James Dean der Leichtathletik

Von Eduard Hoffmann · 06.09.2008
Der Supersprinter Armin Hary war ein Kämpfer und Sunnyboy. Er ließ sich nicht gängeln, schlug schon mal über die Stränge und rasselte deshalb immer wieder mit den Verbandsfunktionären aneinander. Noch heute, mit 71 Jahren, grollt der erste 10,0-Läufer der Weltgeschichte den Funktionären. Schon am 6. September 1958 hatten sie ihm den Fabelweltrekord über die 100 Meter verweigert.
"Von klein auf, immer wollte ich etwas tun, was für die Ewigkeit ist, aber an Sport habe ich da nie gedacht."

Der 1937 geborene Bergmannssohn Armin Hary aus Quierschied bei Saarbrücken hatte eine schwere Kindheit und lernte, sich durchzubeißen. Sportlich wechselte er bald vom Handball zur Leichtathletik und trainierte wie ein Besessener. Oft schlüpfte er in mehrere Trainingsanzüge gleichzeitig, zog sich die Pudelmütze über die Ohren und lief los.

"Und wenn ich dann mich warmgelaufen habe so im Wald am Sonntagvormittag, und die Spaziergänger sind mir begegnet, da war ich nur der Verrückte. Da kommt schon wieder der Verrückte, der läuft. Und das hat mir eigentlich immer am allermeisten wehgetan, weil ich etwas machte, das eigentlich von niemandem akzeptiert wurde."
Der Trainingseifer lohnte sich. Bert Sumser, damals einer der besten deutschen Leichtathletiktrainer, holte das große Talent von der Saar nach Leverkusen, zum Werksverein Bayer 04. Bald schon gehörte der ehrgeizige Hary zur deutschen und internationalen Sprinterspitze.

Reportage Wochenschau 1957: "Armin Hary zeigt seinen Konkurrenten schon nach zehn Metern die Fersen. Ohne sich voll auszugeben, bewältigt er die 100 Meter in 10,4 Sekunden."

"1957 hat Sumser schon gesagt, das ist der erste, der die 100 Meter in 10,0 Sekunden läuft."

Er sollte Recht behalten. Ein Jahr darauf wurde Armin Hary mit 21 Jahren Europameister. Wenig später, am 6. September 1958, sprintete der Blitzstarter in Friedrichshafen am Bodensee 10 Komma null, der erste Mensch, der die 100 Meter in dieser Zeit lief. Zwei der drei Zeitnehmeruhren, so wurde später bekannt, zeigten sogar 9,9.

"Es war wunderschönes Wetter und ich war guter Laune, und wie es dann der Teufel mag, der erste Lauf, lockerer geht's gar nicht mehr, glaub ich, 10,2 oder 10,3 und dann hab ich gesagt, Mensch, ob man nicht noch einen einschieben kann, weil ich gemerkt hab, dass ich so unheimlich gut drauf war. Anschließend sind wir noch mal gelaufen und da bin dann 10,0 gelaufen und hatte endlich meinen Weltrekord - hab ich gedacht.

Kein Wind, nichts, im voll besetzte Zeppelinstadion Jubel allenthalben und ein überglücklicher Weltrekordler Armin Hary. Anderntags jedoch wurde die Freude getrübt, die Aschenbahn neu vermessen.

"Und da waren, unter sieben Bahnen waren sechs Bahnen, die alle unter zehn Zentimeter Gefälle hatten, und nur die mittlere Bahn, auf der ich gelaufen bin, hatte elf Zentimeter Gefälle, ein Zentimeter mehr, als was zugelassen war, und da war ich meinen Weltrekord wieder los. Ich glaube in keinem anderen Land der Welt wäre jemand auf die Idee gekommen, die Bahn nachzumessen, aber bitte, im eigenen Land, da war ich endgültig sauer auf den Deutschen Leichtathletik Verband."

Die Verbandsoberen mochten den selbstbewussten und mündigen Sportler nicht, der forderte, die Funktionäre sollten für die Athleten da sein und nicht umgekehrt.

Am 21. Juni 1960 lief die "größte Sprintbegabung aller Zeiten", wie viele Fachleute meinten, in Zürich erneut 10 Komma null. Wieder verweigerten die Funktionäre ihre Anerkennung. Fehlstart behauptete die Kampfrichterjury, obwohl der Starter die Läufer nicht zurückgeholt hatte. Hary gab nicht auf. Von einem Journalisten auf die Möglichkeit eines zweiten Laufes aufmerksam gemacht, trat er 35 Minuten später noch einmal an. Und wieder 10 Komma null Sekunden. Nun musste auch das Kampfgericht den Fabelweltrekord anerkennen.

Einige Wochen später dann holte Armin Hary bei den Olympischen Spielen in Rom gleich zwei Goldmedaillen, einmal mit der 4x100 Meter Staffel und dann auch noch Einzel-Gold über die 100-Meter-Sprintstrecke, was bis heute keinem weiteren deutschen Athleten gelungen ist.

"Rom waren meine Spiele, und das konnte mir niemand nehmen. Ich wollte mich für alles rächen, was sie mir angetan haben, und trotzdem bin ich nicht für mich gelaufen, ich bin eigentlich für Deutschland gelaufen, aber all diese Dinge haben sich nicht gelohnt, und darüber bin ich seit vielen, vielen Jahren, bin ich immer noch 'n bissl traurig.

Auch mit 71 Jahren hat Amin Hary die zahlreichen Demütigungen und Kränkungen während seiner kurzen Sportkarriere nicht ganz verwunden. Mit Hilfe von Unternehmen und Gemeinden fördert er junge Sporttalente, die aus schwierigen Verhältnissen kommen.