Ismael Saidi: "Djihad"

Der "Heilige Krieg" als Tragikomödie

Ismael Saidi (r.) und Reda Chebchoubi am 4.12.2015 in Brüssel bei der Vorstellung des Buches "Djihad"
Ismael Saidi (r.) und Reda Chebchoubi bei der Vorstellung des Buches "Djihad" © imago
Von Elske Brault · 26.11.2016
Die Abenteuer von drei jungen Belgiern auf dem Weg in den "Heiligen Krieg" - Ismael Saidis "Djihad" hat in Frankreich und Belgien viele junge Zuschauer begeistert und tourt jetzt um die Welt. In Saarbrücken wurde es zum ersten Mal auf Deutsch aufgeführt.
Normalerweise ist der Autor anwesend bei den Erstaufführungen des Festival Primeurs. Ismael Saidi wäre gern gekommen, sagt die Produktionsdramaturgin zu Beginn, aber er spiele sein Stück gerade selbst. Und zwar auf - Madagaskar. Saidi tourt mit "Djihad" um die Welt, während eine Zweitbesetzung seinen Vertrag mit einem Theater in Paris erfüllt. Eigentlich ist der 40-Jährige Drehbuchautor und Filmregisseur, der Erfolg seines ersten Theaterstücks "Djihad" hat ihn selbst überrascht.

Ethnografie der Beleidigungen

In den Niederlanden ist eine holländische Fassung unterwegs, in drei Monaten kommt "Djihad" in Tokio auf japanisch heraus. Saidi, ein kleiner rundlicher Mann mit schwarzen Haaren und Augen, spielt in der Urfassung den grüblerischen Ismael. In Saarbrücken verkörpert von einem schlanken, hoch aufgeschossenen jungen Darsteller mit blauen Augen und dunkelblonden Haaren. Wie ein Araber sieht DER nicht aus. Aber das Stück funktioniert trotzdem.
Ismael: Es geht darum, uns so zu behandeln wie alle anderen auch, das ist alles. Schau mal, es gibt einen idiotisch einfachen Test: Du nimmst beim Autofahren jemandem die Vorfahrt. Wie der Typ dich dann beleidigt, hängt von deiner Fresse ab. Wenn du weiß bist, sagt er "Penner" zu dir. Wenn du eine Fresse hast wie wir, heißt es "geh zurück in dein Land, Scheiß-Kanake" oder "dreckiger Nigger", wenn du schwarz bist! Kapiert?
Reda: Du meinst, wir werden beim Beleidigen diskriminiert?

Auch das Publikum in Saarbrücken geht mit

Die Darsteller spielen mit dem Manuskript in der Hand, die Stationen des Weges der drei IS-Kämpfer, der Brüsseler Vorort Molenbeek, der Flughafen, eine Landstraße in der Türkei oder eine Kirche in Aleppo, sind mit einem Symbol auf einer weißen Leinwand angedeutet, darüber hinaus gibt es nur eine Bank als Bühnenbild. Es ist eine in drei Tagen erarbeitete Werkstattinszenierung. Und doch reagiert das deutsche Publikum genau so wie das französische: Es geht mit, es lacht über die drei Musketiere, kindlich wie Tick, Trick und Track, und wird dann ganz still. Beispielsweise als die Drei in einer eingestürzten Kirche in Aleppo auf einen Araber treffen, der seine von Scharfschützen ermordete Frau beweint. Sie trösten den "Bruder", teilen ihr Essen mit ihm. Und erfahren dann von diesem "Michel", dass er Christ sei.
Ismael: Das ist eine List. Die bringen ihnen Arabisch bei, damit sie sich unter die Muslime einschleichen und dann ... Zack! Bringen sie uns um.
Michel: Ich bin Araber. Ich war schon immer Araber, lange vor dir, mein Bruder. Wir waren hier, lange bevor euer Prophet erschienen ist.
Ben: He! Pass auf, wie du über den Propheten sprichst!

Michel: Wir sind seit so langer Zeit hier und trotzdem ... bringt man uns heute um.
Ismael: Ihr habt damit angefangen!

Michel: Ach ja? Was haben wir denn gemacht?

Ben: Na ja ...

Reda: Also ...

Von der Psychiatrie in die Moschee

Autor Ismael Saidi hat seine drei Tölpel holzschnittartig charakterisiert, aber in dieser Einfachheit liegt die Kraft seines Textes. Alle drei sind in der Moschee als letztem Rettungsort gelandet, weil sie in der belgischen Gesellschaft scheitern. Oder doch eher in der eigenen Familie: Der Elvis-Presley-Fan Ben bricht am Grab seines Idols zusammen, als er liest: Elvis Aaron Presley – ein Jude! Dem begabten Ismael verbietet der Lehrer in der Arabisch-Schule das Zeichnen. Reda, von Ismael stets als der Dümmste von allen verspottet, hat Maschinenbau studiert, will eine Christin heiraten. Die Mutter verbietet es, Reda trennt sich von seiner großen Liebe und landet mit einer schweren Depression erst in der psychiatrischen Klinik. Dann in der Moschee.
Natürlich kann man hinterfragen, ob tägliche Gebete zwangsläufig zu Fanatismus führen. So will Ismael Saidi, ein gläubiger und praktizierender Muslim, seinen Text sicher nicht verstanden wissen. Tatsache ist aber auch, dass es neben weisen, weltoffenen Imamen verbohrte und engstirnige gibt, die, wie es im Stück heißt, Sure für Sure mit dem Kabelbinder einprügeln. Und dass junge Menschen gerade dann anfällig werden für die simplen Heilsversprechen von Fanatikern, wenn sie in einer Sinnkrise die Orientierung verloren haben. So wie Ben, Reda und Ismael.

60.000 überwiegend jugendliche Zuschauer in Frankreich

In Frankreich hat "Djihad" bereits 60.000 überwiegend jugendliche Zuschauer miteinander ins Gespräch gebracht über den Koran und seine Auslegung. Die anschließende Diskussion sieht Autor Ismael Saidi als Teil seines Stücks. Und sie kommt immer zustande, weil sein Text einfach Spaß macht. Es ist gelungenes junges Theater, findet auch Roman Konieczny, der Darsteller des Ismael.
"Ich habe jetzt die letzten vier Jahre 'Tschick' gespielt, das ist ein Stoff, wo zwei Jugendliche durch ein Stück durchgehen, die sehr ehrlich miteinander kommunizieren. Und so ähnlich ging es mir jetzt mit diesem Stück, dass ich dachte: Hmm, die Sprache, die lässt sich gut bedienen. Das kommt sehr flüssig aus einem raus."
Demnächst wird "Djihad" seine ordentliche Deutsche Erstaufführung feiern nach dieser Werkstattinszenierung beim Festival Primeurs. Wo, wurde in Saarbrücken nicht verraten. Doch das Stück wird zweifelsohne seinen Siegeszug antreten auf deutschen Bühnen und in den Klassenzimmern. Genau wie in Frankreich.
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