J.J. Abrams/Doug Dorst: "S. - Das Schiff des Theseus"

"Buchkunst ist keine Materialschlacht"

Bleilettern stehen im Museum für Druckkunst Leipzig (Sachsen) in einem Setzkasten
Bei Buchkunst geht es "bestechend gute Typografie, richtig gewähltes Papier und handwerklich gute Bindung", meint Martin Z. Schröder © dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt
Von Martin Z. Schröder · 24.12.2015
Das grafisch schönste Buch des Jahres - so urteilten Kritiker über J.J. Abrams und Doug Dorsts "S. - Das Schiff des Theseus". Der Drucker Martin Z. Schröder widerspricht: Durch "technisches Brimborium" und schrille Effekte entstehe keine Buchkunst.
Der erste Handlungsstrang dieses Romans ist eine fiktive Abenteuererzählung, ausgestattet mit Fußnoten eines fiktiven Übersetzers, der möglicherweise vom fiktiven Romanautor ausgedacht wurde, dessen Identität im Dunkeln liegt. Die zweite Ebene ist grafisch als handgeschriebener Randnotizaustausch von zwei Literaturstudenten dargestellt, die dem Geheimnis der ersten Ebene auf den Grund gehen wollen und um den Text und die Fußnoten herum sowohl inhaltliche Anmerkungen als auch einen Flirt niederschreiben.
"Ein schlechtes Imitat von Leinen"
Um diese Wirrnis attraktiv zu machen, ist das Buch auf alt getrimmt worden. Der Einband ist ein schlechtes Imitat von Leinen mit vorgetäuschter Schriftprägung, die Seiten sehen vergilbt und fleckig aus, und das Buch wurde mit zwei Dutzend Beilagen ausgestattet: Briefe, Postkarten, Fotos, eine bekritzelte Serviette, ein alter Zeitungsausriss, eine Chiffrierscheibe.
Diese Imitation eines vollgekritzelten und mit Zetteln versehenen Bibliotheksbandes von 1949 ließ eine Reihe gestandener Kritiker zu Vokabeln greifen wie Kunst, Bibliophilie, Wunder, Denkmal für das Buch, Schmuckstück für jede Bibliothek usw.
Das Buch ist aber, das wird ganz offen gesagt, von dem Star-Wars-Regisseur J.J. Abrams nur für den Zweck erdacht und beim Co-Autor Doug Dorst und einer Media-Design-Agentur bestellt worden, um es optisch und durch Beilagen aufzubrezeln. Die Inszenierung folgt also nicht einem Text, sondern der Text wurde für einen Budenzauber gezimmert.
"Verbreitete Detailfehler in mittelmäßigem Schriftsatz"
Buchkunst entsteht aber nicht durch technisches Brimborium, sondern durch hohe Handwerkskunst. Wenn diese Literaturkritik sich um Architektur kümmern würde, dann feierte sie die Klinkertapete auf der Betonplatte als Meisterwerk der Baukunst. Ich finde es erstaunlich, daß ein Buch derart gewürdigt wird, weil es verpackt ist wie ein Fantasy-Computerspiel und mit Schnipseln vollgestopft wie ein Puzzle.
Der bibliophile Kenner sieht hier vor allem das Imitat und einige verbreitete Detailfehler in mittelmäßigem Schriftsatz. Die bunten Einlagen sind für einen Connaisseur der Buchkunst wertlos. Kennerschaft zeichnet sich nicht dadurch aus, daß man den schrillen Effekt goutiert, sondern durch einen verfeinerten Geschmack hinsichtlich Material, Entwurf und Ausführung.
Literaturkritikern fehlt die Kompetenz, um typografische Qualität zu erkennen
Der einzige bibliophile Aspekt wären die erwähnten Beilagen. Es gibt nicht viele Bücher, die mit einem so hohen technischen Aufwand hergestellt werden. Die Beilagen müssen ja von Hand ins Buch gesteckt werden, und die Grafiker hatten mit der Imitation eines alten Buches viel Arbeit. Aber in meinen Augen beschreibt der Begriff Buchkunst keine Materialschlacht, sondern die handwerklich feine Formung eines Textes, also bestechend gute Typografie, richtig gewähltes Papier und handwerklich gute Bindung. Intelligenz statt Materialaufwand.
Solche Qualitäten zu erkennen, verlangt es aber Kennerschaft, und Kennerschaft erlangt man durch Vertiefung. Literaturkritiker, die gar keine Kriterien für typografische Güte haben, vermögen sich auch nicht kompetent über Buchkunst zu äußern. Dass sie es nun trotzdem so nachdrücklich tun, finde ich in diesem Fall direkt ärgerlich.
J.J. Abrams/Doug Dorst: "S. - Das Schiff des Theseus"
Aus dem Amerikanischen von Tobias Schnettler und Bert Schröder
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015
544 Seiten 45 Euro
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