Japanische Wirtschaft

Wenig Chancen für Frauen

Japanische Frauen beachten Börseninformationen in Tokio.
Chancen für Frauen in der japanischen Wirtschaft seien schlecht, meint Sonja Blaschke. © afp / Toshifumi Kitamura
Sonja Blaschke im Gespräch mit Nana Brink · 09.03.2015
Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht Japan. Ob bei ihren politischen Gesprächen auch die neue, deutsche Frauenquote eine Rolle spielt? Notwendig wäre sie jedenfalls, meint die Autorin Sonja Blaschke.
Die Frauenquote hat in Japan keine echte Chance. Denn die japanischen Männer würgen eine ernsthafte Auseinandersetzung über die Quote – so berichtet es die Journalistin Sonja Blaschke, die seit zehn Jahren in dem Land der aufgehenden Sonne lebt – mit dem Verweis auf Diskriminierung ab. Nicht die Diskriminierung der Frauen natürlich, sondern die der Männer. Eine Quote, so das Argument, benachteilige das männliche Geschlecht. Dabei hätte Japan mehr Frauen in der Arbeitswelt bitter nötig. Die Wirtschaft könne sich den Verzicht auf die Frauen eigentlich gar nicht leisten, betont Blaschke, denn sie steuert schon länger auf einen Arbeitskräftemangel zu. Doch die japanische Arbeitskultur hält Frauen draußen, zumindest die, die nicht nur arbeiten, sondern auch eine Familie wollen. So gibt es extrem lange Arbeitszeiten: "Vor dem Chef heim zu gehen, traut sich eigentlich keiner, selbst wenn nichts mehr zu tun ist", sagt Blaschke. Auch Versetzungen sind sehr häufig. Und: Besprechungen nach der Arbeit finden auch ab und an in Etablissements statt, die Frauen ungern betreten. Die Folge: Weniger als zehn Prozent der Führungskräfte in Japan sind Frauen.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Seit heute ist die Bundeskanzlerin in Japan zu Gast. Da war sie schon länger nicht mehr, seit 2008, und immerhin hat ja die Atomkatastrophe von Fukushima bei uns einen Politikwechsel in Sachen Atomenergie ausgelöst, nämlich die Energiewende. Aber die Kanzlerin wird nicht nur über Energiefragen sprechen, auch über die Vorbereitung des G7-Gipfels in Deutschland im Juni. Und mit Spannung wurden ihre Äußerungen zur Außenpolitik erwartet!
O-Ton Angela Merkel: Die Ukraine hat wie jeder andere Staat das Recht, in vollständiger Souveränität über ihren eigenen Weg zu bestimmen. Und ich möchte mich bei der japanischen Regierung sehr bedanken, dass wir diese Position gemeinsam vertreten, genauso wie wir gemeinsam als notwendige Antwort auch wirtschaftliche Sanktionen verhängt haben.
((Bericht))
Brink: Die Bundeskanzlerin wird also heute und morgen mit dem Kaiser zusammentreffen, aber auch mit dem Regierungschef, vielen Wirtschaftsvertretern. Sie selbst wird ja von einer deutschen Wirtschaftsdelegation begleitet. Und man könnte annehmen, dass sie dann auch viele japanische Frauen in Führungsposition trifft.
Vielleicht wird sie ja gefragt werden nach der Frauenquote, die ist ja letzten Freitag im Bundestag verabschiedet worden, ab 2016 müssen Topkonzerne ihre Aufsichtsräte zu einem Drittel mit Frauen besetzen - in Deutschland. Die Autorin und Journalistin Sonja Blaschke lebt seit zehn Jahren in Japan. Frau Blaschke, ich grüße Sie!
Sonja Blaschke: Guten Tag!
Brink: Ist die Frauenquote in Japan überhaupt ein Thema?
Die Frauenquote ist in Japan kein Thema
Blaschke: Die Frauenquote ist in Japan nicht wirklich ein Thema. Sie wird zwar ab und zu mal in Diskussionen aufgebracht, aber häufig kommt dann von männlicher Seite, dass es ja einer Diskriminierung der Männer dann gleichkäme, wenn man eine Frauenquote einführen würde. Also, deswegen wird in näherer und auch in mittlerer Zukunft in Japan keine Frauenquote eingeführt werden, denke ich.
Brink: In Japan heißt das ja noch immer, das habe ich in einem Ihrer Essays gelesen, der Chef ist Gott! Die Chance, dass er dann weiblich ist, die ist dann eher gering, oder?
Blaschke: Die Chance ist weiter sehr gering, trotz der Bemühungen der japanischen Regierung, mehr Frauen in die Chefetage zu bringen. Es sind momentan unter zehn Prozent Frauen in Chefpositionen und es werden wahrscheinlich in absehbarer Zeit auch nicht unbedingt mehr werden. Das hat verschiedene Gründe, gesellschaftliche Gründe, aber auch wie der Arbeitsmarkt funktioniert in Japan. Es ist nicht wirklich frauenfreundlich, nicht familienfreundlich, auch nicht männerfreundlich, von dem mal abgesehen, und in der Folge gibt es einfach momentan kaum Frauen in Führungspositionen.
Brink: Da würde ich gern noch mal ein bisschen genauer fragen: Sie sagten, der Arbeitsmarkt ist nicht frauenfreundlich. Können Sie das ein bisschen erklären?
Blaschke: Also, der Arbeitsmarkt in Japan zeichnet sich aus durch extrem lange Arbeitszeiten. Das heißt, die Präsenz eines Arbeitnehmers am Arbeitsplatz wird sehr geschätzt. Vor dem Chef heimzugehen traut sich eigentlich keiner. Selbst wenn nichts mehr zu tun ist. Und häufig wird am Abend noch gemeinsam weggegangen, das heißt, die Kollegen gehen dann in die Kneipe, trinken zusammen und besprechen dann auch manchmal schon einen Deal für den nächsten Tag. Und in so einem Umfeld ist es manchmal sehr schwierig für Frauen, gerade wenn die Besprechungen dann in Kneipen stattfinden, in die Frauen nicht unbedingt gerne gehen möchten, sagen wir es mal so. Das ist das eine.
Das Zweite ist, dass auf dem japanischen Arbeitsmarkt Versetzungen sehr häufig der Fall sind. In vielen Branchen wird alle drei Jahre der Arbeitnehmer versetzt, und gerade wenn dann auch noch eine Familie ins Spiel kommt, dann wird es sehr schwierig, eine Familie und Arbeitsleben mit den Versetzungen zu vereinbaren.
Brink: Sie haben eingangs auch erwähnt, dass es auch gesellschaftliche Gründe dafür gibt. Also, tut sich die japanische Wirtschaft auch aus gesellschaftlichen Gründen schwer damit, Frauen den Aufstieg zu ermöglichen? Oder überhaupt den Einstieg wahrscheinlich auch manchmal?
Die Frau ist in Japan oft noch Hausfrau, der Mann der Ernährer
Blaschke: Das ist in der Tat so. Der Einstieg war bis vor nicht allzu langer Zeit für Frauen sehr schwierig. Man muss dazu sagen, dass eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg sich in Japan ein Modell durchgesetzt hat, nach dem der Mann der Ernährer ist und die Frau ist die Hausfrau zu Hause und die hält ihm den Rücken frei. Wenn Frauen überhaupt gearbeitet haben, dann am Anfang eher nur als Teefrau vielleicht oder als Empfangsdame, und das ist auch heute noch so. Also, wenn man heute in eine japanische Firma kommt, dann wird in 99,9 Prozent der Fälle eine Frau den Tee oder den Kaffee servieren.
Brink: Ist dann eigentlich in den letzten 30, 40 Jahren nichts passiert? Ich meine, dieses Gesellschaftsmodell ist ja uns nicht ganz fremd, das hat es bei uns ja nun auch gegeben, die Sekretärin. Hat sich da nichts getan in den letzten 30 Jahren?
Blaschke: Es hat sich nicht so viel getan. Es ist noch heute so, dass die meisten Frauen einen Karrierepfad beschreiten, der sich Ippanshoku nennt, das ist im Endeffekt Büroarbeit oder eine Assistenztätigkeit. Viele streben auch heute eigentlich keine Karriere in dem Sinne an. Man muss dazu wissen, dass 60 Prozent der Frauen oder über 60 Prozent ihre Arbeitsstelle nach dem ersten Kind verlassen, und teilweise das selber so wollen und zum Teil, weil die Firmen das von ihnen erwarten, weil sie sagen, du kannst da nicht mehr so lange im Büro sein, du bist nicht mehr so flexibel, wir können dich nicht mehr auf Geschäftsreisen schicken und so weiter.
Brink: Nun ist ja die japanische Wirtschaft nach der Katastrophe von Fukushima sehr belastet. Kann sich denn die Wirtschaft in Japan das überhaupt leisten, auf Frauen zu verzichten?
Die japanische Wirtschaft kann sich den Verzicht auf Frauen gar nicht leisten
Blaschke: Das kann sie sich nicht leisten. Weil jetzt schon klar wird, dass in Japan ein extremer Arbeitskräftemangel herrschen wird. Man spricht von ungefähr 15 Prozent und so eine Lücke muss erst mal gefüllt werden. Jetzt könnte man sagen, wie in Europa, man lässt mehr Leute ins Land aus anderen Ländern und nutzt deren Arbeitskraft, aber das ist in einem relativ abgeschlossenen Land und sich als sehr homogen empfindenden Land wie Japan sehr schwierig. Das heißt, vor dem Hintergrund versucht man in Japan dann schon wieder, mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu kriegen. Weil gerade den größeren Firmenchefs und auch der Regierung bewusst ist, dass Japan, das überaltert und schrumpft, auf einen Arbeitskräftemangel zusteuert.
Brink: Wie sieht das denn mit der Ausbildung aus? Wären denn überhaupt gut ausgebildete Frauen zur Verfügung? Damit fängt es ja eigentlich dann auch schon mal an!
Blaschke: Es gibt hervorragend ausgebildete Frauen in Japan, da kann man eigentlich keinen Unterschied machen zwischen Männern und Frauen. Man sagt manchmal im Scherz, dass Japan die bestausgebildeten Supermarktkassiererinnen der Welt hat. Der Hintergrund ist der, dass eben, wie gesagt, viele Frauen mit dem ersten Kind aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und dann später nur als Teilzeitkraft wieder anfangen. Und die Supermärkte bieten eben sehr flexible Arbeitszeiten. Aber an der Ausbildung mangelt es sicher nicht.
Brink: Nun ist das ja interessant, was Sie sagen: Auf der einen Seite kommen sie irgendwie nicht weiter, auf der anderen Seite gibt es dann solche Gesetze, die uns irgendwie eigenartig anmuten, nämlich seit 1947 der gesetzlich verankerte Menstruationsurlaub. Woher kommt der und nimmt den überhaupt eine Frau, diesen Urlaub?
Frauen haben in Japan Menstruationsurlaub - sie nehmen ihn aber oft nicht
Blaschke: Der Menstruationsurlaub kam in den 1920ern auf, das war eine Bitte der Gewerkschaften. Und die wurde dann 1947 zum Gesetz. Damals war das Recht einzigartig, aber heute gibt es mehrere Länder in Asien, die solche Regelungen in den Gesetzen haben, zum Teil sogar zwei Tage. Allerdings muss man sagen, dass sowohl in Japan als auch in den anderen Ländern vermutlich die Frauen, die allermeisten Frauen den Menstruationsurlaub nicht nehmen.
Es ist in Japan häufig der Fall, dass es zwar eigentlich ganz gute Systeme gibt und gute Regelungen gibt, dass die aber nicht genutzt werden. Man muss sich nur anschauen, wie Japaner mit ihrem Jahresurlaub verfahren, sie lassen nämlich über die Hälfte davon verfallen. Und ähnlich läuft es mit dem Menstruationsurlaub.
Brink: Die Autorin und Japan-Kennerin Sonja Blaschke. Danke für Ihre Zeit!
Blaschke: Bitte schön, gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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