J.D. Vance: "Hillbilly-Elegie"

Rausziehen kannst du dich nur selber

Verlassener Wohnwagen in den USA: In solchen Behausungen lebt in Amerika die weiße "Unterschicht"
Verlassener Wohnwagen in den USA: In solchen Behausungen lebt in Amerika die weiße "Unterschicht" © picture alliance / dpa / Jim Lo Scalzo / Ullstein
Von Jörg Magenau · 18.04.2017
J.D. Vance ist ein junger US-Investor, der schon viel Geld verdient und jetzt sogar einen Bestseller geschrieben hat. In diesem spürt er den eigenen Wurzeln nach, die in der weißen Unterschicht liegen. Eigentlich interessant - wenn nur der Unterton nicht wäre.
"Hillbillys" sind - in der Definition von J. D. Vance - Angehörige der weißen Arbeiterschaft ulster-schottischer Herkunft. Sie leben in den Appalachen, waren einst die Tagelöhner der Südstaaten, dann Bergarbeiter, dann Hilfskräfte in den Sägewerken Kentuckys oder in der Stahlindustrie Ohios.
Heute sind sie meist arbeitslos. "Amerikaner nennen sie Rednecks oder White Trash. Ich nenne sie Nachbarn, Freunde und Verwandte", schreibt J.D. Vance, der aus diesem Milieu stammt und mit der "Hillbilly-Elegie" die "Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise" vorgelegt hat.
Es ist eine Autobiographie als berichtendes Sachbuch, ein Genre, das trotz erzählerischer Passagen literarisch eher unambitioniert bleibt. So muss man Sätze ertragen wie diesen: "Als ich begann, mich mit meiner Identität zu beschäftigen, verliebte ich mich heftig in eine Kommilitonin namens Usha."

Das Buch soll zeigen, was den Trump-Wähler antreibt

In den USA wurde das Buch zu einem Bestseller, weil es verständlicher machen möchte, was die Trump-Wählerschaft antreibt und warum sie in diesem pöbelnden Sexisten einen der ihren erkennt. Vor allem aber ist es eine Aufsteigergeschichte, denn J.D. Vance, Jahrgang 1984, hat es zum Jura-Abschluss an der Yale-University gebracht und verdient viel Geld als Investor.
Das gelingt nur wenigen, die aus einer Kindheit voller Gewalt kommen, mit einer drogensüchtigen Mutter und ständig wechselnden Männern an ihrer Seite. Vance weiß, dass heute "viele europäische Länder den amerikanischen Traum besser verwirklichen als Amerika". Aber Amerika träumt dafür besser und hält an seinen Mythen fest.
Vance trägt selbst dazu bei, auch wenn das, was er über den Bodensatz der Gesellschaft zu erzählen hat, wenig erbaulich ist. Am Ende steht sein frohlockendes "Ich habe es geschafft" und das Credo, dass jeder seines Glückes Schmied ist – auch wenn man dazu zugegebenermaßen die richtigen Freunde haben und die Gunst der Stunde nutzen muss.

Großeltern und Schwester retteten Vance

Für Vance bestand diese Gunst vor allem in seinen Großeltern und der älteren Schwester, die ihn vor der mütterlichen Unberechenbarkeit retteten und ihm schließlich für die letzten Schuljahre einigermaßen stabile Verhältnisse boten. Ringsum nichts als Elend: verfettete Frauen, saufende Männer, Kleinkinder, die hungernd und verwahrlost von Haus zu Haus ziehen, Müllhalden, TV-Trash, verrottende Häuschen und schließende Fabriken.
Vance beklagt vor allem den Pessimismus und die verbreitete Initiativlosigkeit. Immer sind die Anderen Schuld: die Konzerne, Präsident Obama oder auch bloß der dreckige Nachbar. Vance setzt dagegen auf die uramerikanische Moral der Eigenverantwortlichkeit, wenn er sagt: "Wir haben diese Probleme selbst geschaffen, und nur wir können sie lösen."
Sein eigene Menschwerdung und Charakterschulung vollzog sich ausgerechnet bei den Marines, wo er sich für vier Jahre freiwillig meldete – Irak-Einsatz inklusive. Was er dort gelernt hat, ist aber nicht nur Durchsetzungskraft und Disziplin, sondern auch ein gehöriges Maß an Selbstgerechtigkeit und Patriotismus.

Weniger Staat, Eigeninitiative und viel Nationalstolz

Das ergibt eine ungute Mischung. Auch wenn er weiß, dass Donald Trump falsche Versprechungen macht und seine Wähler enttäuschen wird, teilt er doch dessen Grundpositionen: weniger Staat, mehr Eigeninitiative und sehr viel Nationalstolz.
Hinter dem Rücken des Autors, der seinem Land mit der eigenen Lebensgeschichte den Spiegel vorhalten möchte, reproduzieren sich die kritisierten Verhältnisse. Mit 33 Jahren ist Vance für eine Autobiographie noch ein bisschen jung. Er scheut sich aber nicht, aus seinem eigenen Erfolg eine ins Fernsehpredigerhafte tendierende Lebensklugheit abzuleiten. Das gibt diesem durchaus interessanten Buch einen unangenehmen Unterton.

J.D. Vance: Hillbilly-Elegie. Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise
Aus dem Amerikanischen von Gregor Hens
Ullstein, Berlin 2017
304 Seiten, 22 Euro

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