IW Köln: Migrationsdebatte schadet Deutschland

Ilona Riesen im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 19.10.2010
Deutschland brauche qualifizierte Zuwanderung und müsse eigentlich dafür werben, um den Fachkräftebedarf zu decken, sagt die Referentin für Integration und Migration am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, Ilona Riesen.
Liane von Billerbeck: In Deutschland sind sie zunehmend Mangelware: Fachkräfte, Ingenieure, Pflegepersonal. Dennoch leistet es sich die Bundesrepublik, die beruflichen Abschlüsse von Migranten nur sehr selten anzuerkennen, und wenn, dann gleicht dieser Weg bis dahin einer Odyssee. Das soll sich durch ein Gesetz ändern. – Wie nötig das ist, das wollen wir im Gespräch mit Ilona Riesen erfahren vom Institut der deutschen Wirtschaft.

Aus Köln ist jetzt Ilona Riesen zugeschaltet, sie ist beim Institut der deutschen Wirtschaft Referentin für Migration und Integration. Ich grüße Sie!

Ilona Riesen: Ja hallo!

von Billerbeck: Waren das eben zwei typische Fälle, wie sie Ihnen in der Praxis begegnen?

Riesen: Eigentlich im Großen und Ganzen ja. Wobei man natürlich einschränken muss: Diese Fälle oder diese Situationen sind typisch für Drittstaatenangehörige, die nach Deutschland einwandern, weil für die ist die Situation mit Anerkennung und Bewertung der ausländischen Abschlüsse am wenigsten geregelt.

von Billerbeck: Das heißt für Bewerber aus den EU-Staaten, da ist es leichter?

Riesen: Da ist es in bestimmten Bereichen leichter. Also Sie merken schon, je weiter wir uns in dieses Thema vertiefen, umso komplizierter wird es auch.

von Billerbeck: In welcher Lage befinden sich denn viele deutsche Unternehmen, weil es eben für Zugewanderte oft schwierig ist mit der Anerkennung ihrer auswärts erworbenen Abschlüsse?

Riesen: In bestimmten Bereichen, das ist ja auch kein Geheimnis, gibt es bereits jetzt Fachkräftemangel, gerade in technischen Bereichen, in Pflegeberufen, im Medizinbereich. Und an dieser Stelle ist es natürlich nicht wirklich hilfreich, wenn die ausländischen Qualifikationen, die in Deutschland ja schon vorhanden sind oder die nach Deutschland geholt werden könnten, in Deutschland nicht verwertet werden können. Dadurch gehen natürlich Potenziale verloren.

von Billerbeck: Es gibt derzeit in Deutschland 400 Beratungsstellen, die Abschlüsse, die im Ausland erworben wurden, überprüfen und feststellen, ob die anerkannt werden können oder nicht. Wie ließe sich denn nun Abhilfe schaffen? Man könnte ja sagen, okay schaffen die alle ab, wir machen eine Stelle und die klärt das. Warum ist das so schwer?

Riesen: Ja das ist tatsächlich nicht so einfach. Die Ausbildungen in bestimmten … oder in allen Berufen ist auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Gesetzen geregelt. Und damit man einen ausländischen Beruf oder einen ausländischen Abschluss anerkennen kann, müssen diese Gesetze irgendwie auf eine gemeinsame Basis gebracht werden. Und in diese Richtung arbeitet tatsächlich momentan die Politik, indem ein neues Gesetz, ein sogenanntes Anerkennungsgesetz auf den Weg gebracht werden soll. Durch dieses Gesetz sollen alle Migrantengruppen einen Zugang zu einem Anerkennungsverfahren bekommen.

von Billerbeck: Nun könnte man ja auch versuchen, diese ausländischen Abschlüsse vergleichbar zu machen mit deutschen, dass man sagt, okay ein kaufmännischer Abschluss aus sagen wir Bangladesch bedeutet das und das. Warum ist das so kompliziert?

Riesen: Ja, das ist tatsächlich sehr kompliziert, denn diese Ausbildungsgänge, also die deutschen Ausbildungen, das deutsche Berufsausbildungssystem im Allgemeinen unterscheidet sich schon relativ stark von anderen Systemen. Es gibt nur in Österreich und in der Schweiz zum Beispiel die duale Ausbildung, in anderen Ländern werden Ausbildungsgänge gerade auf der beruflichen Ebene unterhalb des akademischen Niveaus ganz anders durchgeführt.

Dadurch entsteht natürlich der Bedarf nach einer Einzelfallprüfung. Das heißt, jeder Abschluss aus dem Ausland müsste mit einem deutschen Abschluss beziehungsweise einem deutschen Ausbildungsgang verglichen werden, und da müsste man sich wirklich die Inhalte, die Dauer der Ausbildung anschauen. Und wenn Unterschiede bestehen, dann müsste man diese Lücken – oder dieses Delta, kann man auch dazu sagen – durch Anpassungsqualifizierungen schließen.

Und hier kommen wir schon zu dem nächsten Problem, das aktuell besteht: Anspruch auf eine Anpassungsqualifizierung bei einer teilweisen Anerkennung sozusagen haben momentan nur die EU-Staatsangehörigen. Bei allen anderen Migrantengruppen gibt es keinen Anspruch auf eine Anpassungsqualifizierung, auch bei Spätaussiedlern nicht.

Das heißt, wenn ein Spätaussiedler mit einem ausländischen Beruf nach Deutschland gekommen ist und zum Beispiel nur einen Teil der Berufsausbildung, zum Beispiel den praktischen Teil, in seinem Herkunftsland nicht abschließen konnte, weil die Ausbildung das gar nicht vorsah, dann muss er in Deutschland komplett eine neue Ausbildung abschließen, um in diesem Beruf arbeiten zu können, weil eine Möglichkeit einer Anpassungsqualifizierung gibt es praktisch nie.

von Billerbeck: Nun ist das ja sehr im Interesse der deutschen Unternehmen, dass Migranten ihre Abschlüsse anerkannt bekommen. Wieso sorgen die Unternehmen nicht selbst dafür, dass da eine Nachqualifizierung stattfindet, wenn da möglicherweise ein Bewerber ist, der durchaus passen könnte?

Riesen: Also zum einen gibt es tatsächlich Unternehmen, die dafür sorgen, das heißt, sie stellen auch ausländische Fachkräfte ein, deren Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt worden sind oder nicht anerkannt werden können. Dann qualifizieren sie diese Personen nach. Andererseits ist ein Unternehmen natürlich darauf bedacht, seine eigene Existenz zu sichern, also weiter zu arbeiten.

Und Investitionen in eine Weiterbildung ausländischer Fachkräfte können teilweise eben dadurch vermieden werden, dass deutsche Bewerber da sind oder andere Bewerber mit anerkannten Abschlüssen da sind. Also das Problem liegt eher auf der Seite des Bewerbers im Prinzip in dem Fall, wo sich mehrere Personen auf eine Stelle bewerben, weil dann hat diese Person einfach einen Wettbewerbsnachteil.

von Billerbeck: Trotzdem ist es ja so, dass wir – Sie haben das ja auch erwähnt – in bestimmten Bereichen, also gerade im technischen Bereich, unter Ingenieuren, einen großen Bedarf an Fachkräften haben. Reicht denn das, was jetzt da an neuem Gesetz kommt, dass man also einen Anspruch auf Prüfung hat? Oder gehen die Forderungen der Unternehmen und auch des Instituts der deutschen Wirtschaft noch viel weiter?

Riesen: Ja, also die Erwartung an das neue Anerkennungsgesetz ist natürlich sehr groß. Man hofft, dass durch die Ausweitung des Anspruchs auf ein Bewertungsverfahren natürlich auch die dazugehörige Infrastruktur entsteht, die zum Beispiel bei teilweisen Anerkennungen oder bei teilweisen Lücken in der Ausbildung auch die Anpassungsqualifizierungen zur Verfügung stellt beziehungsweise Hinweise darauf gibt, sodass automatisch im Prinzip ein Weiterbildungsmarkt entstehen könnte, der diese Lücken zwischen der deutschen und der ausländischen Ausbildung schließt.

Und dadurch erhofft man sich dann eben, dass die Fachkräfte nachqualifiziert werden können und schneller einsatzbereit sind, als wenn sie eine neue Ausbildung abschließen müssten, was natürlich auch nicht alle Migranten sich leisten können, wenn sie als Erwachsene bereits zuwandern und eine Familie haben.

von Billerbeck: Wir haben ja in den vergangenen Wochen und Monaten eine emotional sehr aufgeheizte Debatte über Migranten erlebt, also mit den Reaktionen auf Thilo Sarrazins Buch bis hin zu den Äußerungen von Horst Seehofer. Verliert Deutschland dadurch im Ausland an Ansehen, das heißt also, kommen noch weniger Fachkräfte, die sich dann eben eher sagen wir den englischen Markt aussuchen, um dort einzuwandern?

Riesen: Ja, es ist ja so, dass Deutschland natürlich schon immer und gerade mit steigender Globalisierung in einem internationalen Wettbewerb mit anderen europäischen Ländern oder mit den USA oder Australien steht. Und solche Äußerungen, die nach außen durchdringen oder die einfach nur diese Willkommenskultur, die in Deutschland ja eigentlich existieren müsste, um qualifizierte Zuwanderung zu erhöhen, sie schaden dieser Willkommenskultur. Sie führen dazu, dass ohnehin schon eine schwierige Wettbewerbsposition Deutschlands im internationalen Vergleich vielleicht noch mal angeschlagen wird.

Denn Deutschland hat nicht viele Vorteile für Zuwanderer gerade in Bezug auf die Sprache zum Beispiel. Denn in den meisten Ländern ist Englisch die erste Sprache und Deutschland hat schon mal einen Nachteil, einen Wettbewerbsnachteil dadurch, dass man Deutsch extra lernen muss dafür. Und Deutschland braucht natürlich die qualifizierte Zuwanderung, und man müsste im Prinzip, um den Fachkräftebedarf zu decken, für diese qualifizierte Zuwanderung werben. Und das macht man durch solche Äußerungen eben nicht.

von Billerbeck: Ilona Riesen war das vom Institut der deutschen Wirtschaft über das Problem, dass im Ausland erworbene Abschlüsse von Migranten schneller verglichen werden müssen, um anerkannt zu werden. Ein neues Gesetz in Deutschland soll Abhilfe schaffen. Ich danke Ihnen!

Riesen: Ja vielen Dank!
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