieben.

Christopher Ricke: Ist das heute aus Ihrer Sicht besser?

Schröter: Ein bisschen, aber nicht wirklich durchgängig, und ich glaube, die Politik muss vor allen Dingen auch lernen. Jetzt ruft man im Augenblick sehr stark nach Aufklärung, man ruft nach NPD-Verbot – ich halte dies übrigens auch für sinnvoll –, man setzt sich kritisch mit dem Verfassungsschutz auseinander, aber es ist auch die Politik gefragt. Und ich muss aus meiner Sicht sagen, dass es in unserem Land eben bestimmte Parteien gibt, die den Rechtsextremismus nicht so ernst genommen haben, wie er genommen werden muss.

Christopher Ricke: Welche Parteien meinen Sie?

Schröter: Ich glaube, dass das vor allen Dingen Parteien aus dem konservativen Spektrum sind, insbesondere CSU und CDU.

Christopher Ricke: Thüringen hat ja nach der Entdeckung der rechten Terrorzelle eine Imagekampagne gestoppt: Man will nicht mehr so für das Land werben wie bisher, weil man einen schweren Imageschaden sieht. Wie groß ist denn der Schaden in der Stadt Jena?

Schröter: Also ich halte die Entscheidung von Matthias Machnig für nicht gut, ich halte sie für überzogen. Ich sehe sie als ein Achtungszeichen, über dessen Bedeutung man natürlich auch sich verständigen kann. Der Imageschaden, den muss man abwarten. Ich glaube schon, dass man jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann, aber was Jena betrifft, sage ich es noch mal: Man kann aus der Tatsache, dass drei Menschen, die schwerste Verbrechen begangen haben, in einer Stadt geboren werden, ja nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass diese Stadt auf alle Ewigkeit damit verhaftet wird, sondern man muss bei Jena wirklich die letzten zehn Jahre, die letzten 15 Jahre des Widerstandes sehen. Und wenn ich heute von Lübeck bis Aachen und München angefragt bin als Oberbürgermeister, um über Erfahrungen im Kampf gegen Rechtsextremismus zu sprechen, zeigt das ja, dass Jena sich eine hohe Achtung, eine hohe Anerkennung erworben hat im Kampf gegen Rechtsextremismus.

Christopher Ricke: Wo kann man und wie kann man diesen Kampf denn am erfolgreichsten führen?

Schröter: Ein Ort ist sicher die Straße, aber das ist eben nicht allein der Ort der Auseinandersetzung. Es ist schon wichtig, dass man die Aufmärsche, Fackelzüge und so etwas einfach dadurch nicht zustande kommen lässt, dass ganz viele Menschen auf der Straße sind und es nicht weitergeht. Aber man muss die Auseinandersetzung natürlich auch in anderen Feldern führen, die nicht so ganz deutlich auf der Hand liegen, und da vollzieht sich einiges schon im Graubereich. Es gibt vereinzelt Meldungen, dass sich Nazis in Kirchenvorstände einschleusen, dass sie in Elternbeiräten von Kindertagesstätten sind, dass sie sich sozial engagieren.

Also es gibt viele Facetten eines, sagen wir mal, weiß gebleichten braunen Geistes in unserer Gesellschaft, von den Einstellungen, die durch Monitore erhoben werden, in der Bevölkerung will ich gar nicht erst reden, auch da gibt es sehr viel Grund, besorgt zu sein. Ich glaube, wir müssen ansetzen, indem wir wieder mehr über die Werte unserer Gesellschaft reden, über die Würde des Menschen und was wir dazu tun können, um die Würde des Menschen wieder viel stärker in den Mittelpunkt zu stellen, und was wir tun müssen, um alles, was sich gegen die Würde des Menschen richtet, auch aktiv zu entlarven und zu bekämpfen.

Christopher Ricke: Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter, seit gestern Träger des Preises für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema