James Risen: "Krieg um jeden Preis"

Von Dieben und Betrügern in der Sicherheitsindustrie

Ein US-Soldat von der 4. Infantriedivision patrouilliert am 24.8.2003 in Samarra nördlich der irakischen Hauptstadt Bagdad.
Ein US-Soldat von der 4. Infantriedivision patrouilliert am 24.8.2003 in Samarra nördlich der irakischen Hauptstadt Bagdad. © picture-alliance / dpa / Vucci
Von Sabina Matthay · 12.09.2015
James Risen schildert den Kampf des amerikanischen Staats gegen den islamischen Terror als eine Art Irrweg, gepflastert mit Machtmissbrauch und Rechtsbruch. Doch seine Darstellung ist anekdotisch und die Schlüsse, die er zieht, sind pauschal.
Dieses Buch, obwohl flott geschrieben, ist keine leichte Kost. Es handelt von Machtmissbrauch, Steuerverschwendung und Rechtsbruch mit staatlichem Segen. Glaubt man James Risen, dann ist die Bekämpfung des islamistischen Terrors zugleich ein staatlicher Generalangriff auf Demokratie und Freiheit, der die amerikanische Gesellschaft zerrüttet hat. Jene, die die USA schon immer für eine bösartige Supermacht hielten, werden sich bestätigt fühlen. Alle anderen sollten "Krieg um jeden Preis" als das nehmen, was es ist: eine Sammlung von Reportagen, die Exzesse beleuchten.
Der Titel der amerikanischen Ausgabe, "Pay any Price", zitiert Präsident John F. Kennedy, der in seiner Antrittsrede 1961 erklärte:
"Wir werden jeden Preis zahlen, jede Last und Not ertragen, jede Entbehrung auf uns nehmen, jeden Freund unterstützen und jedem Feind entgegentreten, um das Überleben und den Sieg der Freiheit zu sichern."
Diese Devise leitete ursprünglich auch Amerikas Kampagne gegen den Dschihadismus. Doch der Preis der inneren Sicherheit sei zu hoch, meint James Risen. Und: aus dem langjährigen Anti-Terror-Kampf sei längst ein großes Geschäft geworden:
"Dank des parteiübergreifenden Anstrichs, den er unter Bush und Obama bekommen hat, befindet sich Washingtons globaler Krieg gegen den Terror nunmehr in seinem zweiten Jahrzehnt. Es gibt keine Anzeichen, dass er sich abschwächt; Gauner und Freibeuter schlachten ihn weiter nach Herzenslust aus, und immer mehr unbeabsichtigte Konsequenzen dieses Kriegs türmen sich auf."
Der Investigativ-Reporter der New York Times unterteilt sein Buch in drei Abschnitte mit den Überschriften "Gier", "Macht" und "Krieg ohne Ende". Darunter gruppiert er Schlaglichter auf den amerikanischen "Heimatschutzkomplex". So nennt er den Apparat, der seit 9/11 im Namen der inneren Sicherheit Amerikas zu gigantischen Kosten aufgebaut worden ist.
Keine Quelle für Zahlen und Statistiken
"Der gesamte Krieg gegen den Terror hat schätzungsweise vier Billionen Dollar gekostet. Das ist ein enormer Geldtransfer in einen neuen Wirtschaftssektor, die Sicherheitsindustrie."
Für wichtige Zahlen und Statistiken bleibt Risen die Quellen schuldig. Stattdessen schreibt er über die Diebe, Betrüger und Glücksritter in der Sicherheitsindustrie. Dennis Montgomery etwa, ein selbsternannter Software-Entwickler, bot der CIA ein Programm an, das angeblich Geheimbotschaften entziffern konnte, die in Osama bin Ladens Videobotschaften enthalten seien. Damit ergatterte Montgomery Regierungsaufträge im Wert von vielen Millionen Dollar. Nachdem die CIA ihn als Gauner entlarvt hatte, nahm das US Kommando für Spezialoperationen ihn unter Vertrag.
Risen beschreibt, wie Psychologen bei der CIA anheuerten, dort Verhörprogramme entwickelten und Foltertechniken trainierten, und wie der größte amerikanische Fachverband für Psychologen (APA) sie deckte. Schließlich berichtet er von Diana Roark, einer Mitarbeiterin des Geheimdienstausschusses. Roark hielt die Überwachung von Internet und Telefonaten in den USA und im Rest der Welt sowie die amerikanische Vorratsdatenspeicherung für widerrechtlich.
"Zunehmend deprimiert, erkannte sie, dass sie gegen die gesamte Machtstruktur Washingtons ankämpfte. Sie war zu allen drei Verfassungsorganen gegangen – Kongress, Weißes Haus und Gerichte – und hatte entdeckt, dass es eine Verschwörung des Schweigens unter den mächtigsten Amtsträgern der Nation gab, um eine verfassungswidrige Operation zu schützen."
"Ich halte es für berechtigt, dass die Regierung gegen Terroristen ermittelt. Ich frage mich aber, wie viel unserer Freiheitsrechte wir dafür aufgeben müssen. Das Schlimmste ist, dass die Regierung versucht, das alles im Verborgenen zu tun, ohne echte öffentliche Debatte, das ist für mich das größte Problem."
Schilderung krasser Fälle von Fehlverhalten, Verschwendung und Vertuschung
Ob und wie Staaten ihre Bürger allerdings ohne Beeinträchtigung der Freiheitsrechte vor Terror schützen können, dieser Frage weicht Risen aus. Möglicherweise, weil sein Buch auch eine Abrechnung ist. Denn der Pulitzerpreisträger geriet selbst ins Visier der Regierungen Bush und Obama, als er sich weigerte, Quellen seiner Recherchen zu nennen. Obwohl das Verfahren gegen ihn letztlich niedergeschlagen wurde, kommt Risen zu dem Schluss:
"Von all den Missbräuchen, die den Amerikanern durch die Hände ihrer eigenen Regierung im endlosen Kampf gegen den Terror zugemutet wurden, war der Krieg gegen die Wahrheit womöglich der schlimmste."
James Risen schildert krasse Fälle von Fehlverhalten, Verschwendung und Vertuschung, doch sie sind anekdotisch, nicht repräsentativ. Die Schlüsse, die er zieht, sind pauschal und einseitig. Vor allem aber stimmt nicht, dass der Krieg gegen den Terror Amerikas Gesellschaft zur Unkenntlichkeit verändert und unfrei gemacht habe.
Der "Patriot Act", der starke Einschnitte der Freiheitsrechte enthält, war keineswegs geheim und erregte 2001 kaum Widerspruch. Der amerikanische Kongress stimmte nach dem 11. September jeder Maßnahme zu, die das Land sichern sollte. Und Amerikas Institutionen sind kritik- und lernfähig. Die Vorratsdatenspeicherung zum Beispiel liegt nicht mehr in Händen der NSA. Nicht zuletzt, weil amerikanische Bürger aus Gewissensgründen auf Missstände aufmerksam machten. Und weil Reporter wie James Risen die Exzesse der Terrorbekämpfung berichten konnten.

James Risen: Krieg um jeden Preis. Gier, Machtmissbrauch und das Milliardengeschäft mit dem Kampf gegen den Terror
Aus dem Englischen von Andreas Simon dos Santos
288 Seiten, 17, 99 Euro
Westend-Verlag

Mehr zum Thema