Israelische Beiträge auf der Berlinale

Filmemacher bringen das Kibbutz ins Kino

Szene aus dem Berlinale-Film "Bickels [Socialism]".
Szene aus dem Berlinale-Film "Bickels [Socialism]". © Heinz Emigholz Filmproduktion
Von Igal Avidan · 17.02.2017
Die israelischen Filme auf der Berlinale erzählen von tiefen Krisen und kleinen Freuden. So erzählt der Dokumentarfilm "Bickels (Socialism)" von den solidaritätsfördernden Kibbutz-Bauten des Architekten Samuel Bickels.
Eines Tages während des Gazakriegs 2009 erhielt der israelische Filmemacher Daniel Mann einen Anruf vom Militär, seine Einberufung. Erst später stellte er fest, dass die Einberufung seinem Mitbewohner galt. Aber so entstand bei Mann die Idee zu seinem Film "Motza el hayam", zu Deutsch "Ausgang zum Meer". Erzählt wird die Geschichte von Yoel Kanovich, einem etwa 40-jährigen Tel Aviver Single.
Der steckt in einer tiefen Krise, denn seine Frau hat ihn verlassen und sein Vater starb kürzlich an einem Herzinfarkt. Weil der Geschichtslehrer seitdem nicht mehr zur Schule ging, wurde er entlassen. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt beginnt der Gazakrieg und Yoel Kanovich wird als Reservist eingezogen. Regisseur Daniel Mann über den Titel seines Films "Motza el hayam", Hebräisch für "Ausgang zum Meer":
"Das Meer ermöglicht sowohl einen Ausweg, eine Flucht, kann aber andererseits auch tödlich sein. Der Titel weist auf diese beiden Optionen. Der Strand verbindet zudem Tel Aviv mit Gaza. Ich habe bewusst die Abschlussszenen in Jaffa in der Hoffnung gedreht, dass gerade dort, wo Juden und Palästinenser nebeneinander leben, ein normaler Alltag entstehen könnte."

Midlife-Crisis eines 38-jährigen Witwers

Eine Midlife-Crisis trifft auch den orthodoxen Juden Menashe. Das Leben Menashes in der gleichnamigen israelisch-amerikanischen Koproduktion gerät aus den Fugen, weil er von den strengen Regeln der chassidischen Gemeinde abweicht. So trägt er weder Hut noch schwarzen Mantel wie die anderen Männer. Noch schlimmer: Sein Rabbi und seine Familie und Freunde drängen den 38-jährigen Witwer dazu, so schnell wie möglich wieder zu heiraten. Menashe brüskiert jedoch die ihm zugeführten Kandidatinnen. Solange er aber allein lebt, Schulden anhäuft und immer wieder Geld von seinem gutsituierten Bruder ausleihen muss, kann Menashe nicht seinen geliebten 13-jährigen Sohn Rieven zurückbekommen, der bei dem verheirateten Onkel lebt.
Der 38-jährige orthodoxe Jude Mordechai Loeffl, der Menashe spielt, teilt mit seinem Protagonisten die gleichen Sorgen:
"Es ist sehr hart als Alleinstehender in einer orthodoxen Gemeinde zu leben. Zum einen wird man bei uns sehr jung verheiratet. Als Alleinstehender bist du daher gleich ein Außenseiter. Als ich jung war, war ein geschiedener Mann der einzige Alleinstehende in unserem Städtchen. Heute sind es mehr. Man drängt mich ständig zu heiraten, vor allem der Rabbi, der mir dabei hilft. Dennoch bin ich noch auf der Suche und es ist für mich besonders schwer eine passende Frau zu finden, weil ich aufgeschlossen und zugleich orthodox bin."

Um in einem orthodoxen Stadtteil zu drehen, brauchte Regisseur Joshua Weinstein die Genehmigung der Stadtverwaltung. Um einen möglichst detailgenauen Film zu drehen, recherchierte der säkulare Jude sechs Monate im orthodoxen New Yorker Stadtteil Borough Park. Trotz Absprachen mit Einheimischen wurde das Kamerateam oft beim Erscheinen vertrieben: So groß ist die Angst der Charedim, der Ultraorthodoxen vor Kameras.

Schwierige Suche nach orthodoxen Schauspielern

Wie schwer war es, orthodoxe Juden als Schauspieler zu gewinnen? Regisseur Joshua Weinstein:
"Ich habe rund 30 Orthodoxe gecastet, die noch nie vor der Kamera gestanden hatten, dann die Besten ausgesucht. Dann änderte ich den Film, damit sie in ihre Rollen am besten passen. Es war leichter, orthodoxe Frauen zu finden als Männer, weil viele Frauen, die sich zwischen der orthodoxen und der weltlichen Welt bewegen, können im Nu orthodox aussehen: Sie müssen nur ihre Haare abdecken. Männer hingegen, die die orthodoxe Gemeinde verlassen, schneiden ihren Bart und Schläfenlocken oder Pejos ab, dann wirken sie nicht mehr authentisch.
Als ich Menashe testete, wusste ich sofort, dass er die Hauptfigur sein wird. Er arbeitet, wie im Film, in einem orthodoxen Supermarkt, ist aber auch der Komiker seines Städtchens New Square, wo alle 7000 Bewohner orthodox sind. Zweimal im Jahr, zu Purim und Sukkot, versammeln sich dort Tausende zu einem jüdischen Festival. Vor allem für die Kinder, die niemals ins Kino gehen, fernsehen oder Radio hören, ist Menashes Auftritt der Höhepunkt des Jahres."
Eine passende Frau hat Menashe, der auch Buchautor ist, noch nicht gefunden. Auf der Berlinale ging er übrigens zum ersten Mal im Leben ins Kino – in seinen eigenen Film!

"Stärkung der Solidarität in Israel"

Der israelische Architekt Samuel Bickels ist längst in Vergessenheit geraten. Bis in die 1970er Jahren entwarf Bickels in mehreren Kibbutzim sehr wichtige Kulturhäuser – Bibliotheken, gemeinschaftliche Speisesäle, Gasthäuser und Erholungsheime – die sogar weltberühmte Architekten wie Renzo Piano beeinflussten. Eines von Bickels bekanntesten Werke ist das Kunstmuseum im Kibbutz Ein Charod im Norden Israels. Und so schlossen sich das Museum und der renommierte, Berliner Experimental-Filmemacher Heinz Emigholz zusammen, um Bickels Gebäude in mehreren Kibbutzim im Dokumentarfilm "Bickels (Socialism)" zu verewigen.
Co-Produzentin Galia Bar-Or war Leiterin und Kuratorin des Kunstmuseums im Kibbutz Ein Charod. Die Kunstexpertin ist noch Mitglied des Kibbutzes, das ihre Eltern – ihre Mutter lebte bis 1933 in Berlin, ihr Vater stammte aus Düsseldorf – mitaufgebaut haben. Die Zeitreise zu Samuel Bickels 22 Kibbutz-Gebäuden bestärkte Galia Bar-Or in ihrem Glauben an den Kibbutz:
"Vor dem Hintergrund des heutigen sehr kapitalistischen Israel inspirieren diese Bauten vor allem junge Menschen. Hunderte Künstler und Lehrer gründeten in den letzten Jahren Gruppen, die sich in der Peripherie teils als Kooperative niedergelassen haben und mit tausenden Kindern zusammenarbeiten. Somit ist Bickels Verbindung zwischen Kultur, Gesellschaft und Bildung wieder aktuell, nicht so radikal wie damals in den Kibbutzim, aber als eine Stärkung der Solidarität in Israel."
Mehr zum Thema