Jeffrey Yangs "Yennecott"

Kolonialismus in Versen erklärt

Strand in Hampton Bays am östlichen Ende von Long Island
Wo Yang die amerikanische Geschichte verdichtet: Strand am Ostzipfel von Long Island © Bild: dpa / picture alliance / Peter Foley
Von Katharina Döbler · 29.04.2015
Jeffrey Yang macht in "Yennecott" ein kleines Gebiet am Ostzipfel von Long Island zum Brennpunkt amerikanischer Geschichte. In dem Langgedicht legt der US-Amerikaner mit chinesischen Wurzeln verborgene Schichten der Vergangenheit frei.
Wenn man an der Ostküste der USA unterwegs ist – zwischen den neuenglischen Siedlungen in geometrischer Ordentlichkeit und den unzugänglichen Wäldern, die für gewöhnliche Fußgänger zu dicht und zu wild sind – dann stellt sich nach einer Weile das Gefühl ein, dass die weißen Amerikaner auf diesem Land nur oberflächlich herum fahren; dass sie sich mit möglichst großen, möglichst kriegerischen Autos von einer ihrer hyperzivilisatorischen Inseln zur anderen bewegen, stets in dem Bewusstsein, dass das Andere, das Fremde, das möglicherweise Feindliche "da draußen" lauert.
Dieses Bewusstsein findet sich in der amerikanischen Literatur in unzähligen Varianten gespiegelt, von Stephen King bis Cormac McCarthy.
Yang legt verborgene Schichten der Vergangenheit frei
Der Dichter Jeffrey Yang, geboren in Kalifornien, hat es unternommen, in einem Langgedicht die verborgenen Schichten der Vergangenheit freizulegen. Dazu hat er sich einen Ort erwählt, der nur als Name existiert: Yennecott. Keine Stadt und kein Dorf heißt so, aber ein kleines Gebiet am Ostzipfel von Long Island trägt diese alte indianische Bezeichnung. Und dieses macht Yang zum Brennpunkt einer hochinteressanten und radikalen Betrachtung der amerikanischen Geschichte.
"Baskische chalupas, holländische Walfänger/
Fisch, Felle, Öl nach Europa/
für Eisen, Waffen, Rum//
Siedlungen gegründet, dann verlassen/
Allianzen dann Abteilungen/
Abteilungen dann Stämme/
ORT dann NAME//
Neue Seuchen/
eine neue Wirtschaft"
Kürzer und klarer kann man Kolonialismus wohl kaum fassen.
Die Übersetzung von Beatrice Faßbender tut das Möglichste, um die von Yang selten und diskret, aber umso eindrucksvoller eingesetzten lyrischen Mittel zu erhalten – was, zumal bei Alliterationen und Assonanzen oft sehr gut gelingt, ohne den Sinn zu verbiegen.
Vielstimmigkeit, die aus verschiedenen Zeiten gespeist wird
Yangs Verfahren ist jedoch vor allem das einer Archäologie der Sprache. Seine Verse bestehen zu weiten Teilen aus Zitaten: Reiseberichte, Aufzeichnungen, Gebrauchstexte aus verschiedenen Jahrhunderten, aber auch lyrische Zeugnisse, die nach Emily Dickinson klingen oder auch nach Walt Whitman. Der Dichter macht seine Zitate nur ungefähr kenntlich, nennt manchmal Quellen im Fluß des Gedichts, manchmal deuten nur Initialen unter einem wörtlichen Zitat auf einen anderen frühen Urheber hin.
Auf diese Weise hat Yang eine Vielstimmigkeit erzeugt, die aus verschiedenen Zeiten gespeist wird. Die gewohnte Sichtweise auf Geschichte, nämlich die chronologische, nutzt er einerseits historiographisch, andererseits transzendiert er sie, indem er auf die Logik von Ursache und Wirkung verzichtet, und die Denkstrukturen nebeneinander stellt als etwas, zumindest im Gedicht, gleichzeitig Existierendes.
Noch nie hat man eine so gelehrte und entspannte, ironische und explizite und dabei so poetische Kompilation der amerikanischen (Kolonial-)Geschichte gelesen.
Jeffrey Yang: Yennecott
Berenberg Verlag, Berlin 2015
116 Seiten, 19,00 Euro
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