James Bond "wird psychologischer, verletzlicher, bodenständiger"

Katja Nicodemus im Gespräch mit Katrin Heise · 31.10.2012
Der neue James Bond "Skyfall" kommt morgen in Deutschland ins Kino. Von dem alten Macho-Bond sei nicht mehr viel übrig, sagt Filmkritikerin Katja Nicodemus. Hauptdarsteller Daniel Craig werde vielmehr zu einem Mann, "der nach seiner Mama schreit".
Katrin Heise: 2012 ist das große James-Bond-Jahr: Seit 50 Jahren rettet der Geheimagent die Welt, in dieser Woche zum 23. Mal. "Skyfall" kommt morgen in die Kinos, und viele Kritiker sagen, das sei einer der besten Bond-Filme. Ich begrüße jetzt die Filmjournalistin Katja Nicodemus. Schönen guten Tag, Frau Nicodemus!

Katja Nicodemus: Hallo!

Heise: Sind Sie auch der Meinung, haben sich vier Jahre Warten auf diesen Bond gelohnt?

Nicodemus: Ja, man muss sagen, zwei Jahre Arbeit am Drehbuch, zwei Jahre drehen und schneiden – ich finde, es hat sich absolut gelohnt. Gut Ding braucht Weil, auch bei James Bond!

Heise: Oder gerade da, wer weiß. Bevor wir uns jetzt über diesen dritten James Bond mit Daniel Craig unterhalten, "Skyfall" vom Regisseur Sam Mendes. Wollen wir mal seine Chefin zu Wort kommen lassen – ich meine jetzt nicht M, die Leiterin des Geheimdienstes MI6, sondern die wahre Chefin, die Produzentin Barbara Broccoli, die seit 1995, nach dem Tod ihres Vaters über Inhalt und Entwicklung von James Bond bestimmt. Sie, Frau Nicodemus, haben sie neulich getroffen. Welchen Blick hat die eigentlich auf die Figur Bond?

Nicodemus: Man muss sagen, sie ist eine ganz reflektierte, sehr kontrollierte, eigentlich fast intellektuelle Frau, und im Gespräch kam eigentlich sofort raus, dass ihr Credo ist, man muss sich unglaubliche Gedanken darüber machen, dass jede Zeit ihren ganz spezifischen James Bond braucht.

Barbara Broccoli: Pierce Brosnan spielte James Bond ganz wunderbar, als Gratwanderung zwischen großer Ernsthaftigkeit und Humor. Die Filme allerdings wurden zu fantastisch, zu effektverliebt, ganz besonders in "Stirb an einem anderen Tag". Und dann geschah die Tragödie von 9/11. Uns war klar, dass dieses Ereignis einen Richtungswechsel erforderte. Bond musste wieder mehr Bodenhaftung bekommen. Zum Glück hatten wir kurz davor die Rechte an dem ersten Bond-Roman "Casino Royale" bekommen. Schon mein Vater und Harry Saltzman wollten dieses erste Buch verfilmen, aber Ian Fleming hatte die Rechte schon an jemand anderen verkauft. Es war also genau die richtige Zeit, um "Casino Royale" endlich zu verfilmen und die sehr persönliche Geschichte von Bonds Bond-Werdung zu erzählen. Und das erforderte die Neubesetzung der Rolle. Daniel Craig war der perfekte Bond des 21. Jahrhunderts, der das Publikum an seinem Innenleben teilnehmen ließ, an seinen Konflikten, an seinem physischen und emotionalen Schmerz. All das ist in den Büchern sehr präsent, aber nicht so sehr in den Filmen.

Heise: Die Produzentin Barbara Broccoli über Daniel Craig als 007. Jede Generation ihren 007, das hat das Publikum ja nicht unbedingt so gesehen, was sie da gesagt hat. Also vielen Zuschauern hat er ja Schwierigkeiten bereitet – zu wenig Ironie, zu wenig Lässigkeit –, das Bondhafte fehlte eigentlich. Ist Ihnen das auch so gegangen am Anfang?

Nicodemus: Also ich habe auch ein bisschen gefremdelt, und ich fremdele wirklich auch bis heute ein bisschen. Sie sagten es ja gerade, bei Connery, Roger Moore und Pierce Brosnan war immer diese Selbstironie: Er kämpfte gegen den Kalten Krieg, aber letztlich war ihm der Kalte Krieg wurscht. Und Sex und Champagner und schöne Autos fahren und die Welt retten, das bewegte sich eigentlich alles auf einer Ebene. Und dann war plötzlich mit Daniel Craig Schluss mit lustig, und da musste man sich erst mal dran gewöhnen, und ich muss sagen, ich fremdele immer noch ein bisschen, aber man gewöhnt sich halt an ihn.

Heise: Der Bond der Innerlichkeit, also der Schmerzensmann, kann man fast sagen. Was, glauben Sie, hat seine Produzentin Barbara Broccoli damit eigentlich bezweckt?

Nicodemus: Also ganz oberflächlich kann man erst mal sagen, eine Modernisierung, das ist klar, aber vielleicht auch so einen kleinen Familienaufstand. Also ich würde gerne so ein bisschen küchenpsychologisch mal werden, weil Barbara Broccoli – Sie haben es ja schon gesagt – hatte die Bond-Rechte von ihrem Vater, Albert R. Broccoli geerbt, und das war so ein Selfmademan, ein italienischer Einwanderer, sehr patriarchalisch, so ein Macho-Mann mit eisernem Willen, und er wollte unbedingt, dass seine Tochter dieses Bond-Erbe übernimmt. Er hat sie jetzt nicht dazu gezwungen, aber es war ganz klar, seit sie klein war, und Barbara Broccoli hat jetzt sozusagen also den größten Macho-Helden der Populär-Kultur von ihrem Macho-Papa geerbt. Und was macht sie? Sie lässt ihn eigentlich erst mal kastrieren, symbolisch, indem sie ihm eine Chefin vorsetzt, eine ganz taffe Frau, Judi Dench wird M, und im ersten Bond, in dem sie auftritt, sagt sie zu Pierce Brosnan: Du bist ein sexistischer, frauenverachtender Dinosaurier. Und im ersten Auftritt von Daniel Craig, also Barbara Broccolis eigenem Bond, den sie intoniert hat, da lässt sie ihm die Eier zerquetschen – das muss man ja so wirklich sagen – in einer Folterszene. Also Kastration auf allen Ebene, und es ist natürlich trotzdem irgendwie ein moderner Bond, er wird psychologischer, verletzlicher, bodenständiger – man kann auch sagen, hier arbeitet sich vielleicht auch eine Produzentin an ihrer Familiengeschichte ein bisschen ab auf intelligente Weise.

Heise: Und dazu hat sie jetzt bei diesem dritten Fall einen Regisseur ans Werk gelassen, der einen Film über einen Mann in der Midlife Crisis gedreht hat, "American Beauty", Sam Mendes. Passt das auch noch da rein?

Nicodemus: Das ist natürlich sehr vielsagend hier, weil die Action-Szenen in dem neuen Bond, die sind natürlich super choreografiert, gerade am Anfang. Aber man muss wirklich sagen, dass Sam Mendes am Innenleben dieser Figur interessiert ist. Seine Geheimdienstchefin M, die lässt ja Bond am Anfang versehentlich erschießen. Sie gibt einen Schießbefehl, nimmt dabei in Kauf, dass Bond getroffen wird. Er ist natürlich nicht tot, er taucht in einem türkischen Badeort wieder auf in einer Strandhütte mit einer Schönen, und er besäuft sich, ja, er lässt sich volllaufen, er lässt sich gehen. Und dieser Bond da mit zugeschwollenen Augen, mit Dreitagebart, ein bisschen verwahrlost, das ist nun wirklich ein Mann, der mit sich und seinem Geheimdienst hadert, und das ist natürlich wieder im Sinne von Sam Mendes ein Mann in der Midlife-Crisis.

Heise: Die Filmkritikerin Katja Nicodemus über den morgen in Deutschland anlaufenden James Bond, "Skyfall". Wie sieht denn jetzt, wenn mal von dem Seelenleben ein bisschen wegrücken, wie sieht denn inhaltlich der neue James Bond aus, "Skyfall"?

Nicodemus: Also ich muss sagen, auch inhaltlich betreibt Barbara Broccoli die Dekonstruktion dieser Macho-Figur weiter, er wird nämlich zu einem Mann, der nach seiner Mama schreit. Also M hat ja Bond bei einem anfänglichen Einsatz verraten und geopfert, und sie hat einen weiteren Agenten vor Jahren geopfert, nämlich Silva, gespielt von Javier Bardem, das ist der Bond-Bösewicht. Und Bond hält M, der Übermutter, der Chefin, trotzdem die Treue, und Silva ist von Rachegelüsten zerfressen. Also es gibt sozusagen im symbolischen Sinne zwei Söhne, die um die Aufmerksamkeit ihrer Mutter buhlen, das ist sehr psychologisch. Und man kann schon sagen, dass eben Barbara Broccoli hier die psychologische Auslegung dieser Figur wirklich ins Extreme treibt, obwohl der Bond wieder unglaubliche Actionszenen hat.

Heise: Actionszenen – und gibt es da überhaupt neben der Mutter auch noch Bond-Girls, oder gar nicht mehr?

Nicodemus: Es gibt sogar zwei Bond-Girls. Ich muss sagen, die eine kann man nicht so ernst nehmen, die wird nach zehn Minuten erschossen, also sie ruhe in Frieden, über die müssen wir jetzt nicht so sprechen, und die andere – das andere Bond-Girl wird gespielt von Naomie Harris, das ist eine moderne, selbstbewusste, im wahrsten Sinn des Wortes schlagfertige Frau. Sie steht Bond auch mit Schusswaffen zur Seite, und das ist auch das Bond-Girl, das 007 zu Beginn versehentlich erschießt. Man kann wirklich sagen, dass auch in Sachen Bond-Girl James Bond hier wirklich in vielerlei Hinsicht in der Hand von Frauen ist, auch in diesem Film.

Heise: Zu einem richtigen Bond gehören noch andere Zutaten, nämlich die Erfindungen. Luxusautos und so weiter – wie haben sich die denn weiterentwickelt?

Nicodemus: Was diese Bond-Ingredienzen betrifft, gibt es eigentlich ein sehr schönes Spiel von Alt und Neu. Bond lässt hier nämlich die supermodernen Luxuskarossen stehen, und er steigt wieder in seinen alten Aston Martin, den er schon 1964 in "Goldfinger" gefahren ist. Und Q, der Bastler, also der Mann, der Bond immer mit diesen ausgetüftelten Waffen versorgt, das ist nun wiederum ein Sprung in die High-Tech-Moderne, der wird nämlich gespielt von Ben Whishaw als Computer-Nerd. Also es gibt ein sehr schönes Spiel zwischen Nostalgie und Modernisierung, das ist ja immer diese Herausforderung bei dieser Bond-Saga.

Heise: Und gibt es auch Action? Ich meine, ich kann mir eigentlich kaum vorstellen, dass es die nicht geben sollte, oder?

Nicodemus: Es gibt natürlich Actionszenen, Barbara Broccoli hat ja auch angemerkt, dass die Bondfilme vielleicht eine Weile auch ein bisschen zu fantastisch und effektverliebt waren. Aber hier hat man den Eindruck, dass die Action gerade zu Beginn sehr physisch und sehr real inszeniert ist. Da gibt es eine Szene, da hackt Bond mit einem Bagger in einen Zug hinein, und man hat wirklich das Gefühl, das Metall birst im Kinosaal. Man hört wirklich die schwere Materialität dieser Gerätschaften. Und es gibt dann später auch eine Szene in der Londoner U-Bahn, da kracht ein U-Bahn-Zug volle Kanne durch die Decke eines Tunnels, und das ist natürlich auch ein sehr interessantes Spiel mit kollektiven Ängsten, also in der Referenz an die Londoner U-Bahn-Attentate, und man kann hier wirklich sehen, wie sozusagen ein populärkulturelles Produkt auf ganz intelligente Weise mit solchen kollektiven Ängsten spielt und sie sozusagen den Zeitgeist auch aufsaugt und damit spielt.

Heise: Also das auch nicht nur vom Charakter her? Ich meine, von diesem, was wir über die Seele da gesagt haben.

Nicodemus: Genau.

Heise: Das hört sich insgesamt aber schon so an, als ob sie am Anfang Schwierigkeiten so ein bisschen überwunden hätten, was den Daniel Craig betrifft?

Nicodemus: Es ist ja so, der neue Bond ist ja immer so, wie wenn man sich an eine Wohnung nach dem Umzug gewöhnen muss, oder wenn die beste Freundin plötzlich einen neuen Freund hat, den man nicht so toll findet. Ich muss sagen, aber jetzt, wo Daniel Craig sozusagen uns gezeigt hat, er nimmt die Welt ernst, er verkörpert sozusagen den neuen Ernst unserer Zeit, hoffe ich dann trotzdem auf einen Bond, der irgendwann wieder auch sich ein bisschen über die Welt lustig macht.

Heise: Also den Nächsten, den 24. vor allem, den erwarten wir schon.

Nicodemus: Wir werden ihn noch erleben!

Heise: Ja. Katja Nicodemus über Daniel Craig als James Bond. Ab morgen läuft "Skyfall" in den Kinos. Ich danke Ihnen, Frau Nicodemus, schönen Tag noch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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