Marit Kaldhol: "Zweet"

Zarte Liebe, Mobbing und Flucht in Fantasiewelten

Marit Kaldhol erzählt eine Pubertäts- und Liebesgeschichte, deren Erzählweise weit weg vom Mainstream der Jugendliteratur führt.
Marit Kaldhol erzählt eine Pubertäts- und Liebesgeschichte, deren Erzählweise weit weg vom Mainstream der Jugendliteratur führt. © imago/Westend61, Mixtvision
Von Sylvia Schwab · 22.09.2017
Die hochgelobte norwegische Jugendbuchautorin Marit Kaldhol stellt in ihrem neuen Roman "Zweet" ein hochsensibles Mädchen ins Zentrum, das in der Schule zum Mobbingopfer wird. Sie öffnet einen Blick in die Seele Heranwachsender. Außergewöhnlich ist nicht Mirjam und der Inhalt des Buchs, sondern vor allem die Sprache.
"Du bist zweet" lautet einer der letzten Sätze dieses Romans, und "zweet" bedeutet "sweet", also süß. Ruben hat ihn auf einen Zettel geschrieben und Miriam zugesteckt. Das lässt auf ein gutes Ende hoffen, aber sicher dürfen wir uns da nicht sein.
Marit Kaldhol erzählt eine ganz außergewöhnliche Pubertäts- und Liebesgeschichte, von ihrer Handlung wie von ihrer Erzählweise her ist sie ganz weit weg ist vom Mainstream der Jugendliteratur: In der Schule schrillt der Giftgas-Alarm, Schüler und Lehrer rennen raus und werden sofort evakuiert. Nur Miriam läuft gegen den Strom und versteckt sich auf dem Dachboden. Sie glaubt an einen Terror-Überfall, spinnt sich in ihre Ängste vor Entführung und Geiselnahme ein und flüchtet sich gedanklich in die Welt der Bienen, von deren Leben im Schwarm sie fasziniert ist. Währenddessen kann ihre Mitschülerin Susann nicht vergessen, was sie und andere Miriam vor einem Jahr angetan haben. Und Ruben aus Cuba erzählt, wie er Miriam damals gerettet und auf zärtlich-behutsame Weise lieb gewonnen hat.

Traumatisiert durch Mobbing

Außergewöhnlich ist nicht nur Miriam, die im Zentrum des Romans steht. Sie ist extrem verhaltensauffällig und Mobbingopfer, durch den gemeinen "Vorfall" mit ihren Klassenkameraden wurde sie tief traumatisiert - ein hochsensibles Mädchen, dessen Bienen-Tick ihr hilft, in der Welt der Schule zu bestehen. Außergewöhnlich sind auch die beiden anderen Protagonisten: Susann, die unter der Last der Schuld fast zerbricht und Ruben, der eine eigene Immigranten- und Außenseitergeschichte mit sich herumträgt. Außergewöhnlich ist aber vor allem Marit Kaldhols Erzählweise.
"Zweet" ist aus der Perspektive der drei Protagonisten erzählt, nicht abwechselnd, sondern in großen Erzählblöcken. Jeder der drei hat seinen ganz eigenen, sehr besonderen Ton. Miriam erzählt alarmiert, atemlos, hypersensibel, in kurzen, fast gedichtähnlichen Abschnitten und in einer konzentriert-poetischen Sprache. Bohrende Fragen, intensive Bilder, rhythmische Wiederholungen, verblüffende Formulierungen und unzählige Anspielungen auf die Welt der Bienen spiegeln ihre zersplitterte Wahrnehmung, aber auch ihre ungebrochene Identität.

Gestörte und weiche Seele

Susann geht klar und hart mit sich selbst und ihren Mitschülern ins Gericht und charakterisiert Miriam als unangepasste Außenseiterin, die gemobbt wurde, weil sie nicht so sein konnte und wollte wie alle anderen. Und Rubens Erzählung klingt feinfühliger als die von Susann, aber nicht so introvertiert und lyrisch wie Miriams Bewusstseinsstrom.
Jugendliche Leserinnen und Leser könnten diesen Roman als handlungsarm und überkonstruiert empfinden, wenn sie nicht die Geduld aufbringen, sich auf die Romanfiguren und die Sprache einzulassen. Nur wem das gelingt, wird sich Miriams gestörte und zugleich so wunderbar weiche Seele öffnen. Wieder einmal beweist der Mixtvision Verlag Mut und das Gespür für das Besondere, denn tatsächlich hat Marit Kaldhol sich selbst, ihren Figuren und ihren Lesern viel zugemutet - und zugetraut!

Marit Kaldhol: Zweet
Aus dem Norwegischen von Maike Dörries
Mixtvision Verlag, München 2017
204 Seiten, 12,90 Euro, ab 14 Jahren