"Israel will keinen Militärschlag führen gegen Iran"

Volker Perthes im Gespräch mit Nana Brink · 15.01.2013
Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, glaubt nicht, dass Israel den Iran tatsächlich angreifen will. Die israelische Drohung sei "ein Stück weit Wahltaktik". Israel wolle die USA und die EU dazu bringen, ihre Sanktionen gegen Teheran zu verschärfen.
Nana Brink: Das Jahr ist noch jung, aber die Themen des alten bleiben uns natürlich auch im neuen Jahr erhalten, auch außenpolitisch, zum Beispiel im Iran. Mitte der Woche fliegen wieder Experten der internationalen Atomenergieorganisation, der IAEA, nach Teheran, um über das iranische Nuklearprogramm zu sprechen. Der Westen hat den Iran ja im Verdacht, unter dem Deckmantel seines zivilen Atomprogramms eine Bombe zu bauen. Das will man nicht akzeptieren, Israels Premier Benjamin Netanjahu zum Beispiel hat letzten September im UN-Sicherheitsrat ein Plakat ganz demonstrativ mit einer Bombe hochgehoben und einem roten Strich, das in die Kamera gehalten nach dem Motto: Jetzt reicht es! Allerdings scheinen die USA bislang vor rotem Linien und einem Waffengang eher zurückzuschrecken. Und genau darüber möchte ich jetzt mit Volker Perthes sprechen, er ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, sie berät die Regierung, aber auch alle Parteien im Bundestag, zum Beispiel auch zum Thema Iran. Schönen guten Morgen, Herr Perthes!

Volker Perthes: Ja, guten Morgen!

Brink: Die Gespräche im Iran sind Auftakt einer Reihe von Verhandlungen noch im Januar. Wo stehen wir heute?

Perthes: Ja, tatsächlich da, dass alle Seiten meinen, man müsste mal wieder miteinander verhandeln, um vielleicht zu deeskalieren und sich einer Lösung zu nähern. Wir haben in den letzten Jahren eine ständige langsame Eskalation in dem Sinne gehabt, dass Iran immer mehr Zentrifugen gebaut hat, dass Iran seine Anreicherungskapazitäten ausgeweitet hat und dass der Westen und die internationale Gemeinschaft immer mehr Sanktionen beschlossen haben, und das kann man nicht ewig weitermachen. Und irgendwie versucht man, dort hinauszukommen, und das geht nur, indem beide Seiten Konzessionen machen.

Brink: Welche Verhandlungsszenarien sehen Sie? Wer hat welches Interesse?

Perthes: Eigentlich haben alle ein Interesse daran, dass man sowohl das Atomprogramm des Iran zurückschraubt als auch die Sanktionen zurückschraubt. Konkret: Iran merkt sehr wohl, dass die Sanktionen wehtun, dass sie beißen, das schadet ganz unterschiedlichen Kreisen im Iran, aber vor allem kann Iran den größten Teil seines Öls nicht mehr exportieren, das tut weh. Der Westen und die internationale Gemeinschaft sehen, dass man nicht ständig neue Sanktionen verordnen kann - irgendwann fallen einem da keine mehr ein, man kann ja keine völlige Wirtschaftsblockade gegen Iran verhängen, das wäre dann auch ein kriegerischer Akt. Vor allem sehen wir, dass die Sanktionen als solche nicht dazu beitragen, dass das iranische Atomprogramm weniger beunruhigend für seine Umgebung wird, einschließlich - Sie haben das angesprochen - Israels. Also, man muss miteinander sprechen, es gibt Vorschläge, die von iranischen Experten, von westlichen Experten gemacht worden sind, zum Beispiel: Iran könnte freiwillig auf die mittelhohe Anreicherung von Uran auf 20 Prozent verzichten, zurückgehen auf eine Anreicherung unter fünf Prozent, die Europäer und die Amerikaner könnten dafür in einem ersten Schritt bestimmte Sanktionen suspendieren, die sie im letzten Jahr erst verhängt haben.

Brink: Es steht ja immer noch die Drohung im Raum eines gerade israelischen Militärschlages, und es sind dort Wahlen am 22.01. Ich habe es schon erwähnt, der Premier Netanjahu hat ja so quasi eine Art Ultimatum gesetzt letztes Jahr, so nach dem Motto: Wenn bis März nichts passiert im Iran, dann könnte das wahrscheinlich sein. Ist das nur Wahltaktik?

Perthes: Es ist ein Stück weit Wahltaktik, es ist aber vor allem auch internationale Politik, es ist der Versuch, über Drohungen, die ja nie sehr direkt, sondern immer sehr indirekt ausgesprochen worden sind, da gab es dann Meldungen aus den Kreisen um den Premierminister oder aus dem Kabinett, dass man im Kabinett über die Möglichkeiten eines Militärschlags nachdenke, und so weiter. Das ist der Versuch gewesen, über solche Drohungen vor allem die Europäer und die Amerikaner dazu zu bringen, ihre Sanktionen gegen Iran zu verschärfen und die Dinge nach Möglichkeit doch diplomatisch in die Hände zu nehmen. Das heißt, Israel möchte, dass die Amerikaner und die Europäer das Problem des iranischen Atomprogramms so beheben, dass Israel sich hier nicht mehr bedroht fühlen muss, und versuchen, über ihre eigenen Drohungen genügend Druck auf Washington und die Europäer auszuüben, dass diese, also dass wir aktiv werden.

Brink: Wie schätzen Sie dann die Wahrscheinlichkeit eines israelischen Militärschlages ein?

Perthes: Ja, vielleicht war ich gerade nicht klar genug: Ich glaube, Israel will keinen Militärschlag führen gegen Iran, die ganzen Militärs und die Sicherheitskreise in Israel sind dagegen, und der Premierminister, der israelische Premierminister hat gedroht mit der Möglichkeit eines Militärschlags, damit die Amerikaner und die Europäer aktiv werden.

Brink: Nun ist ja auch immer die Frage, wie diese Gespräche stattfinden. Für die USA ist ja ein Iran mit Atomwaffen auch ein Alptraum-Szenario, das muss man vielleicht auch an dieser Stelle ganz deutlich sagen. Aber der designierte neue US-Verteidigungsminister Chuck Hagel hat ja schon direkte Verhandlungen mit dem Iran gefordert. Ist das realistisch?

Perthes: Ich glaube, es ist sogar notwendig. Man braucht die direkten Verhandlungen zwischen den USA und Iran. Iran möchte gewissermaßen auf Augenhöhe angesprochen werden von der einzigen Supermacht, die es respektiert, also von den USA. Wir wissen auch, dass bestimmte politische Blockaden nur zu durchbrechen sind, wenn die Amerikaner und die Iraner selbst miteinander sprechen. Da geht es um mehr als das Atomprogramm, aber auch um das Atomprogramm, da geht es auch um iranischen Terrorismus oder iranisch geförderten Terrorismus, da geht es aber auch um die grundsätzliche Nichtanerkennung des iranischen Systems durch die USA, jedenfalls nimmt man das in Teheran wahr. Beide müssen miteinander sprechen - bisher hat das nicht stattgefunden, beide warten sozusagen auf den ersten Schritt der jeweils anderen Seite, und dabei kann es dann helfen, dass die Europäer weiter die internationalen Verhandlungen leiten, die jenseits oder neben solcher möglicher amerikanisch-iranischer Gespräche stattfinden. Das sind die Verhandlungen, wo die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates plus Deutschland zusammen auf der einen Seite mit Iran auf der anderen verhandeln.

Brink: Das soll ja nun auch Ende Januar passieren. Im Juni stehen Präsidentschaftswahlen im Iran an. Der derzeitige Präsident Ahmadinedschad ist ein ausgesprochener Hardliner, kann nicht wiedergewählt werden, zudem gärt es auch im Land, vor allen Dingen bei der Arbeiterschaft, die ja unter den Sanktionen leidet, also die normale Bevölkerung. Welche Auswirkungen wird das auf die Gespräche haben?

Perthes: Es ist so, dass tatsächlich im Iran fast alle wollen, dass man herauskommt aus dieser Isolation, dass man diese Sanktionen loswird, und es ist fast unwichtig, wer dabei der Präsident ist. Der derzeitige Präsident - ja, er ist ein Hardliner, aber er würde gerne aus dem Amt gehen mit einem Verhandlungserfolg. Er würde gerne dieses Problem, was Iran da mit sich rumträgt, nicht ganz unverschuldet, lösen können und sagen, ich habe es geschafft, dass wir wieder ein vernünftiges Verhältnis zu den USA haben. Seine innenpolitischen Gegner wollen ihm genau diesen Erfolg nicht erlauben. Und insofern wird im Iran heute diskutiert, ob es besser sei, wenn es solche direkten Gespräche zwischen den USA und Teheran gäbe, solange Ahmadinedschad noch im Amt ist, oder erst, wenn sein Nachfolger im Amt ist. Ich glaube, wir sollten unabhängig von dieser Diskussion in Teheran das Gesprächsangebot machen, weil wir nicht ständig auf die Wahlen in Teheran schielen müssen, von denen wir ohnehin nicht wissen, wie sie ausgehen.

Brink: Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schönen Dank für das Gespräch!

Perthes: Sehr gerne!

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