Jemand ist ein Rädelsführer …

Von Rolf-Bernhard Essig · 22.08.2008
Diesmal geht es um die Redensarten: Jemand ist ein Rädelsführer, Jemandem eine Ohrfeige geben, Die Ohren steif halten, Dreimal ist Bremer Recht, Jemanden ins Bockshorn jagen u.a.
Jemand ist ein Rädelsführer

Eigentlich ist der Rädelsführer der Anführer einer Rotte Landsknechte, gerade auch solcher, die außerhalb regulärer Truppenverbände stehen, weshalb das Wort schon im 16. Jahrhundert einen negativen Beigeschmack hatte, obwohl es auch neutral verwendet werden konnte.
Der Fachbegriff der Landsknechte "Rädlein" steckt dahinter, und als "Rädleinsführer" war der Begriff Jahrhunderte im Gebrauch, bis er von "Rädelsführer" ersetzt wurde. "Rädel" ist ja auch ein kleines Rad. Das "Rädlein" bezeichnete als Fachbegriff die im Kreis stehenden Landsknechte, gleichzeitig einen formierten Verband, wie er später mit dem Wort "Rotte", das aus dem französischen "rote" stammte, bezeichnet wird. Auch "Rotte" war früher neutral als "Abordnung einer größeren Menge" zu verwenden, wohingegen es heute – wenn es überhaupt noch verwendet wird – eher nach "Horde" klingt.

Jemandem eine Ohrfeige geben

Wenn mir jemand eine Feige gibt, freue ich mich über das schöne Stück Obst. Ganz anders sieht die Sache aus, steht noch ein Ohr davor! Verbreitet war im noch im Mittelalter der "ohrslac", später Ohrschlag, der aber verschwand, als die Ohrfeige die Bühne betrat. Sie entstand aus dem ebenfalls verbreiteten Ausdruck "orveeg", "ohrvijg" u. ä. Der ist mit "fegen" oder "vegen" verwandt, was "schlagen, jemandem einen Streich versetzen" hieß. Das verwandelte sich im Laufe der Zeit in "-feige". Es klang netter und weniger brutal, war das Ergebnis auch das gleiche schmerzhafte.

Die Ohren steif halten

Wir Menschen können mit unseren Ohren relativ wenige Bewegungen ausführen - die paar Wackler ausgenommen. Tiere dagegen zeigen mit gespitzten Ohren, dass sie aufmerksam sind, wach, sprung- und fluchtbereit. Von daher kam die Wendung "Spitz die Ohren!", wenn man wollte, dass jemand aufpassen oder zuhören sollte. Ein zweiter Vorstellungsbereich kommt dazu – der Wind des Schicksals, der einem manchmal heftig um die Ohren weht. Hält man die Ohren steif, dann ist man also a) aufmerksam, weshalb einem nichts passieren kann, und ist b) bereit, dem Schicksalswind Widerstand zu leisten. Der Wunsch geht also dahin, durch Wachheit und Stärke allen Wechselfällen des Schicksals trotzen zu können.

Dreimal ist Bremer Recht

Zuerst kann man die Rechtsgeschichte ins Spiel bringen. Wie das Lübische Recht gab es auch ein Bremer Recht, das sich durch Dreischritte, die natürlich auch mit der heiligen Zahl zu tun hatten, auszeichnete. Drei Instanzen gab es. Wenn man drei Zeugen für etwas hatte, galt es als bewiesen. Und wenn etwas dreimal verkündet worden war, so war es rechtsgültig.
Ein weiterer juristischer Grund liegt in den kaiserlichen Privilegien für die Bremer Ratsherren, die - wie Adlige - Gold und Pelz tragen durften. Es galten damals ja strenge Kleidervorschriften. Als zweites gestand der Kaiser ihnen eine eigene Gerichtsbarkeit zu, und schließlich erlaubte er ihnen auf der Weser abgaben- und vorschriftsfreie Schiffahrt.
Weil aller guten Dinge drei sind, könnte noch das niederländische Wort "Driemaal is scheepsrecht" hineinspielen. Der Schiffsführer war ja früher lange nicht so bevorrechtigt, wie die Kapitäne im 19. Jahrhundert, weswegen auch er sich bestimmten Grundsätzen unterwerfen musste. Er hatte sich daran zu halten, pro Tag drei Mahlzeiten auszuteilen, er durfte höchstens drei Schläge mit einem großen Kochlöffel als Körperstrafe austeilen, und schließlich hatten die Leute bei der Seebestattung dreimal "Hurra" auszurufen, wenn der Leichnam über Bord rutschte. Die erste Erklärung ist freilich die wahrscheinlichste.

Jemanden ins Bockshorn jagen

Diese häufig verwendete Wendung gehört zu den umstrittensten, was die Erklärung angeht. Ehrliche Forscher geben zu, dass man sie wohl nicht mehr wirklich sicher aus einem Brauch oder einem Werkzeug herleiten kann. Unter anderem erklärte man sie aus dem Bezug zum Teufel, der mit dem Bockshorn verhüllend angesprochen werde. Aber warum jagt man jemanden dort hinein? Dann gab es Strafwinkel in Schulen, die "Bockstall" genannt wurden. Jagte man jemanden dorthin, dann bestrafte man ihn. Warum also hätte man das als Drohung so formulieren sollen? Und woher kommt das "-horn". Es gibt im Verlauf der Geschichte und in verschiedenen Gegenden übrigens die Varianten "ins Bockshorn zwingen / treiben / stoßen / kriechen / blasen", wobei sie mindestens schon fünfhundert Jahre alt sind. Angeblich habe es einen Gelehrten namens Boxhorn gegeben, der junge Neunmalkluge durch scharfes Befragen in die Enge getrieben und lächerlich gemacht habe, doch das klingt sehr nach einer Geschichte, die nur erfunden wurde, um die Redensart zu erklären. Dann gab es angeblich ein Gestell zum Böckekastrieren, das dann zum Folterinstrument umgeformt wurde mit Namen "Bockshorn". Schade, dass es keinen einzigen historischen Nachweis dafür gibt.
So gehen die Erklärungsversuche weiter und weiter, ohne doch tatsächlich überzeugen zu können. Das gibt es in der Sprichwörterforschung, der Parömiologie, gar nicht so selten, denn viele Sprichwörter und Redensarten bilden sich spontan und noch mehr sind sehr, sehr alt. Schließlich gibt es noch das "bokkes hamo", das Bockshemd, das jemand anziehen musste, der in einem Dorf bei sexuellem Tun auffällig geworden war. Er wurde durchs Dorf gejagt, wobei er als Zeichen der Geilheit und seines sündigen Tuns das Bocksfell tragen musste. Aus dem althochdeutschen "hamo", das die Menschen später nicht mehr verstanden, könnte "horn" geworden sein. Spekulation bleibt aber auch das.

Da warst du noch in Abrahams Wurstkessel

Ein seltsamer Ausdruck. Und doch gibt es ähnliche in Dutzenden Varianten. Zum Beispiel "Da warst du noch Quark im Schaufenster". Immer geht es darum, jemandem Unerfahrenheit zu attestieren oder zumindest zu geringes Alter, dass jemand noch nicht auf der Welt war, ganz selten will man auch erklären, dass etwas schon lange her ist.
Die Wurstkessel-Abraham-Form geht zurück auf die biblische Verheißung Gottes an den Stammvater des Volkes Israel, seine Nachkommenschaft werde so zahlreich sein wie die Sterne am Himmel. Gleichzeitig hieß es, Abraham sei nach dem Tod ins Paradies gelangt. Er warte dort auf seine Nachkommen. Seit alttestamentarischer Zeit wurde deshalb in vielen Redensarten vom bergenden, verheißungsvollen Schoß Abrahams gesprochen. Dorthin zu gelangen, in Abrahams Schoß zu sitzen und paradiesische Freude zu erlangen, war das Ziel des Gläubigen. In der Redensart freilich geht es darum zu sagen, dass jemand damals noch nicht auf der Welt war, noch nicht gezeugt, also gleichsam noch in Abrahams Lenden, um im anständigen Sprachgebrauch zu bleiben. "Abrahams Wurstkessel" spielt dabei mit verschiedenen sexuellen Bildern – längliche Würste in einem bauchigen Kessel – und mit dem Bild des Essens, das erst bereitet wird. Scherzhaft ist das ganze außerdem, wenn man sich den würdigen Altvatr vor einem Wurstkessel vorstellt. Damit sind wir auch nahe am Quark im Schaufenster. Einerseits steht er für eine Speise, die jemand zu sich nimmt, die dann dessen Lebenskraft steigert, mit der er dann jemanden zeugt, der dann erst auf die Welt kommen kann. Andererseits wird Quark – wie Sahne oder Milch – mit dem männlichen Samen assoziiert. Der Quark im Schaufenster ist – ählich wie Abrahams Samen, der noch in seinem Schoß ist, – dem noch nicht geborenen Menschen zu vergleichen. Es wird erst noch etwas aus ihm. Die übertreibende Formulierung unterstreicht den scherzhaften Charakter.

Du kriegst heut Hasenbrot

Es gibt auch eine Pflanze dieses Namens, doch "Hasenbrot" bezeichnet im Volksmund älter gewordenes, meist beschmiertes Brot, das beispielsweise ein Kind wieder aus der Schule heimbringt oder das – vom Abendbrot übriggeblieben – am nächsten Tag zum Frühstück aufgegessen wird. Die Erklärungen gingen in die Richtung, dass solches Brot oft den Hasen gegeben wurde, da es für die Menschen zu hart war, doch lässt sich das schwer denken, war doch Brot ein viel zu wertvolles Nahrungsmittel. Vielmehr ist aus der Wetterau schon vor zweihundert Jahren belegt, dass Jäger, die ihr Pausenbrot nicht aufaßen, es heimbrachten und dort ihren Kindern als "Hasenbrot" auftischten. Sie erzählten ihnen scherzhaft, der Hase habe es gebacken oder sie hätten es einem Hasen abgenommen.

Etwas ist faul im Staate Dänemark

Geflügelte Worte führen ein Eigenleben, und so wird dieses Zitat aus Shakespeares Drama "Hamlet" – wie es mir spontan auch passierte – in der Regel Hamlet in den Mund gelegt. Dabei äußert Marcellus, einer der beiden Offiziere, die den Geist von Hamlets Vater gesehen haben, im I. Akt, 4. Szene: "Something is rotten in the state of Denmark". Es geht in dieser Szene für die beiden Offiziere Marcellus und Horatio darum, sich zu entscheiden, ob sie dem Befehl des Prinzen, ihm nicht zu folgen, gehorchen sollen oder nicht. Marcellus ist für das Folgen und gegen das Gehorchen, wobei der Satz als Argument dient, sich anders als üblich und vorgeschrieben zu verhalten. Die bekannte Übersetzung mit "etwas ist faul" passt gut in den Zusammenhang, denn "rotten" (und nicht "foul" wie ich falsch zitierte) heißt ja auch "im Kern verdorben", "verfault", ja sogar "verwest". Die Übersetzung bediente sich natürlich der geläufigen Wendungen wie "an der Sache ist etwas faul". Immer geht es um das Üble eines Gegenstands, einer Situation, das durch den Ausdruck für Verderben, Verwesung bezeichnet wird. Wie eine faule Frucht riecht, so riecht das Verderbliche einer Situation, die dann eben auch Verderben bringen kann. Verbunden sind damit viele weitere redensartliche Ausdrücke wie "es stinkt mir", "etwas ist anrüchig".

Jemandem ein X für ein U vormachen

Wirte waren wichtig, wurden aber nicht immer so behandelt und bezahlt, wie es ihr ehrwürdiger Stand verlangte. Beispielsweise gab es Zechpreller, Randalierer und Nervensägen aller Art.
Kein Wunder, dass mancher Wirt sich schadlos hielt und manchmal bei bestimmten Quartalssäufern auch mal versuchte, seinen Schnitt zu machen, indem er die Rechnung manipulierte. Die schrieb man früher mit Kreide auf eine Tafel, weshalb es auch "jemandem etwas ankreiden" heißt oder "in der Kreide stehen".
Wenn jemand fünf Bier getrunken hatte, schrieb der Wirt ein großes "V" für "5" auf die Tafel. Lange nach dem Mittelalter waren die römischen Zahlzeichen nämlich immer noch viel beliebter als die arabischen. Er konnte die Schenkel des V aber mit Fleiß etwas über den unteren Treffpunkt diagonal verlängern, womit es aussah wie ein "X". Das aber steht als römisches Zahlzeichen für "10". Wenn jemand fünf Bier intus hatte, hatte er vielleicht nicht mehr mitgezählt und bezahlte klaglos, was an der Tafel stand: zehn Bier. Es heißt aber "U" in dem Sprichwort, weil man in der Schreibweise der Zeit bis weit nach dem Mittelalter zwischen U und V nicht sehr unterschied. Es gab konsonantisches U, das wie V ausgesprochen wurde, und vokalisches V, das wie U ausgesprochen wurde.