Japaner haben sich "Illusion" hingegeben

Joachim Radkau im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 14.03.2011
Der Autor und Historiker Joachim Radkau sieht in der Atomenergiepolitik Japans ein "verrücktes Faktum", weil deren Risiken einfach verdrängt wurden. Dass Kernkraftwerke nicht zuverlässig gegen schwere Erdbeben gesichert werden können, hätten die Experten immer gewusst.
Jan-Christoph Kitzler: Der 12. März 2011 ist eine Zeitenwende, das zumindest will uns der "Spiegel" suggerieren. Das Nachrichtenmagazin beschwört in seiner aktuellen Ausgabe schon mal das Ende des Atomzeitalters nach der Katastrophe in Japan. Wie konnte es in Japan überhaupt so weit kommen und was bedeutet das, was da passiert, für die Idee der Ökologie?

Darum soll es jetzt gehen im Gespräch mit Joachim Radkau, Historiker von der Universität Bielefeld, sein Buch über den Aufstieg und die Krise der deutschen Atomwirtschaft ist ein Klassiker und gerade ist ein neues Buch erschienen über "Die Ära der Ökologie". Schönen guten Morgen, Herr Radkau!

Joachim Radkau: Guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Bleiben wir mal konkret beim Beispiel Japan: Es ist ja schon lange bekannt, dass es dort schwere Erdbeben geben kann, wie konnte man da überhaupt so sehr auf Atomkraft setzen und über 50 Meiler in die Landschaft setzen?

Radkau: Es ist zunächst auch ein verrücktes Faktum. Natürlich hat man von Anfang an gewusst, dass Japan von schweren Erdbeben bedroht ist, und die Erdbebengefahr ist eigentlich auch das allerfrüheste Argument gegen Kernkraftwerke gewesen. Und 1961, 62 in USA, die erste erfolgreiche Initiative gegen ein Kernkraftwerk, Bodega Bay in Kalifornien, hat mit der Erdbebengefahr erfolgreich argumentiert. Und wenn man noch hinzunimmt, dass Japan doch bisher das erste und einzige Opfer von Atomwaffen gewesen ist, dadurch traumatisiert worden ist, ist es schon verrückt, dass gerade dort sich Kernkraftwerke so massieren.

Kitzler: Kann man denn sagen, dass in Japan die Risiken für beherrschbar gehalten wurden, oder wurden sie eher verdrängt?

Radkau: Ich würde sagen, eher verdrängt. Ich meine, die Japaner sind ja in anderer Weise auch sehr umweltbewusst, man soll sie jetzt nicht schlecht machen oder lächerlich machen. Aber die japanische Umweltbewegung hat sich auf andere Ziele konzentriert. Die begann schon 1970 mit voller Wucht, es gab damals vier große, sehr schlimme Skandale durch hoch giftige Emissionen von großen Industriekomplexen, aber ich meine, es gibt ja auch so eine Ökologie der Angst. Man kann nicht an allen Fronten zugleich Angst haben und kämpfen und die japanische Umweltbewegung war traditionell mehr auf andere Ziele konzentriert.

Kitzler: Jetzt ist der japanische Zivilschutz ja recht gut aufgestellt und es gibt sogar jedes Jahr am 1. September einen sogenannten Präventionstag. Da wird erinnert auch an ein schweres Erdbeben in den 20er-Jahren. Das spricht doch eigentlich nicht für Verdrängung?

Radkau: Da haben Sie recht, das Kanto-Erdbeben vom 1. September 1923. Aber dieses ... Also da gibt es tatsächlich eine japanische Erinnerungskultur, anders als bei Hiroshima übrigens. Aber das ist eben auch der Auftakt zu einer japanischen Erfolgsgeschichte, einer Erfolgsgeschichte zur Erdbebenprävention mit Seismologie und Stahlbeton und so weiter. Und von daher auch immer so das Gefühl, wir sind eine Erdbebennation, diese Naturkatastrophen haben wir im Griff, da behalten wir die Nerven. Ich meine, die Japaner sind da ja auch sehr eindrucksvoll gewesen im Vergleich zu Haiti, mit dem großen Erdbeben, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Aber bei der Kernkraft hat man doch sich zu sehr der Illusion hingegeben dieses Risiko im Griff zu haben, wo man das eigentlich niemals glauben konnte, dass Kernkraftwerke nicht zuverlässig gegen schwere Erdbeben gesichert werden können, haben die Experten immer gewusst.

Kitzler: "Die Ära der Ökologie" heißt Ihr neues Buch. Wie passt denn diese Katastrophe in Japan hinein in Ihre Thesen, sind Sie der Meinung, dass es jetzt zu einem generellen Umdenken kommen wird?

Radkau: Da bin ich inzwischen vorsichtig, das hat man damals nach Tschernobyl vor 25 Jahren auch gesagt, aber so sehr ist das dann doch nicht gekommen. Da gibt es verschiedene Erklärungsmöglichkeiten, eine ist die folgende: Im Westen, Europa, USA, ist die Umweltbewegung untergründig sehr stark von der Krebsangst getrieben worden, das kann man an vielen Punkten beobachten. Und daher war es auch logisch, dass sich die Erbitterung ganz besonders auf Kernkraftwerke richtete. In Japan ist die Krebsangst nun nicht traditionell die "grande peur".

Japan hat eine erstaunlich niedrige Krebsrate, da richten sich die Ängste auf andere Risiken. Daher hat das auch so eine gewisse Psycho-Logik, wenn das nukleare Risiko nicht so stark beachtet worden ist. Aber ich meine eins muss man schon hervorheben: Auch in Japan gibt es vor allem seit 1995, seitdem hat es ja eine ganze Serie schwerer Reaktorunfälle gegeben, auch schon eine Fülle von lokalen Antikernkraftinitiativen. Im Vergleich zu den westlichen Ländern sind die allerdings bemerkenswert wenig vernetzt, mehr so punktuell, es gibt nicht diesen Prozess der Wechselwirkung zwischen Bürgerbewegung und staatlicher Administration, der bei uns sehr wichtig geworden ist.

Kitzler: Der Historiker Joachim Radkau, sein Buch "Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte" ist gerade im C.-H.-Beck-Verlag erschienen. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Radkau: Ich danke auch!
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