Israels Geheimdienst

Reumütige harte Männer

Szene aus Dror Morehs Film "Töte zuerst - Der israelische Geheimdienst Schin Bet"
Szene aus Dror Morehs Film "Töte zuerst - Der israelische Geheimdienst Schin Bet" © picture alliance / dpa / NDR/Dror Moreh
Von Sebastian Engelbrecht · 14.02.2015
Dror Moreh lässt in seinem Interviewbuch "The Gatekeepers" sechs ehemalige Chefs des israelischen Inlandsgeheimdienstes über ihre "schlimmsten Irrtümer" berichten: über Mord, Folter – und das eigene moralische Scheitern.
Die Motivation von Dror Moreh, erst einen Film und jetzt ein Buch über den israelischen Inlandsgeheimdienst vorzulegen, ist eine zutiefst moralische. Angesichts der düsteren Lage im israelisch-palästinensischen Konflikt seit dem Mord an Yitzhak Rabin vor 20 Jahren handelt Moreh aus moralischem Pflichtgefühl. Mit seinen Enthüllungen über die Praxis des Geheimdienstes Schin Bet kommt er seiner Pflicht nach, ein moralisches Gegengewicht zu setzen gegen die "Torheit der Regierenden", wie er sich ausdrückt, und die Brutalität der Geheimdienste.
Avraham Schalom: "Es gibt keine Moral im Krieg gegen den Terror. Vergessen Sie es. Bei einer tonnenschweren Bombe hört die Moral auf."
So formulierte es Avraham Schalom, 1980 bis 1986 Chef des Schin Bet.
Obwohl die Pläne für eine Zwei-Staaten-Lösung bekannt sind, weigern sich Politiker, diese Lösung umzusetzen – auf der israelischen wie auch auf der palästinensischen Seite. Und sie nutzen die Geheimdienste, um ihre kurzsichtige Politik abzusichern. Dror Moreh hält das für verantwortungslos und setzt der Amoral seine Moral entgegen. Dabei beruft er sich auf den US-Präsidenten Barack Obama, der im März 2013 bei einer Rede in Jerusalem die jungen Israelis zum Engagement aufforderte:
"Politiker gehen keine Risiken ein, wenn das Volk es nicht von ihnen verlangt. Sie selbst müssen die Veränderung herstellen, die Sie sich wünschen. Ich weiß, dass das möglich ist."
Kritik an der Besatzung palästinensischen Landes
Es ist möglich, findet auch Dror Moreh, und es ist erstaunlich, dass sich die sechs ehemaligen Schin-Bet-Chefs im Film wie auch im Buch geradezu selbstverständlich auf der Seite der Moralität wiederfinden. Sie kritisieren – jeder aus seiner Perspektive – die Verantwortungslosigkeit, die die Besatzung palästinensischen Landes mit sich bringt. Sie schelten die über die Jahrzehnte wechselnden politischen Führungen Israels. Der israelische Gelehrte Yeshayahu Leibowitz hatte schon 1968 gewarnt, Israel werde durch die Besatzung korrumpiert und zu einem Geheimdienststaat werden. Und dazu sagt Yuyal Diskin, Geheimdienstchef von 2005 bis 2011:
Cover - Dror Moreh: "The Gatekeepers"
Cover - Dror Moreh: "The Gatekeepers"© Kiepenheuer & Witsch
"Ich stimme dem Wort für Wort zu. Jedes Wort, das er geschrieben hat, ist in Fels gehauen. Es beschreibt meiner Meinung nach exakt die Zustände, die sich hier seit 1968 entwickelt haben."
Die Schin-Bet-Chefs machen sich aber immer wieder auch selbst Vorwürfe und bilanzieren ihr eigenes Scheitern. Avraham Schalom vergleicht die Besatzung des palästinensischen Landes gar mit der deutschen Besatzung Polens im Zweiten Weltkrieg:
"Das war ein sehr negativer Charakterzug, den wir da übernommen haben, als wir – ich traue mich gar nicht, es auszudrücken, darum sage ich es anders – als wir grausam wurden gegenüber uns selbst, besonders aber gegenüber der Bevölkerung, über die wir herrschen. Und das alles unter dem Vorwand des Krieges gegen den Terror."
Schlafentzug, Erniedrigung, Erschöpfung
Es ist phänomenal, dass Dror Moreh die Geheimdienstchefs dazu bewegen konnte, ihre "schlimmsten Irrtümer" offenzulegen. Moreh hat es vermocht, in den Interviews eine Atmosphäre zu schaffen, die die Schin-Bet-Direktoren zum Reden brachte. Harte Männer zeigen sich in diesen Interviews weich, fehlbar, reumütig. Sie bieten Angriffsflächen.
Zudem macht sich Moreh die Möglichkeiten der israelischen Demokratie zunutze. Es zeugt von der Lebendigkeit dieser Demokratie, dass sich Geheimdienst-Direktoren ungestraft und offen so äußern dürfen. Ami Ayalon und Carmi Gillon etwa, beide in den 1990er-Jahren im Amt, beschreiben folgende Methoden:
"Physischer Druck. Dazu gehören zum Beispiel Schlafentzug, gefesselt in schmerzhafter Haltung zu sitzen, Erniedrigung, Erschöpfung."
"Wenn der Kopf verhüllt ist, bist Du in völliger Finsternis und verlierst das Orientierungsvermögen. Du weißt nicht, was um Dich herum geschieht. Du hörst, aber weißt nicht, was hier los ist."
Mehr noch als der Film bietet das Buch der zeitgeschichtlichen Forschung eine Fülle von Informationen aus erster Hand über das Geschehen hinter den Kulissen von Politik, Diplomatie und Geheimdiensten: zur Gefangennahme Eichmanns in Argentinien, zu den Bomben, mit denen Extremisten die Moscheen auf dem Tempelberg in die Luft jagen wollten, zum Einsatz der atomwaffenfähigen U-Boote aus deutscher Produktion, zu gezielten Tötungen von Mitgliedern der islamistischen Hamas.
Der Mordanschlag war "sehr schön, sehr sauber, elegant"
Carmi Gillon berichtet zum Beispiel, wie der Schin Bet im Gaza-Streifen den sogenannten "Ingenieur", Yahya Ayyasch, den berüchtigten Bombenleger der Hamas, mit einem Sprengsatz am Handy tötete.
"Jemand drückte auf den Knopf, und das Handy ist explodiert. Am Ohr von Yahya Ayash. Er war sofort tot. Ein Mann in seiner Nähe blieb unverletzt. Mehr noch: Leute im Erdgeschoß des Hauses hörten nicht einmal die Explosion. Es war eine gemeinsame Aktion mit der Luftwaffe. Sehr schön, sehr sauber, elegant."
Dror Moreh stellt jeden Schin-Bet-Chef in einem Kurzinterview vor. Die darauf folgenden Kapitel orientieren sich dann an Sachthemen. Darin mischt Moreh die Stimmen aller sechs Gesprächspartner. Er überträgt das Formalprinzip des Dokumentarfilms auf die literarische Darstellung. So ergibt sich ein lebendiger, vielfältiger Einblick in das sonst hermetisch verschlossene System Geheimdienst.
Und: Das Buch von Dror Moreh liest sich flüssig und spannend zugleich. Phasenweise erinnert es an einen Krimi. Obwohl sich dieser Vergleich eigentlich verbietet. Die Materie, um die es geht, ist zu ernst und weltgeschichtlich zu bedeutsam.

Dror Moreh: The Gatekeepers. Aus dem Inneren des israelischen Geheimdienstes
Kiepenheuer & Witsch Köln, 2105
480 Seiten, 22,99 Euro (als Ebook 19,99 Euro)

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