Istanbul

"Schule will intolerante Doktrinen durchsetzen"

Schild am Eingang der Lisesi Schule in Istanbul
Gibt es ein Weihnachtsverbot an der Lisesi-Schule in Istanbul? © dpa / picture alliance / Linda Say
Omid Nouripour im Gespräch mit Britta Bürger · 18.12.2016
"Weihnachtsverbot" an einem deutsch-türkischen Gymnasium in Istanbul? Für den Grünen-Politiker Omid Nouripour ist das völlig inakzeptabel. Und er sieht einen klaren Zusammenhang mit der türkischen Innenpolitik: "Es ist sehr eindeutig, dass im Bildungsbereich gerade massiv aufgeräumt wird, im schlechtesten Sinne und im Sinne der AKP."
Britta Bürger: Heute hat sich mal wieder gezeigt, wie ein kleiner Aufreger schnell zu einem großen wird. An einem deutsch-türkischen Elite-Gymnasium in Istanbul wurden die Lehrerinnen und Lehrer in einer E-Mail angewiesen, in ihrem Unterricht ab sofort nicht mehr über Weihnachten zu reden, keine Weihnachtsbräuche, nichts rund um das christliche Fest. Außerdem soll die türkische Schulleitung die Teilnahme des Schulchores am traditionellen Weihnachtskonzert im deutschen Generalkonsulat unterbunden haben. In Deutschland ist die Empörung groß, bis hin zum Auswärtigen Amt. Am "Fazit"-Telefon ist der Grünen-Politiker Omid Nouripour. Er ist der außenpolitische Sprecher seiner Fraktion. Guten Abend, Herr Nouripour!
Omid Nouripour: Schönen guten Abend!
Bürger: Inzwischen hat die vom türkischen Bildungsministerium eingesetzte Schulleitung diese E-Mail dementiert, der Deutschen Presseagentur lag sie aber vor, auch "Spiegel Online" hat den Vorfall von deutschen Lehrern des Gymnasiums bestätigt bekommen. Was hören Sie denn, was ist dran an dieser Geschichte?
Nouripour: Das, was dort Dementi genannt wird, ist ja auch nicht besonders fest, sage ich mal. Da wird eigentlich nur mehr oder minder gesagt, was sollen wir denn tun, wir müssen nun mal gegen Missionierung vorgehen. Damit wird durch die Blume gesagt, das Sprechen über Weihnachten Missionierung wäre fürs Christentum, was nun wirklich abenteuerlich ist. Und deshalb gibt es jetzt eigentlich keinen Grund, darüber nicht traurig zu sein, dass an einer Schule, die auch noch vom deutschen Steuerzahler mitfinanziert wird, jetzt solche Riten einziehen.
Bürger: Dieses Gymnasium ist ja sehr renommiert. Dort werden ausschließlich türkische Schüler unterrichtet, die Besten der Besten. Viele Fächer werden auf Deutsch unterrichtet. Was für ein Signal gibt denn die Schulleitung damit.
Nouripour: Das sind ja verschiedene Signale. Das eine ist, nach dem Putsch gab es ja und gibt es ja weiterhin eine ausgesprochen unverhältnismäßige Reaktion des türkischen Staates, bei aller Illegitimität des Putsches. Und die Hauptzielfelder sind Wissenschaft und Bildung. Es ist sehr eindeutig, dass im Bildungsbereich gerade massiv aufgeräumt wird, im schlechtesten Sinne und im Sinne der AKP. Und diese vielen Eliteschulen, die es gibt in Istanbul, aber auch in anderen großen Städten, sind ja immer so was wie Bastionen des Säkularismus auch. Und gegen die wird vorgegangen. Das zweite Signal ist natürlich aber in Richtung Deutschland, dass man nämlich die Front vorverlagert, also es ist ja permanent so, dass, wenn in Deutschland eine Äußerung kommt, die der AKP-Führung nicht gefällt, dass man dann irgendeine überzogene Reaktion an irgendeiner Stelle sieht. Und auch das ist wiederum ein Signal, dass man jetzt eigentlich damit nichts zu tun haben will. Aber ehrlich gesagt ist das fatalste Signal, wenn Sie mich fragen, auch eines, was in Deutschland selbst tatsächlich ausgelöst werden kann. Ich bin selbst Moslem. Ich erwarte, dass in der Bundesrepublik Deutschland Praktiken und Riten meiner Religion akzeptiert werden, sobald sie im Rahmen des Grundgesetzes sind. Aber genau dasselbe erwarte ich von der Türkei auch, und zwar für alle Religionen. Und genau setzt sich jetzt der Hebel an. Ich kann Ihnen berichten von vielen Hate-Mails und Hass-Kommentaren, die ich im Laufe dieses Tages bekommen habe, auch von rechten Deutschen, die sagen, so ist doch eure Religion, was wollt ihr denn eigentlich.

"Die Türkei entwickelt sich zurück"

Bürger: Hierzulande hat es ja lange gedauert, bis man im Unterricht selbstverständlich auch über den Ramadan, über Hanuka gesprochen hat. Was bedeutet denn dieser Vorfall dann für den interkulturellen Austausch an einer Schule, die so eine lange, über hundert Jahre alte, deutsch-türkische Tradition hat?
Nouripour: Das ist ja das Traurige. Wir kommen in Deutschland weiter, und die Türkei entwickelt sich zurück an der Stelle. Es gibt eine so schöne alte Tradition von Zusammenleben friedlicher Art der Religionen, von gegenseitiger Toleranz. Dass sogar die zweifelhaftesten Paschas am Ende an ihrem Hof Leute hatten, egal welcher Religion, Hauptsache, die konnten was. Und das wird gerade ganz massiv abgewickelt, auch deswegen, weil innerhalb der regierenden AKP-Partei es so was gibt wie einen islamistischen Flügel, die lieber mit dem IS paktieren, als dass die den Friedensprozess mit den Kurden fortsetzen. Und das ist ein Riesenproblem.
Bürger: Sie haben es gesagt, Deutschland finanziert diese Lehrerinnen und Lehrer, 35 sind es im Moment, die werden aus Deutschland entsendet auf der Grundlage eines Kulturabkommens, das seit 1957 zwischen Deutschland und der Türkei existiert. Und darin heißt es, die Vertragsparteien werden bemüht sein, sich gegenseitig dabei zu unterstützen, ihren Völkern die Kenntnis der Kulturgüter des anderen Landes zu vermitteln. Das Verbot, Weihnachten zu thematisieren, ist mit diesem Kulturabkommen wohl kaum vereinbar.
Nouripour: Nein, mitnichten, natürlich ist Weihnachten ein fester Bestandteil auch der deutschen Kultur und natürlich auch des Christentums. Aber wie gesagt, ich bin Moslem, ich werde natürlich wie jedes Jahr Heiligabend mit meinen Kindern in der Kirche sein, und wir werden die schönen Lieder singen, die es dort gibt. Das ist einfach nicht nur religiös, das ist auch selbstverständlich ein Teil der Kultur in diesem Land, und deshalb ist das, was in diesem Vertrag damals guten Willens vereinbart worden ist, nicht – es wird im Gegenteil massiv verletzt, und es ist ein Verbot von harmlosen, wunderschönen Elementen unserer Kultur und des Christentums.
Bürger: Was erwarten Sie jetzt von der Bundesregierung?
Nouripour: Die Bundesregierung muss sehr klar machen, dass das so nicht geht. Da geht es ja nicht nur um die Feier. Sie haben es ja gesagt, da geht es um Gesänge, aber auch ums Vermitteln dessen, worum es eigentlich geht, nämlich um die Geburt von Christus – im Übrigen ein Prophet, dessen Geburt auch gefeiert wird im Koran. Wenn die Bundesregierung das nicht durchsetzen kann, dann muss sie diese Finanzierung einstellen. Es kann doch nicht sein, dass die deutschen Steuerzahlerinnen, Steuerzahler für eine solche Schule, die solche intolerante Doktrinen da durchsetzen will, tatsächlich auch noch bezahlen.
Bürger: Es ist ungeheure Empörung heute über den Tag entstanden zu diesem Vorfall. Was sagt das aus über das aktuelle Verhältnis dieser beiden Länder, Deutschland und Türkei?
Nouripour: Das zeigt natürlich, dass wir unglaublich miteinander verflochten sind erst mal. Also das ist das Gute daran. Wenn es ein Land ganz weit woanders wäre, würde man sagen, das ist sehr schlimm, aber Gott, ist halt so. Wir sind mit der Türkei verbunden, kulturell, wir sind natürlich geostrategisch verbunden, aber wir sind vor allem über die Bevölkerungen massiv miteinander verbunden, und deshalb ist ja das Unverständnis gerade so riesig in Deutschland über die Entwicklung in der Türkei. Wie viele Leute haben sich so sehr gefreut, als die letzten Jahre es eine Annäherung gab an die Europäische Union? Ja, wir haben sehr viel falsch gemacht im Umgang mit der Türkei, wir haben der Türkei immer wieder Signale gegeben, dass wir sie eigentlich nicht in der Europäischen Union haben wollen, was ich immer falsch fand, dass wir diese Signale setzen. Aber unter dem Strich ist es ja nicht so, dass man einander das Schlechte gewollt hat. Und jetzt ist es so, dass Erdogan ganz viel Porzellan zerschlägt, was er aber auch deswegen macht, weil unsere Bundesregierung eigentlich viel zu lange über viel zu vieles geschwiegen hat, was man hart und heftig hätte kritisieren müssen.
Bürger: Der Grünen-Politiker Omid Nouripour über das sogenannte Weihnachtsverbot an einem Istanbuler Gymnasium. Herr Nouripour, besten Dank fürs Gespräch!
Nouripour: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema