Italiener Ippolito Nievo

Dorfgeschichten eines Freiheitskämpfers

Blick über Weinberge auf ein Dorf mit Kirchturm im Friaul
Idylle im ländlichen Friaul © picture-alliance / dpa / Udo Bernhart
Von Maike Albath · 08.04.2015
Mit dem Erzählungsband "Am Ufer des Varmo" sind drei berückende Dorfgeschichten des italienischen Intellektuellen Ippolito Nievo erstmals auf Deutsch erschienen. Mit literarischen Mitteln wollte er der Demokratie in seinem Land auf die Sprünge helfen - bevor er mit 29 Jahren 1861 im Freiheitskampf fiel.
Er war ein kämpferischer Intellektueller, leidenschaftlicher Verfechter der italienischen Einigung und wollte mit Büchern auf seine Landsleute einwirken: der Schriftsteller Ippolito Nievo. Mütterlicherseits als Abkömmling eines venezianischen Patriziergeschlechts 1831 in Padua geboren, hatte er 1848 an den erfolglosen antiösterreichischen Aufständen in Mantua teilgenommen, erste Gedichte verfasst, seinen Stil an Liebesbriefen geschult und nach dem Jura-Studium mit der Arbeit an mehreren Romanen begonnen. Nebenbei belieferte er Zeitschriften mit Artikeln und Erzählungen. Seine Lieblingsschauplätze waren das ländliche Friaul seiner Kindheit und Venedig, dessen dekadente Führungsschicht ihm exemplarisch für die fatale Haltung der italienischen Aristokratie schien.
Nach seinem rasanten Debüt "Ein Engel an Güte" (1856) und dem posthum erschienenen grandiosen 1500-seitigen Hauptwerk "Die Bekenntnisse eines Italieners" (1867), einer atemberaubenden Mischung aus Abenteuergeschichte, Schauermärchen, Memoirenliteratur und ländlichem Sozialroman, die beide bei Manesse vorliegen, liefert jetzt der Folio Verlag drei berückende Dorfgeschichten nach, die erstmals auf Deutsch zu entdecken sind: "Am Ufer des Varmo" heißt der Erzählungsband.
Der Erzähler schlägt einen humorvoll-verschmitzten Tonfall an, wartet mit lebhaften Dialogen und farbenprächtige Landschaftsbeschreibungen auf, beugt sich mitunter ironisch über sein Personal und zielt auf die Belehrung seiner Leser. Nievo ist bewusst antielitär, was sich auch auf die Wahl seiner Sujets und der Helden niederschlägt: In der Titelgeschichte geht es um einen Müller, dessen missgünstige Frau der gemeinsamen Tochter alle Freiheiten lässt, sie viel zu sehr verwöhnt und damit für das tätige Leben verdirbt.
Herzensgüte wird vom Schicksal belohnt
Eine andere Familie, in der jeder Verantwortung übernimmt, seinen Aufgaben nachgeht und Wertschätzung erfährt, gewinnt Modellcharakter und deutet auf Nievos Verständnis von Gemeinwohl hin. Von Rousseaus pädagogischem Entwurf des unverdorbenen "homme naturel" hielt der Schriftsteller gar nichts – im Gegenteil, Erziehung und Bildung standen für ihn im Zentrum.
In "Die Heilige aus Arra" kommt ein Graf vor, der sein Vermögen verprasst hat und nun vom Geld seines Dienstmädchens lebt. Gerade weil Santina mit ihrer Herzensgüte nie an sich selbst denkt, wird sie am Ende vom Schicksal belohnt. Die dritte Geschichte erzählt mit bissigen Seitenhieben auf die Selbstgefälligkeit der bürgerlichen Klasse von der sittlichen Kraft der Liebe eines Bauernmädchens. Das didaktische Element gewinnt mitunter ein allzu großes Gewicht, und manche Passagen sind eine Spur zu schematisch gearbeitet, aber Nievo rettet sich durch sein komödiantisches Talent, die goldonihaften Figuren und seine einprägsamen Schilderungen.
Der Schriftsteller war von einer tiefen demokratischen Gesinnung getragen und wollte der Entstehung der Nation Italien mit literarischen Mitteln auf die Sprünge helfen. Mit Garibaldis Freiheitskämpfern unterwegs nach Süditalien, kam er am 4. März 1861 mit nur 29 Jahren auf der Überfahrt von Palermo nach Neapel ums Leben. In seinen Werken sind seine Ideen von Gemeinsinn und einem guten Leben allgegenwärtig.
Ippolito Nievo: Am Ufer des Varmo. Dorfgeschichten
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
Folio Verlag, Wien/Bozen 2015
199 Seiten, 19, 90 Euro


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