Italien spart sich die Forschung

Von Thomas Migge · 16.07.2012
Erst strich Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi die staatlichen Hochschulen zusammen. Nun legt sein Nachfolger Mario Monti nach: 200 Millionen Euro jährlich sollen die Unis weniger bekommen. Junge Wissenschaftler kehren Italien daher zunehmend den Rücken.
Marina Montresor leitet das ökologische Laboratorium der "Stazione Zoologica" in Neapel. Kürzlich stellte sie einen neuen Mikrochip für Algen vor.

"Bei diesem Projekt geht es um die Erforschung von Mikroalgen. Wir entwickelten einen Mikrochip, der die Algen nach Giften untersucht, die der Mensch ins Wasser bringt und die über die Algen in den Nahrungskreislauf der Fische gelangen. Wir wollen diesen Giften im Wasser auf die Spur kommen."

Marina Montresor berichtete von neuen Forschungsprojekten ihres Instituts - nicht ahnend, welches finanzielle Unwetter bald schon über sie und ihre Kollegen hereinbrechen würde.

Die "Stazione Zoologica" ist Italiens wichtigstes Meeresforschungsinstitut. 1872 wurde es von dem deutschen Forscher Anton Dhorn gegründet. Finanziell ist das Institut - bis auf EU-Gelder für bestimmte Forschungsprojekte - komplett vom staatlichen Bildungsministerium abhängig.

Dasselbe gilt auch für das Italienische Nationalinstitut für germanistische Studien in Rom. Es wurde 1931 gegründet und ist in einer herrschaftlichen Villa im Park Sciarra untergebracht. Von der Terrasse hat man einen der schönsten Blicke auf das historische Rom. Dieses kleine, aber feine Institut verfügt über die umfangreichste deutschsprachige Bibliothek, rund 70.000 Bände, im gesamten Mittelmeerraum. Institutsleiter Fabrizio Cambi fürchtet, ebenso wie Marina Montresor in Neapel, um das Überleben seiner Forschungseinrichtung:

"Stellen Sie sich vor: Wir haben ein jährliches Budget von 680.000 Euro. Davon geben wir mehr als 400.000 Euro für Personalkosten aus. Was bleibt also für die Forschung übrig? Ab jetzt haben wir eine Reduzierung von 20.000 Euro bereits für dieses Jahr, also ab sofort. Wir haben auch erfahren, dass wir nächstes Jahr 55.000 Euro Reduzierung haben werden."

Ist der italienische Staat wirklich schon so arm, dass er in Sparkategorien von 20.000 Euro hier und 50.000 Euro da denken muss? Fabrizio Cambi antwortet auf diese Frage nicht. Aus verständlichen Gründen. Schließlich will er Francesco Profumo nicht verärgern. Der ist Minister für Bildung und Forschung.

Minister Profumo will aber nicht nur die staatlich finanzierte Meeres- und die germanistische Forschung finanziell beschneiden. Insgesamt zwölf Forschungsinstitute, die primär von staatlichen Geldern abhängig sind, bekommen weniger Geld. Ab sofort.

So muss zum Beispiel auch das Nationale Forschungsinstitut für Meteorologie mit rund einer Millionen Euro weniger auskommen - bei einem jährlichen Gesamtbudget von bisher 18 Millionen. Und das in einem Land, das wie kein zweites in Europa unter den Folgen des Klimawandels leidet und auf wissenschaftliche Expertisen für künftige Wetterszenarien angewiesen sein dürfte.

Der Minister kürzt auch in anderen zukunftsträchtigen Bereichen. Der nationale Wissenschaftsrat CNR, vergleichbar dem deutschen Max-Planck-Institut, die italienische Weltraumbehörde und auch das international hoch angesehene Nationalinstitut für Nuklearphysik: Sie alle müssen mit immer weniger Geld auskommen. Und das in einer Zeit, klagt Fabrizio Cambi, in der wissenschaftliche Entwicklungen für die globale Konkurrenzfähigkeit eines Landes extrem wichtig sind:

"Ich gehe davon aus, dass man die Qualität der Forschung bewerten sollte, und aufgrund der Bewertung sollte man eben auch die angemessene Finanzierung gewährleisten."

Aber das ist nicht der Fall. Um vier bis elf Prozent werden die Budgets aller Forschungseinrichtungen im kommenden Jahr zusammengestrichen. Wie es heißt, müssen dann auch die staatlichen Hochschulen mit weniger Geld auskommen. Von zirka 200 Millionen Euro ist die Rede. Angesichts der Kürzungen unter den Berlusconiregierungen haben viele Universitäten, wie beispielsweise "La Sapienza" in Rom, mit rund 200.000 Studierenden Italiens größte Hochschule, schon jetzt enorme logistische Probleme.

Bildungs- und Forschungseinrichtungen werden infolge des neuen Sparkurses der Regierung Monti sogar bereits laufende internationale Forschungsprojekte streichen müssen. Eine Folge wird die sogenannte "Flucht der Hirne" sein. Immer mehr hoch qualifizierte Nachwuchswissenschaftler gehen ins Ausland, um dort Arbeit und eine angemessen Vergütung zu finden.

Dass Mario Monti diesem Exodus nichts entgegensetzt, sei, so ein Sprecher der Universität Rom, eine bittere Enttäuschung. Bedenklich ist auch, dass die zirka 200 Millionen Euro, die die Regierung im Hochschulsektor einsparen will, an katholische Privatschulen überwiesen werden sollen. Die staatliche Finanzierung solcher privater Bildungseinrichtungen ist der Verfassung nach verboten. Aber das scheint den praktizierenden Katholiken Monti nicht zu stören.


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