"Ist deutsche Kultur so schwach?"

Von Elske Brault · 06.01.2011
"Multikulti ist nicht tot" behaupten die Veranstalter eines Festivals in der Hamburger Kampnagelfabrik. Es zeigt Filme, Installationen, Theater und Musicals von Künstlern mit "Migrationshintergrund".
"Integration, da hab ich mir gar keine Gedanken drüber gemacht, sondern mein Problem war nur: Wie werde ich akzeptiert? Wie werde ich von Leuten… man weiß ja, es sind nicht alle Menschen gleich, aber es gibt gewisse Leute, die uns Farbige oder uns Ausländer nie akzeptieren wollen, dass wir auch dazugehören. Dass man auch was für Deutschland tun kann."

Gerald Asamoah hatte mit 21 Jahren die Wahl: Auch die Nationalmannschaft seines Geburtslandes Ghana wollte ihn haben. Aber Asamoah, der mit zwölf Jahren nach Deutschland gekommen war, hatte sich bereits zu sehr an den deutschen Stil gewöhnt. Es ist sehr lustig zu hören, wie er andeutet, dass ihn beispielsweise Unpünktlichkeit in Ghana geärgert habe. Zwölf Minuten lang ist das Interview des Theaterregisseurs Branko Simic. Zwölf Minuten bleibt die Kamera unbeweglich, zeigt nur in Nahaufnahme Asamoahs breites Gesicht, sein Lachen. Simic befragt ihn aus dem Off. Und sein Film ist in seiner Einfachheit deswegen so spannend, weil er die Wendepunkte in Asamoahs Leben erahnt und gezielt nach jenen Momenten fragt, da der Fußballer sich womöglich fremd gefühlt hat.

Branko Simic: "Das heißt, man bringt etwas mit sich aus woanders, und dann begegnet eine neue Realität. Aus diesem praktisch: Konflikt, mein' ich jetzt im positiven Sinne, entsteht ein ziemlich besonderes Bewusstsein über die Sachen. Oder die Wahrnehmung von Menschen ist anders. Also das ist ein besonderer Zustand. Und das produziert eine gewisse Kreativität."

Branko Simic hatte bereits vor der Debatte um Thilo Sarrazins Buch die Idee, Künstler zusammenzubringen, die nach Deutschland eingewandert sind. Doch nun wirkt sein Programm besonders brisant. Zum Beispiel, wenn morgen der Filmemacher Adnan Softic erzählt, wie er sich als Moslem zur Zeit fühlt. Als Angehöriger also einer Gruppe, der Thilo Sarrazin mangelnden Integrationswillen unterstellt. "Deutschland schafft sich ab" – allein schon der Titel des Sarrazin-Buches erinnert Branko Simic an Diskussionen in seiner Heimat vor dem Jugoslawien-Krieg:

"Damals gab’s in Serbien einen Schriftsteller auch, der praktisch diesem Milosevic oder Karadzic oder solchen Verbrechern den Weg gemacht hat mit den Büchern, die fast identische Titel hatten: 'Wir sind bedroht!' Wenn man beginnt damit, dass eine Kultur wie deutsche Kultur bedroht ist vom Alltag in Neukölln, in Berlin oder hier in Altona, dann versteh' ich die Welt nicht mehr: Ist deutsche Kultur so schwach?"

Musik: "Du kommst in eine neue Gesellschaft. Und du merkst, du wirst hier nicht akzeptiert. Du bist freundlich und bemühst dich zu sein wie sie. Du bist sogar schon besser als sie in einigen Dingen."

Besser singen als die meisten können diese drei dunkelhäutigen Darstellerinnen der Gruppe Hajusom auf jeden Fall. Angeleitet von Profi-Musikern und -Choreographen, hat die Theatergruppe jugendlicher Flüchtlinge und Einwanderer eine Art Musical erarbeitet: "Hajusom in Bollyland". Einerseits bewegen sich die 15 jungen Teilnehmer durch alle Stationen eines klassischen indischen Theaterabends: Die aus Indien stammende Darstellerin erklärt das entsprechend. Andererseits erzählen sie von ihren Erfahrungen in Deutschland.

Musik: "Sie geben sich keine Mühe, dich zu verstehen, sie interessieren sich nicht für deine Gefühle."

Auf der Bühne verschmelzen deutsche Sprache, mitreißende indische Tänze und Beats aus Afrika. Es ist die mittlerweile elfte Produktion von Hajusom, die Besetzung der Gruppe wechselt ständig, denn die Darsteller haben nur begrenzte Aufenthaltsgenehmigungen. Oder, wie es auf der Website heißt: Einige werden abgeschoben, andere tauchen unter. Doch dass die wunderbar bunten, vielseitigen, anarchischen Abende überhaupt zustande kommen, verdankt sich natürlich auch einem gut subventionierten deutschen Theatersystem. Branko Simic hat inzwischen auch in seiner früheren Heimat wieder als Regisseur gearbeitet – stöhnt dort über die mangelhaften Scheinwerferkabel und sehnt sich dann nach Deutschland.

Quasi von der anderen Seite des Zaunes betrachtet die Schweizer Künstlerin Tatjana Marusic das Thema Einwanderung in ihrer Videoinstallation "Es geht ja ganz langsam – also hat man Zeit – sich daran zu gewöhnen". Ihre Eltern kamen als Saisonarbeiter aus Bosnien und hatten wie so viele ursprünglich nicht vor, in der Schweiz zu bleiben. Für ihr Video hat Marusic Fotos aus dem Familienalbum abgefilmt. Obwohl die Künstlerin in der Schweiz geboren ist, spürt sie deutlich jene besondere, geschärfte Wahrnehmung, die laut Branko Simic typisch ist für Einwanderer.

Tatjana Marusic: "… weil ich meine Eltern manchmal studiert habe wie eine Ethnologin. Ich habe Lieder aufgenommen, die sie zusammen sangen. Also diese kulturelle Distanz, das ist ein Teil unserer Familie."

Das Festival "Echt - Migrationsformate” vermittelt den Eindruck, dass Deutschland gerade dabei ist, ein bisschen bunter und spannender zu werden. In Amerika ist es selbstverständlich, dass die Landessprache mit allen möglichen Akzenten gesprochen wird, hier müssen wir uns noch daran gewöhnen. Und das Beispiel des Fußballers Gerald Asamoah zeigt: Man kann ein echter Deutscher sein, auch wenn man nicht die Nationalhymne singt.

Gerald Asamoah: ""Ich wusste nicht, ob ich jetzt mitsingen muss. Ich war auch angespannt. Und ich wusste schon: Die Jungs warten drauf, mich singen zu hören. Und deswegen habe ich dann darauf verzichtet, mitzusingen.”"


Informationen zum Festival "Echt - Migrationsformate" von Kampnagel Hamburg
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