Israel

Ein Altenheim für Olivenbäume

Abu Hassan vor den Olivenbäumen
Abu Hassan vor den Olivenbäumen © Brigitte Jünger
Von Brigitte Jünger · 03.04.2016
Im Carmel-Gebirge in Israel pflegt der drusische Gärtner Shahar uralte Bäume aus der Römerzeit. Sie haben in der jüdischen und christlichen Überlieferung eine große Bedeutung.
Olivenernte in Usfiya, einem der beiden von arabischen Drusen bewohnten Dörfer im Carmel-Gebirge. Mit Stöcken werden die grünen und schwarzen Früchte vom Baum geschlagen. Der 86jährige Abu Hassan schafft zusammen mit seiner Frau, einem Sohn und einem Enkel, jeden Tag zwei Bäume abzuernten. Insgesamt besitzt er 12 Ölbäume.
"Die ältesten Bäume stammen aus der Zeit der Römer und die Jüngeren sind eher aus der Kreuzfahrerzeit."
Das heißt, selbst die jüngeren Ölbäume sind mindestens 800 Jahre, die ältesten könnten sogar 2000 Jahre alt sein. Krumm und knorrig ragen die rissigen Stämme acht bis zehn Meter in die Höhe und winden ihre vielen Verzweigungen in den Himmel. Sehr lebendige Baumgreise sind das, deren mythischer Ausstrahlung man sich kaum entziehen kann.
"Noah ließ wieder die Taube aus der Arche. Gegen Abend kam sie zurück und siehe da: In ihrem Schnabel hatte sie einen frischen Olivenzweig."
Die uralten Olivenbäume im Carmel-Gebirge 
Die uralten Olivenbäume im Carmel-Gebirge © Brigitte Jünger
Für die Drusen sind die Heiligen Schriften des jüdischen Tanach, des christlichen Neuen Testaments oder des Koran genauso wegweisend, wie ihr eigenes Weisheitsbuch, el Hekma. Im 11. Jahrhundert als Abspaltung aus dem Islam entstanden, ist das Drusentum heute eine völlig eigenständige Religion. Drei Prinzipien stehen dort im Mittelpunkt, wie Ihab, der Übersetzer, erklärt.
Das erste ist der Glaube an den einen Gott. Egal ob er Gott, Elohim, Adonai oder Allah genannt wird, es ist der gleiche Gott aller Menschen. Das zweite wichtige Prinzip lautet: Um dem Glauben an Gott gerecht zu werden und seine Seele zu reinigen, muss man den Geist seines Verstandes benutzen. Das Dritte ist der Glaube an die Unendlichkeit der menschlichen Seele. Wenn jemand stirbt, geht seine Seele im gleichen Moment in den Körper eines neugeborenen Kindes über.

10.000 Quadratmeter mit Bäumen

Für den alten Abu Hassan haben auch seine Olivenbäume Teil an der Ewigkeit. Da macht es nichts, dass der Ertrag kaum den Bedarf der großen Familie deckt. Die Arbeit als unrentabel einzustellen, käme Abu Hassan nicht in den Sinn. Sein Dorfnachbar Shachar hat aus seiner Liebe zu den Bäumen eine Profession gemacht. Er freut sich, dass es in Israel seit einiger Zeit eine größere Wertschätzung für alte Bäume gibt.
"Normalerweise wurden Bäume früher einfach gefällt, wenn man sie nicht mehr nutzen wollte oder sie im Weg waren. Sie wurden gefällt und verheizt. Aber dann kam vor etwa 20 Jahren ein Gesetz heraus und es war plötzlich nicht mehr erlaubt, Bäume einfach zu fällen."
Shachar ist ein Mann wie ein Bär. Er hat lange Zeit als Baumfäller gearbeitet, doch dann sattelte er um. Heute besitzt er auf 10.000 Quadratmetern Fläche hunderte uralte Bäume.
"Das sind Eichen, viele verschiedene Arten von Eichen, Olivenbäume, und das sind Johannisbrotbäume. Alles einheimische Bäume, die nicht aus anderen Ländern hier hergebracht wurden. Ich bekomme Bäume aus dem ganzen Land, aus dem Süden, der Mitte und aus dem Norden. Die lebenden Bäume versetzen wir von ihrem alten Platz hier hin und pflanzen sie bei mir wieder ein, ganz egal, wie alt der Baum ist."
Der drusische Gärtner Shahar
Der drusische Gärtner Shahar© Brigitte Jünger
Mit reichlich Wasser werden die Ölbäume schnell mit der neuen Umgebung vertraut und wachsen weiter, bis ein Käufer auftaucht und sie erneut verpflanzt werden. Gerade in jungen Ortschaften oder Siedlungen sind solche uralten Bäume beliebt. Sie verschönern nicht nur das Stadtbild, sondern verankern eine junge Ortschaft in den Boden der Geschichte. Doch es landen auch Baumgreise bei Shachar, die fast vertrocknet sind. Selbst ihnen kann der Baumspezialist zu neuem Leben verhelfen, wie Ihab, der Übersetzer erklärt.
"Man macht einen Schnitt in den Stamm und pfropft einen jungen Zweig auf. Er wird mit einem Seil oder Tüchern befestigt, wächst an und treibt neue Zweige."
"Wir schaffen so etwas wie Ewigkeit. Aus dem trockenen Baum wird ein neuer, lebendiger Baum."

Symbol für Weisheit und Reichtum

Mit Bäumen umzugehen hat Shachar von klein auf gelernt. Schon als Kind ist er mit seinem Vater im Olivenhain der Familie unterwegs gewesen und hat wichtige Handgriffe gelernt. Sein Vorname Shachar ist ziemlich unüblich für einen Drusen; es ist ein jüdischer Name und bedeutet Morgenröte. Der Vater hat ihm den Namen in Erinnerung an seinen befehlshabenden Offizier in der israelischen Armee verliehen. Denn das Verhältnis zwischen Juden und Drusen im Carmel ist traditionell eng. Anders als auf dem Golan sind sie hier israelische Staatsbürger und stehen loyal zum Staat Israel.
"In der Bibel wird das westliche Galiläa als das Gebiet des Stammes Ascher angesehen. Und von Ascher, einem der zwölf Söhne Jakobs wird gesagt, dass er seine Füße in Olivenöl tauchen konnte, so viel besaß er davon."
Der Olivenbaum als Symbol für Weisheit und Reichtum. Diese Vorstellung ist in Usfiya durchaus noch lebendig.
"Im 18. Jahrhundert ist Usfiya als drusische Niederlassung im Carmel entstanden. Bis heute gilt hier: Wer weder eine Kuh, noch einen Hahn, eine Henne oder einen Olivenbaum besitzt, der ist niemand."