Jemand, der die Harmonie stört

Marcus Hernig im Gespräch mit Jürgen König · 29.09.2010
Liu Xiaobo sitzt in Haft. Denn der Schriftsteller hat sich im eigenen Land immer wieder für die Meinungsfreiheit stark gemacht. So unterstützte er das chinesische Bürgerrechtsmanifest Charta 08. Sollte der Friedensnobelpreis tatsächlich an ihn gehen, wären in China Unruhen eher nicht zu erwarten, glaubt Marcus Hernig, Literaturwissen-schaftler in Shanghai. Chinas Regierung fürchte viel mehr wiederum als "isolierter, schwarzer Staat" dazustehen.
Jürgen König: Die politische Klasse Pekings ist nervös, denn Ende nächster Woche wird in Oslo der Friedensnobelpreisträger 2010 bekannt gegeben, und es mehren sich prominente Stimmen - ehemalige Nobelpreisträger darunter wie der Dalai Lama, der frühere tschechische Präsident und Bürgerrechtler Václav Havel oder auch der südafrikanische Bischof Desmond Tutu - sie alle haben für diesen Preis Liu Xiaobo vorgeschlagen, jenen chinesischen Schriftsteller, der einer der Hauptinitiatoren der Charta 08 war. Über die Befürchtung Pekings spreche ich gleich mit dem Autor und Literaturwissenschaftler Marcus Hernig, der in Shanghai lebt. - Am Telefon in Shanghai nun der Autor und Literaturwissenschaftler Marcus Hernig, Herr Hernig, ich grüße Sie!

Marcus Hernig: Ich grüße Sie, Herr König!

König: Chinas Außenministerium hat schon jetzt vor einer, wie es hieß, für jeden offensichtlich total falschen Entscheidung gewarnt. Gesetzt, Liu Xiaobo würde tatsächlich der Friedensnobelpreis zuerkannt – was würde dann in China passieren?

Hernig: Ich glaube, dass hier in der Öffentlichkeit nicht so sehr viel passieren würde. Also das wäre etwas, was so großartig nicht wahrgenommen würde. Ich denke, das ist mehr eine Geschichte, die nach außen geht, weil auch die Unterstützung für jemanden wie Liu Xiaobo vor allen Dingen sehr stark im Ausland ja stattfindet.

Er gehört ja zu dieser eben auch schon in dem Porträt kurz angesprochenen 89er-Generation, und diese 89er-Generation hat natürlich ein sehr starkes Standbein vor allen Dingen als Dissidenten im Ausland. Aber in China selber ist diese Generation im Moment, das muss man leider so sagen, in der … bei denjenigen, die in den 70-ern und 80-ern geboren sind, in den Köpfen nicht mehr so sehr präsent.

König: Letzten Sonntag veröffentlichte Pekings Staatsrat ein Weißbuch zu den Menschenrechten in China. Darin wird die Freiheit des Internets in China gepriesen, auch die Transparenz der Rechtsprechung. War diese Veröffentlichung vorgesehen sozusagen? Oder war das schon eine Reaktion auf diese Vorschläge, Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis zu verleihen?

Hernig: Das Weißbuch wird ja schon relativ lange herausgegeben. Es ist ja insofern keine neue Geschichte. Das wird, soweit ich weiß, seit 1991 immer wieder herausgegeben. Das ist natürlich, wenn man so will, immer eine Reaktion gewesen auf das, was nach 1989 entsprechend dann in den Medien publiziert worden ist beziehungsweise was ja den öffentlichen Menschenrechtsdialog mit dem Westen ausgemacht hat.

Der ist ja schon relativ alt und der ist natürlich besonders intensiviert worden nach den Ereignissen des 4. Juni 1989. Und insofern ist das letztendlich eine Fortschreibung. Es passt natürlich insofern sehr, sehr gut mit dieser Nobelpreisnominierung zusammen, weil es natürlich jetzt ganz genau auf den Punkt eben noch mal versucht, die Gegenposition des Staates zu formulieren.

König: Aber ich meine, es hat doch aber gerade dieses Eilverfahren gegen Liu Xiaobo gezeigt, wie es um die Freiheit des Internets in China steht und dass es eben keine nachvollziehbare Rechtsprechung gibt.

Hernig: Der Punkt ist ja der: In China ist es so, dass das Internet seine zwei Seiten hat. Es ist natürlich nicht so offen und so frei, wie wir das jetzt in Deutschland kennen. Es gibt gewisse Seiten, die immer wieder blockiert sind, in die man natürlich nicht hineinkommt. Das heißt, es gibt gewisse Seiten, die immer wieder offen dazu sagen: Wir brauchen ein neues System in China. Sobald das System in Frage gestellt wird, geht sozusagen der Vorhang runter, und man hat eine Heidenangst davor.

Es ist ja nicht nur Liu Xiaobo, es sind ja andere Leute, der Dalai Lama gehört ja auch dazu, Rebiya Kadeer gehört dazu, die Uigurin und Menschenrechtsaktivistin, die auch im Ausland sehr aktiv ist. Diese Leute werden eigentlich, obwohl sie teilweise sehr unterschiedlich sind, von der chinesischen Regierung auf eine Linie gesetzt. Das sind die Leute, wie man hier so schön sagt, die die Harmonie stören des Landes, die sozusagen den Wachstumsprozess, wie er jetzt seit einiger Zeit hier läuft und immer noch gerne hochgehalten wird, sozusagen weiter vorantreiben.

König: Der frühere tschechische Präsident Havel hat diese Charta 08, die Liu Xiaobo mitinitiiert hat, in eine Traditionslinie mit jener Charta 77 gestellt, die Ende der 70er-Jahre den Umbruch in den osteuropäischen Staaten mit auf den Weg brachte. Wird dieser Zusammenhang dieser Traditionslinie in China auch gesehen oder besser befürchtet?

Hernig: Ich denke, das ist ein Zusammenhang, der sicherlich bei der Politprominenz und bei Experten, die direkt von der chinesischen Regierung mit dieser Sache betraut sind, - das heißt, die sich letztendlich auch auskennen in diesen Dingen, die auch genau wissen, was die Charta 77 war - da wird sicherlich eine Art Zusammenhang hergestellt, und da ist man natürlich schon ängstlich darauf erpicht, dass da jetzt nicht irgendwelche Kräfte im Lande selber einen Zusammenhang herstellen und denken, das Regime könnte doch irgendwie aufgrund irgendwelcher Ereignisse, die vielleicht dann jetzt in einigen Jahren stattfinden, doch noch zusammenbrechen.

Aber ich denke, diese Geschichte ist etwas, die für das, was momentan hier in China passiert, - was sozusagen das Volk ausmacht, das Wirtschaftswachstum, das wir hier haben, das alltägliche Leben - sehr, sehr weit weg ist, und da denke ich, ist es auch noch weit von dem entfernt, was die Charta 77, die am Anfang auch mal noch sehr wenig eigentlich beachtet wurde in der Tschechoslowakei damals, was die dann letztendlich werden konnte und geworden ist. Ich denke, da liegt noch sehr, sehr viel dazwischen. Also das sind doch noch zwei sehr verschiedene Dinge.

König: Aber wenn derlei so weit weg ist, dann müssten doch eigentlich die Sorgen der chinesischen Staats- und Parteiführung jetzt so groß nicht sein?

Hernig: Es ist, glaube ich, immer eine Frage des Gesichts. In China spielt Gesicht eine ganz entscheidende Rolle. Das heißt, Gesichtswahrung ist ein ganz zentraler Faktor. Und wovor die chinesische Regierung große Angst hat, ist nicht so sehr, dass jetzt hier im Lande letztendlich große Unruhen ausbrechen würden, wenn jetzt Liu Xiaobo als wie auch immer gearteter Nobelpreisträger vielleicht zu einer Art Volksheld hochstilisiert würde, was er wahrscheinlich nicht wird. Dazu ist er viel zu unbekannt hier. Viele, viele Leute, was ich eben schon sagte, kennen ihn ja gar nicht.

Wovor man Angst hat und was man natürlich vermeiden will, ist, dass man jetzt wieder in eine Position gerückt wird als isolierter, schwarzer Staat, um es mal so zu sagen, als böses Land in der Weltöffentlichkeit. Und dass diese Situation letztendlich dann wiederum um die Welt getragen wird und das Bild Chinas verschlechtert. Und das ist wiederum für die Regierung, die sich natürlich immer in einer Linie sieht, so nach dem Motto, die Regierung ist ja China, die Regierung ist der Staat, und die Regierung repräsentiert auch die Kultur in gewisser Weise, das ist ja das etwas sehr andere und im Westen schwer nachvollziehbare Denken, was wir ja haben, dass das irgendwie in Mitleidenschaft zerrt. Und davor hat man sehr große Angst.

König: In welcher Weise werden die Nobelpreise und damit eben auch der Friedensnobelpreis in den chinesischen Medien, in der Öffentlichkeit wahrgenommen?

Hernig: Die Nobelpreise werden schon wahrgenommen. Also das ist schon ein wichtiger Faktor eigentlich, also es wird viel … vor allem wissenschaftliche Nobelpreise, die Nobelpreisträger werden vorgestellt, auch Literaturnobelpreisträger werden vorgestellt. Der Friedensnobelpreis wurde auch diskutiert, auch in diesem Zusammenhang – ich habe mich mal so ein bisschen auch schlau gemacht hier im chinesischen Internet, was so in den chinesischen Medien dazu auch ausgesagt worden ist –, nur eben genau in die andere Richtung, nach dem Motto, man sieht eben jetzt jemanden wie Liu Xiaobo genau als jemanden an, der das Gegenteil tut als Frieden zu stiften, nämlich Unfrieden in dem Sinne, dass er letztendlich hier die harmonische Gesellschaft, den Zusammenhalt des ganzen Chinas in Frage stellt.

In der Charta 08 ist ja eine Passage, die sicherlich in China auch problematisch ist, also es wird ein föderales System eingefordert. Und das wäre natürlich etwas, was also dem chinesischen Denken aufs Größte verquer ist, und ich glaube auch vollkommen unrealistisch in der Durchführung wäre.

König: Aber um noch mal auf den Anfang zu kommen und damit das Gespräch auch zu beschließen: Gesetzt, Liu Xiaobo würde den Friedensnobelpreis erhalten, dann wäre das doch auch ein Thema für die Medien und er würde bekannter werden in China.

Hernig: Wäre es sicherlich, wobei ich davon ausgehe, dass, wenn er ihn bekommt, eine große Diskussion im Internet stattfinden wird. Also im Internet, das ist ja eigentlich so das Ventil, wo eigentlich, wenn jemand wirklich politisch interessiert ist, derjenige sich orientiert. Da geht man hin, da guckt man, da versucht man auch, seine Meinung zu veröffentlichen. Und wenn dieser Nobelpreis eben entsprechend an Liu Xiaobo ginge, dann gehe ich davon aus, dass eine Welle der Diskussion im Internet einsetzen würde. Also da ist der Fokus. Was in den staatlichen Medien passiert, wie auch jetzt schon im Falle der Nominierung – die staatlichen Medien schweigen relativ stark dazu, es sind also kaum … man findet eigentlich keine einzige Veröffentlichung dazu, man findet keinen einzigen Hinweis auf die Geschichte. Wo was passiert, das ist das Internet, und das denke ich ist auch der Ort, wo in China die Diskussionen stattfinden, ganz eindeutig.

König: Der Vorschlag, dem chinesischen Schriftsteller Liu Xiaobo mit dem Friedensnobelpreis zu ehren, verärgert Peking – ein Gespräch dazu mit dem Autor und Literaturwissenschaftler Marcus Hernig in Shanghai. Herr Hernig, ich danke Ihnen!

Hernig: Gern geschehen, Herr König!
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