Italiens historische Bauwerke zerfallen

Ein kulturpolitischer Skandal

Neapel
Blick auf Neapel © dpa / picture alliance / Andreas Engelhardt
Von Thomas Migge · 22.03.2016
In Italien drohen trotz vorhandener EU-Gelder viele historische Bauwerke zu verfallen. Dies betrifft längst nicht nur die berühmte Stadt Pompeji, sondern ebenso Sizilien oder Neapel. Am Ende verfallen nicht nur Kulturstätten, sondern auch die Zuwendungen der EU.
Pariante: "Das große Problem dieser Stadt ist, dass sie zu viele bedeutende historische Monumente besitzt. Unser Bürgerkomitee versucht seit Jahren die Quadratur des Kreises, um zu retten was zu retten ist, hier in der Altstadt von Neapel."
Antonio Pariante ist Präsident des Bürgerkomitees der Kirche Santa Maria di Portosalvo, die sich aber auch um andere Sakralbauten kümmert. Ein Spaziergang mit dem Kunsthistoriker durch die Altstadt macht den Besucher betroffen.
Pariante präsentiert barocke Kirchen und Paläste, die geschlossen sind und vor sich hin gammeln und um die sich niemand mehr kümmert. Wie zum Beispiel die mit ihrem reichen Fassadenschmuck, Skulpturen und Dekorationen, ungemein elegante Kirche San Giuseppe delle Scalze.

Eigentlich steht ein Batzen Geld zur Restaurierung bereit

Sie ist eines von mehr als 150 katholischen Gotteshäusern, die entweder geschlossen oder nur dank Bürgerinitiativen, an einigen Tagen zugänglich sind.
"Das ist doch absurd. Da kommt man in diese herrlichen Gebäude nicht hinein. Und das, obwohl diese Kirche vor einigen Jahren restauriert wurde, mit öffentlichen Geldern, aber jetzt fehlen Finanzmittel, um sie auch weiterhin Instand zu halten und mit einer Alarmanlage auszustatten. Unsere Situation in Neapel ist total widersprüchlich."
Widersprüchlich, weil es eigentlich einen Haufen Geld für Restaurierungs- und Instandhaltungsarbeiten gibt – oder genauer: gab. Dieses Geld wurde nicht ausgegeben.
Im Fall von Neapel sind es mehr als 100 Millionen Euro, die die Europäische Union zur Rettung des immensen Kulturerbes der Altstadt, seit 1995 Weltkulturgut der UNESCO, zur Verfügung gestellt hatte – und die jetzt, klagt Salvatore Settis, Kunsthistoriker an der Universität Pisa, nach Brüssel zurück überwiesen werden müssen:
"Hier hätte man gleich Projekte erarbeiten müssen, wie diese Gelder ausgegeben werden. Die EU gibt zwar Finanzmittel, aber unter ganz bestimmten Auflagen: werden die Gelder innerhalb eines Zeitraums nicht für bestimmte Kulturprojekte ausgegeben, müssen sie zurück überwiesen werden. Dabei könnte man damit viele Probleme unserer Kulturgüter angehen."
Mechthild Rossler, UNESCO-Direktorin der Abteilung Weltkulturgüter, droht der italienischen Regierung bereits damit, Neapels historisches Zentrum von der Liste der Weltkulturgüter zu streichen - da ja, so Rosslers Vorwurf, nicht nur zu wenig zur Rettung der Kulturgüter getan werde, sondern bereitstehende Gelder nicht genutzt werden. Rossler fordert beim römischen Kulturministerium die Einhaltung des Paragraphen 174 der Konvention zum Erhalt des Weltkulturgutes ein, die ja auch von Italien mit unterzeichnet wurde.

"Der Umgang mit dieser Stadt ist unmenschlich."

Antonio Vitale, Kunsthistoriker, Kulturpolitiker der Sozialdemokraten und Präsident der Associazione Napoli Centro Storico - einer anderen sehr aktiven Bürgervereinigung, die mit ihrer Freiwilligenarbeit einige wenige historische Bauten vor dem endgültigen Verfall zu retten versucht:

"Der Umgang mit dieser Stadt ist unmenschlich. Die Verantwortlichen lassen ihre Geschichte einfach sterben, krepieren. Die EU-Gelder wurden aus reinem Desinteresse nicht ausgegeben. Immer wieder hieß es: darum kümmern wir uns demnächst... Noch nicht einmal das relativ einfach umzusetzende Projekt die vielen Graffiti von historischen Fassaden zu entfernen wurde realisiert."
Auch auf Sizilien werden EU-Gelder nicht ausgegeben. Doch auf Italiens größter Insel liegt das Problem nicht im totalen Desinteresse der Politiker, sondern in einem hahnebüchenen bürokratischen Chaos, erklärt Aurelio Angelini, Direktor der Stiftung Kulturgüter der Unesco auf Sizilien:
"Die Verwaltung der sizilianischen Kulturgüter ist lückenhaft und schlecht. Fast alle Restaurierungsprojekte, die mit EU-Mitteln gerettet werden sollen, wurden unverständlicherweise komplett falsch ausgearbeitet, mit fehlerhaften Angaben zur Realisierung und Finanzierung."

Die Polizei geht davon aus, dass korrupte Kulturpolitiker mafiösen Unternehmen einen guten Teil der 51 EU-Millionen zuschacherten, ohne dass die dafür viel leisten mussten. Staatsanwälte ermitteln bereits gegen Kulturpolitiker und einige Restaurierungsunternehmer. Dabei geht es auch ganz anders. Aurelio Angelini:
"Diese Unfähigkeit im Umgang mit Kulturgütern gibt es allerdings nicht überall auf Sizilien. Im Fall der Barockstadt Noto zum Beispiel wurden sämtliche EU-Finanzmittel rechtzeitig und effektiv eingesetzt. Es muss bei uns ganz generell ein Umdenken einsetzen, denn ohne EU-Mittel läuft hier in Sachen Restaurierung gar nichts."
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