Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen? …

Von Rolf-Bernhard Essig · 06.06.2008
Diesmal geht es um die Redensarten: Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?, Wie ein geölter Blitz, Wie der Herr, so’s Gescherr, Das ist mir zu vigelinsch, Immer der Nase nach, Zur Salzsäule erstarren u.a.
Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?

Das Sprachbild ist einprägsam und treffend für einen Menschen mit einer plötzlichen Stimmungsschwankung. Fast jeder kennt das Gefühl, wenn es im Bauchbereich kribbelt, als laufe dort ein Insekt. Da die Leber seit der Antike und noch weit nach dem Mittelalter als Sitz der Seele und des Temperaments galt, sprach man von ihr und nicht vom Bauch allgemein. Warum aber eine Laus? Das Tierchen passt mit seinem anlautenden "L" natürlich gut zur gleich beginnenden Leber, und in "gelaufen" tönt das "l" ebenfalls. Das allein reicht nicht zur Erklärung, denn vor kurzem lernte ich, dass auch in der Ukraine, wo es nicht so schön gleichklingt, wörtlich heißt, eine Laus sei jemandem über die Leber gekrochen. Es geht bei der Laus vor allem um die Geringfügigkeit, die den Stimmungswandel ausgelöst hat. Schließlich verwendet man den Spruch vorwurfsvoll, ähnlich wie "Was bist du für eine beleidigte Leberwurst!". Man kritisiert also, dass sich jemand über lauswinzige Kleinigkeiten aufregt.

Wie ein geölter Blitz

Schnelligkeit ist keine Hexerei, aber in diesem Fall scheint es nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Wer könnte schon einen Blitz ölen? Der Volksmund liebt es, Wendungen auszuschmücken, am besten witzig. "Blitzschnell" kennt jeder, "wie ein Blitz aus heiterem Himmel" ebenfalls. Die Plötzlichkeit und Geschwindigkeit, die damit ausgedrückt werden, konnte man im Bereich der Maschinen durch Ölen erreichen, das die Gleitfähigkeit der im Verbund arbeitenden Einzelteile verbesserte oder erst herstellte. Der extrem schnelle Blitz erhält also sprachlich zusätzliches Tempo durch die Ölung. Dass die Wendung in der Regel spaßhaft gebraucht wird, versteht sich.

Wie der Herr, so’s Gescherr

Ein wenig altmodisch ist der Ausdruck schon geworden, zumal das Wort "Herr" selbst nicht mehr so häufig zu hören ist und "Gescherr" nur noch in dieser Wendung überlebt hat. Es handelt sich um eine Lautvariante von "Geschirr". Im "Geschirr", den meist ledernen Zugvorrichtungen für Pferde oder Ochsen, war man abhängig von den Wünschen und Signalen des Herren, der das Gefährt leitete. Jedenfalls, wenn er die Zügel fest in der Hand hielt. Dementsprechend konnte sich das Sprichwort herausbilden, das in aller Regel abschätzig Untergebene oder Abhängige, die sich schlecht benahmen, gleichsam in Schutz nahm, indem man den Herrn, Auftraggeber dafür übertragen in die Pflicht nahm.

Das ist mir zu vigelinsch / figgelinsch

Die Übertragung gesprochener Dialekte in Schriftform ist eine schwierige Aufgabe, in Norddeutschland könnte man auch sagen "eine figgelinsche" oder "vigelinsche Aufgabe", denn das Wort bedeutet soviel wie "kompliziert, anspruchsvoll, eigen, besonders". Man kann aber auch von einer Person sagen, sie sei "vigelinsch / figgelinsch", nämlich "schlau", "ein kluges Köpfchen". Die Form mit "V" führt auf die richtige Spur, denn im Plattdeutschen heißt die Violine "Vigelin". Da deren Spiel dem einfachen Mann aus dem Volke verteufelt kompliziert vorkam, konnte er ein Eigenschaftswort daraus bilden, das dann außerdem die Geistesfähigkeiten eines Menschen loben konnte, der so etwas Schwieriges hinbekam. Hochdeutsch müsste man also von "violinig" oder "geigig" sprechen. Ob sich das wohl einbürgert?

Immer der Nase nach

Als Tourist begegnet einem die Richtungsangabe zuweilen, wenn ein Ort nicht zu verfehlen ist, weil er vom Standpunkt des Fragers aus in direkter Linie zu erreichen ist. "Geradeaus" könnte man genauso sagen, schließlich sitzt die Nase vorne und zeigt wie ein Wegweiser den Weg, doch "immer der Nase nach" klingt viel netter. Im Rheinhessischen begnügte man sich mit der schlichten Formel nicht und machte einen kleinen Spruch daraus: "Immer der Nas’ nach geht der Arsch net irr."

Zur Salzsäule erstarren

Nicht nur einmal und nicht nur von Kindern hörte ich schon "zur Salzsäure erstarren". Solche Sprechfehler ergeben sich einfach deshalb, weil man a) im Zusammenhang weiß, was gemeint ist, selbst wenn nur der Klang stimmt, dass man b) die genaue Formulierung sprichwörtlicher Redewendungen oft nicht kennt und c) überhaupt viel zu wenig Bibel liest. Das Buch steckt voller spannender Geschichten, zu denen die von Frau Lot gehört, der wir den Ausdruck verdanken. Sehr kurz will ich sie erzählen. Die Bibel berichtet im 1. Buch Mose von zwei überaus sündigen Städten, deren Namen selbst sprichwörtlich wurden: Sodom und Gomorrha. Die Menschen dort wollten von göttlichen Geboten nichts wissen, was dem Herrn nicht gefiel. Er schickte seine Boten – nichts anderes heißt das griechische Wort "Engel" – zu seinem frommen Anhänger mit Namen Lot, um ihn vor einem grässlichen Strafgericht zu warnen, das die Städte vernichten werde. Ein Feuer-Schwefel-Regen werde sie zerstören. Deshalb nannte in typisch widerlichem Militärhumor der englische Bomber-General Arthur "Butcher" Harris die schlimmsten Luftangriffe der Geschichte im Juli 1943 auf Hamburg "Operation Gomorrha". Vor seinen Brandbomben wollte nun der Herr in der Bibel Lot und die seinen retten. Er wies sie per Engel an, die Gegend rechtzeitig zu verlassen, sich aber auf der Flucht keinesfalls umzublicken. Alle hielten sich an den Befehl, obwohl hinter ihnen das göttliche Bombardement schon losging. Frau Lot war leider zu neugierig und erstarrte vor Schreck, als sie sah, wie Gott die Städte im Feuer vergehen ließ und im Erdbeben von der Landkarte austilgte. Um ihre Schreckensstarre zu beschreiben, wählten die Übersetzer unterschiedliche Vergleiche. Manchmal liest man, Frau Lot sei zur "Bildsäule" erstarrt, also zu einer Art Skulptur ihrer selbst versteinert, andere, sie sei zur "Salzsäule" erstarrt. Salz wurde in alter Zeit in Stangen gepresst, um es transportieren zu können, und bot sich so als weiterer Vergleich an.

Das juckt mich nicht die Bohne

Der Ausdruck verbindet zwei sprichwörtliche Redensarten. Da sind die Bohnen, die Jahrhunderte zu den beliebten Grundnahrungsmitteln gehörten. So gab es sie früher wie Sand am Meer. Eine Bohne allein besaß praktisch keinen Wert. Man spielte sogar um Bohnen als Geld- oder Jetonersatz. Die Wendung "nicht die Bohne" bedeutete also "überhaupt nicht", "nicht im geringsten". Das ließ sich leicht mit dem Jucken verbinden, denn es handelt sich um einen Ausdruck, der in der Umgangssprache ausdrückt, ob einen etwas berührt, ärgert, stört, betrifft. Es "juckt mich nicht" heißt, "es hat nichts mit mir zu tun". Es gibt auch die Variante "das kratzt mich nicht". Bohne und Jucken zusammen verbindet sich hier nach dem Motto "doppelt genäht hält besser".

Sich einen Wolf reden / laufen

Der Wolf hat keinen besonders guten Ruf, als redensartliches Tier geht es ihm nicht besser. Im Bereich der Medizin begegnet man ihm bei bestimmten krankhaften Hautveränderungen wie Hauttuberkulose oder Wundsein. Im Deutschen spricht man in diesen Fällen von einem "Wolf" oder dem "fressenden Wolf". Wie beim Krebs, der sich gefräßig ausbreitet, sah man im Volksmund bei diesen Hautkrankheiten, die großflächige Zerstörungen anrichteten, eine schlimme Gier am Werke, die sich mit dem Wolf vergleichen ließ. Die gesunde Haut frisst die Krankheit wie ein Wolf weg. Es lag nahe, die Bezeichnung besonders auf das früher häufige Wundsein zwischen Oberschenkeln zu übertragen, das durch mangelhafte Hygiene und außerordentlich weites und häufiges Laufen hervorgerufen wurde. Dass der Wolf selbst ein ausgezeichneter Läufer ist, war da nur eine ironische Nebenidee. Jedenfalls wusste man, dass man sich einen Wolf laufen konnte, wenn man unentwegt lief. Wenn man unentwegt redete, sprach man dementsprechend von "sich einen Wolf reden". Von hier aus ließ es sich auf jede beliebige, häufig wiederholte Tätigkeit anwenden.

Vom Leder ziehen

Es scheint sich um eine alte Barbiersweisheit handeln zu können, denn die Barbiere zogen die Klinge vor der Rasur an einem Lederriemen glatt und scharf. In Wirklichkeit geht es jedoch um die Schwertscheiden, die früher sehr oft aus Leder gefertigt wurden. Zog jemand vom Leder, dann zog er sein Schwert, fing also Streit an. Seit 1500 war das die übliche Bedeutung. Dann aber – schließlich trug man irgendwann nicht mehr so oft Schwerter mit sich herum – ergab sich eine weitere übertragene Bedeutung. Wer redensartlich vom Leder zog, der war ein rücksichtsloser Geselle und sprach auch so. Nun bezeichnete die Wendung also heftiges Schimpfen, Lästern, Schlechtmachen, in Einzelfällen – je nach Gesprächszusammenhang – auch schamloses Angeben.