"Israels Sicherheit gehört zur deutschen Staatsräson"

Reinhold Robbe im Gespräch mit Marietta Heise · 04.12.2012
Für den Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, ist das Verhältnis zwischen beiden Ländern durch Angela Merkels Kritik an Israels Siedlungspolitik nicht belastet. Trotzdem empfiehlt er, bei Netanjahus Staatsbesuch hinter verschlossenen Türen zu diskutieren - um das Gespräch sachlich zu halten.
Marietta Schwarz: 3000 neue Wohneinheiten im Osten Jerusalems – Israel hat mit seiner Ankündigung, den Siedlungsbau auszuweiten, dieses Mal einen diplomatischen Sturm ausgelöst. Mehrere israelische Botschafter in Europa wurden einberufen und auch Berlin protestiert kurz vor den Deutsch-Israelischen Regierungskonsultationen am Donnerstag. Bundeskanzlerin Merkel, sonst eher für Zurückhaltung bekannt, kritisierte die Pläne ungewöhnlich scharf und forderte Israel zum Verzicht auf das Projekt auf. Israel untergrabe damit das "Vertrauen in seine Verhandlungsbereitschaft", so die offizielle Haltung der Bundesregierung. Eine neue Linie in den deutsch-israelischen Beziehungen? Fragen dazu an Reinhold Robbe – er ist am Telefon –, Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft. Guten Morgen, Herr Robbe!

Reinhold Robbe: Ja, guten Morgen, Frau Schwarz, ich grüße Sie!

Schwarz: Herr Robbe, helfen Sie uns, diese Reaktion aus Europa und Deutschland mal einzuordnen. Letzte Woche gab es noch den Vorwurf, dass Europa nicht mit einer Stimme spricht, jetzt doch große Einigkeit in Sachen Siedlungsbau. Was ist da los?

Robbe: Na ja, wenn Sie sich die Reaktionen ganz genau anschauen, dann gibt es immer noch feine Unterschiede, wenn man genau hinschaut, zwischen dem Abzug eines Botschafters und dem Einbestellen eines Botschafters. Und das, was Herr Seibert gestern der versammelten Presse erklärt hat, ist schon ein, ich würde sagen, fundamentaler Unterschied. Insofern können Sie auch hier erkennen, dass es sich nach wie vor auch in schwierigen Situationen um ein besonderes, einige sagen um ein einzigartiges Verhältnis zwischen Deutschland und Israel handelt, auch in Krisenzeiten.

Schwarz: Weil der Botschafter nicht einberufen wurde?

Robbe: So ist es.

Schwarz: Nun fasst Israel mit den geplanten Siedlungen ja ein besonders heißes Eisen an, die könnten nämlich das Westjordanland teilen, heißt es. Schlägt Israel die Tür damit für Verhandlungen zu einer Zweistaatenlösung zu?

Robbe: Nun, auch da rate ich dazu, sehr genau hinzuschauen, wenngleich ich nicht in die Rolle kommen möchte, die Politik von Herrn Netanjahu erklären zu müssen. Ich sag immer wieder, die Regierungen, die kommen und gehen, die Freundschaft zwischen den Menschen in Israel und Deutschland, die hat darüber hinaus Bestand. Aber ich will gerne aus meiner eigenen Einschätzung und meiner Bewertung keinen Hehl machen, dass all das, was wir in den letzten Tagen erleben, auch das, was mit Blick auf den Siedlungsbau jetzt beschlossen wurde, natürlich zu einem Großteil der innenpolitischen Situation in Israel geschuldet ist. Herr Netanjahu glaubt ganz offensichtlich, dass er nach der Teilanerkennung, so wird das in Israel gesehen, der palästinensischen Autonomiegebiete in New York, also bei der UNO, jetzt eine entsprechende Reaktion auch in der Weltöffentlichkeit darstellen muss und das ist halt dieser Beschluss der 3000 Wohnungen. Wie das bewertet ist und wie das vor allen Dingen von der Weltgemeinschaft, hätte ich fast gesagt, gesehen wird, das muss Herr Netanjahu jetzt auch sehen und das wird ihm ganz sicher auch am Mittwoch bei seinem ersten Kontakt, den er im Rahmen der Regierungskonsultation hier in Berlin hat, von Frau Merkel gesagt.

Schwarz: Jetzt haben Sie, Herr Robbe, ja gerade schon die speziellen deutsch-israelischen Beziehungen, die Freundschaft angesprochen, dennoch: Israels Botschafter, Hadas-Handelsman, der war ja bereits über das deutsche Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen überrascht. Droht da jetzt nach dieser offenkundigen Kritik an Israel offener Streit zwischen Berlin und Tel Aviv?

Robbe: Nein, das sehe ich nicht. Die derzeitige Regierung, ob es Herr Lieberman, der Außenminister, oder ob Herr Netanjahu, der Ministerpräsident ist, wissen ganz genau, dass Deutschland zu den Verbündeten Israels gehört. Die Kanzlerin hat das mehr als einmal deutlich gemacht mit dem Satz, dass Israels Sicherheit zur deutschen Staatsraison gehört. Allerdings gibt es – und offensichtlich muss ich sagen – unterschiedliche Auffassungen darüber, was das auch in schwierigen und in krisenbehafteten Situationen bedeutet. Auf deutscher Seite, da gibt es überhaupt kein Vertun, bedeutet dieser Satz, dass man auch dann, wenn eine Regierung, eine Partnerregierung, Entscheidungen trifft, die nicht in Richtung Versöhnung, in Richtung Friedensprozess, in Richtung Perspektive gehen, dass man das dann auch sagt. Gerade weil Israels Sicherheit zur deutschen Staatsraison gehört, ist die Kanzlerin geradezu verpflichtet, dieses dann auch in aller Deutlichkeit anzusprechen. Und ich sage Ihnen voraus, das wird unter dem Strich, auch langfristig betrachtet, die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland nicht belasten.

Schwarz: Aber was bedeuten denn dann die Worte Merkels, sind sie mehr als Schall und Rauch?

Robbe: Nein, sie sind überhaupt kein Schall und Rauch, ganz im Gegenteil, sie werden schon sehr sensibel wahrgenommen, das spüren Sie auch an den Reaktionen, die es dann auf israelischer offizieller Regierungsseite gibt. Aber ich bitte Sie, in Israel selber sind diese ganzen Fragen, um die wir uns im Augenblick hier kümmern und über die wir uns unterhalten, genauso umstritten wie in Europa oder darüber hinaus. Auch in Washington ist man wenig amüsiert darüber, um es mal deutlich zu sagen, was im Augenblick von dieser amtierenden Regierung als Reaktion jetzt auf den UNO-Beschluss zu erkennen ist. Und darum ist es wichtig, ich sag es noch einmal, dass darüber diskutiert wird, möglichst hinter verschlossenen Türen, denn alles, was öffentlich herausposaunt wird, ist wenig geeignet, um in irgendeiner Weise hier Dynamit aus der ganzen Angelegenheit herauszubringen und wieder zu einem sachlichen Gespräch zurückzukommen. Es ist richtig, dass niemand das Gesicht verliert, auch in so einer schwierigen und zugespitzten Situation.

Schwarz: Reinhold Robbe, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Herr Robbe, danke für das Gespräch!

Robbe: Sehr gerne!

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