Ist Gott allmächtig?

Von Andreas Malessa · 11.09.2010
Wie groß ist die Macht Gottes? Professor Peter Bubmann vom religionspädagogischen Institut der Universität Erlangen hält die Vorstellung vom allmächtigen Herrscher für eine Projektion menschlicher Fantasien. Für ihn ist Gott auch der als hilfloses Flüchtlingskind geborene Jesus.
"Ich glaube an Gott, den Allmächtigen"

So sprechen es Milliarden Christen auf der Welt an jedem Sonntag im sogenannten "Apostolischen Glaubensbekenntnis". Aber : Glauben sie es auch ? Und wenn ja, was heißt das, "Gott ist allmächtig"?

"Als Abraham 99 Jahre alt war, erschien ihm der Herr und sagte zu ihm: 'Ich bin der Gott, der Macht hat über alles. Wo Du auch bist – lebe mit mir und tue, was recht ist.'"

Das staunende Betrachten der Ehrfurcht gebietend schönen und großartigen Schöpfung ist die nahe liegendste Quelle des Attributs "allmächtig": Wer das erschaffen hat, kann auch sonst alles. So die Vermutung. In den ältesten Texten der hebräischen Bibel wird Gottes Allmacht aber weniger aus der Natur abgeleitet, als vielmehr aus seinem politischenEingreifen. Und - sie wird bereits bezweifelt:

"Da rief Mose zum Herrn : 'Seit ich beim Pharao war, unterdrückt er mein Volk nur noch härter. Und Du unternimmst nichts, um uns zu helfen!' Der Herr antwortete: 'Wenn er meine Macht spürt, wird er sogar froh sein, Euch loszuwerden.'"

Professor Peter Bubmann vom religionspädagogischen Institut der Universität Erlangen hält die Vorstellung von Gott als allmächtigem Herrscher für eine Projektion menschlicher Allmachtsfantasien :

"Weil dieses Gottesdenken, was dahinter steckt, damit arbeitet, dass wir eine menschliche Eigenschaft - nämlich dass jemand Macht hat, etwas durchzusetzen immer noch höher, noch größer machen und auf Gott projizieren. Dass wir Gott in einer Art und Weise denken als allmächtigen Herrscher nach dem Vorbild eines Diktators, der alles bewegen kann, alles tun kann, aber auch willkürlich alles tun kann. So ist der Allmachtsbegriff im Glaubensbekenntnis gerade nicht zu denken. Dass Gott ganz willkürlich einmal schaden, einmal nützen könnte ; dass er seine eigenen eingegangenen Versprechungen wieder zunichte machen könnte ; sich nicht daran hält, was er verheißen und versprochen hat – sondern Allmacht muss etwas anderes heißen."

Im Alten Testament heißt sie aber offenbar genau das: herrische Souveränität. 37-mal wird Gott dort als "der Allmächtige" tituliert, 29-mal davon im Buch Hiob. In der Geschichte jenes wohlhabenden Familienvaters also, der erst seinen Besitz, dann Frau und Kinder, schließlich seine Gesundheit verliert und zum Schluss die Auskunft erhält: Du bist zu klein, um Gott zu Rechenschaft zu ziehen.

Wenn Gott "allmächtig" ist, ist er auch für alles verantwortlich. Jedes Missgeschick, jede Krankheit, jeder tragische Tod und jede große Katastrophe setzen ihn auf die Anklagebank mit der Frage: Wie konntest Du das zulassen ?!

Die gängige Antwort auf diese sogenannte "Theodizee"-Frage nach der Rechtfertigung Gottes lautet: Der Mensch besitzt Willensfreiheit und Selbstbestimmungsrecht, kann und darf sich also auch für das Böse entscheiden, Gott muss da halt bisweilen machtlos zuschauen. Diese Logik versagt aber völlig, wenn Kinder Krebs haben, wenn ein Erdbeben oder ein Tsunami Hunderttausende dahinraffen.

Peter Bubmann: "Diese sogenannte Theodizee-Erklärungstheorie kann nicht wirklich überzeugen. Wir wissen es nicht, warum es so ist. Wir wissen nur, dass es innerhalb dieser für uns oft unerklärbar bleibenden Welt doch eine Geschichte des Eingreifens Gottes gibt, die gegen alle destruktiven Erfahrungen daran festhält: Es gibt wieder neue Lebensmöglichkeiten. Allmacht muss etwas anderes heißen, dass Gott nämlich wirklich die Macht der Liebe besitzt, um die Kraft der Liebe, die er in der Geschichte der Propheten und seines Volkes Israel und dann vor allem in Jesus Christus gezeigt hat, auch wirklich durchzusetzen im Laufe der Zeit. Eigentlich ist der Begriff "Gott der Allmächtige" ein Hoffnungsbegriff, den die verdrehen, die ihn im Glaubensbekenntnis aussprechen : Nämlich die Hoffnung darauf, dass sich die Kraft der Liebe durchsetzen wird."

"Als sie in Bethlehem waren, brachte Maria ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe im Stall, denn sie hatten im Gasthaus keinen Platz bekommen. Bei der Beschneidung acht Tage später gab man dem Kind den Namen Jesus. Als Maria und Joseph das Kind in den Tempel brachten, nahm Simeon es in seine Arme und lobte Gott: 'Jetzt kann ich in Frieden sterben, denn ich habe den Befreier gesehen, den Du der Welt gegeben hast, er ist das Licht für alle Völker und der Ruhm für Dein Volk Israel.'"

Das wird vor lauter Weihnachtsrührseligkeit meist überlesen: Der "allmächtige" Gott kommt nicht als Feldherr himmlischer Engelslegionen angeritten, sondern betritt als neugeborenes Flüchtlingskind die irdische Bühne. Ein Baby ist physisch ohnmächtig, deshalb aber keineswegs "machtlos". Wenn junge Eltern x-mal pro Nacht aufstehen, dann tun sie das, ihrer Liebe gehorchend, aus Mitgefühl und schlichter Menschlichkeit. Diese "Machtausübung durch Ohnmacht" nennen Theologen die "Kondeszendenz Gottes".

Gemeint ist: Das Herabkommen, der Abstieg, das Menschlichwerden Gottes. Sein Entschluss, allein über die Herzen der Menschen Einfluss auszuüben. Folgerichtig wird nur in einer einzigen der 27 neutestamentlichen Schriften der Bibel Gott als "allmächtig" bezeichnet.

Peter Bubmann: "All diese Begriffe, die mit 'all-' anfangen sind immer solche Projektionen, dass man eine positive Eigenschaft menschlich gedacht aufbläht, größer macht, immer noch größer macht und dann sagt: In der größten Fassung ist es dann Gott! Ich glaube, davon muss man sich verabschieden. Das ist ein philosophisches Gottesdenken, was aber nicht der Logik der geschichtlichen Erfahrung Gottes entspricht."

Für den von Professor Bubmann empfohlenen Abschied aus tradierten triumphalistischen "Allmachts"-Vorstellungen könnte es einen guten Grund geben : Den viel zitierten "Christushymnus" aus dem Brief des Paulus an die Philipper. Das Credo vom Machtverzicht und Mitleiden Gottes:

"Obwohl Jesus Christus in allem Gott gleich war und Anteil an Gottes Herrschaft hatte, bestand er nicht auf Vorrechten, sondern verzichtete darauf und wurde rechtlos wie ein Sklave. Er wurde wie jeder andere Mensch geboren, lebte als Mensch unter Menschen, er erniedrigte sich selbst und gehorchte Gott bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuz."

Warum beten Milliarden Christen auf der Welt an jedem Sonntag dann nicht "ich glaube an Gott, den aus Liebe zeitweilig Ohnmächtigen, aber Machtvollen" ?

Peter Bubmann: "Wenn sich alle Christen darauf einigen könnten, könnten wir das so abändern!"