Islamismus

Terror in Gottes Namen? Vielleicht doch!

Ein Mann liest im Koran.
"Vielleicht ist der Islam nicht das Problem. Ganz sicher aber ist, dass der Islam ein Problem hat", so Müchler. © imago/Xinhua
Von Günter Müchler · 13.01.2015
Nach den Anschlägen in Frankreich bemühen sich fast alle darum, klarzustellen: Der Terror hat nichts mit dem muslimischen Glauben zu tun. Der Journalist Günter Müchler ist sich da nicht so sicher. Er warnt vor Denkverboten.
Nach dem Anschlag auf die satirische Zeitschrift "Charlie Hebdo" war sich die politische Elite Frankreichs rasch einig: Der Islam hat mit dem Anschlag nichts zu tun. Katholische, protestantische und jüdische Kirchenführer stimmten einem namhaften Imam zu, der über den barbarischen Akt sagte: "Wer so etwas macht, hat keine Religion".
Sie werden zahlreicher
Kann man da sicher sein? Diejenigen, die die Bluttat im 11. Pariser Stadtbezirk begingen, sahen es anders. "Wir haben den Propheten gerächt", riefen sie, und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sie glaubten, was sie riefen. Wo immer der Terror zuschlägt, rechtfertigen die Täter ihre Taten mit ihrem Glauben.
Islamische Theologen wehren sich verständlicherweise gegen diesen Missbrauch, und weite Teile der öffentlichen Meinung folgen ihnen hierin. Sie schneiden damit allerdings einen wichtigen Strang der Erkenntnis ab. Die vom Motiv gelöste Tat wird unerklärbar, die Täter werden zu Verrückten gestempelt und zu verirrten Einzelnen. Aber verrückt sind sie nicht, jedenfalls nicht im klinischen Sinne. Und verirrte Einzelne sind es auch nicht. Sie werden immer zahlreicher.
Wer die Nachrichten verfolgt, der begegnet der Blutspur des Terrorismus fast täglich. Tatort ist die ganze Welt. Attackiert wird die Freiheit, wie bei "Charlie Hebdo". Oder es geht gegen die Juden. Als kürzlich nahe Paris ein jüdisches Paar überfallen wurde, geschah das mit den Worten: Juden haben immer Geld. Juden wurden erschossen vor einem Jahr in Toulouse, dann in Brüssel. Dann letzte Woche der Anschlag auf einen koscheren Supermarkt mitten in Paris, der vier Tote forderte. In allen Fällen waren radikalisierte Muslime die Täter. Die Auswanderung französischer Juden hat im letzten Jahr einen Höchststand erreicht. Sind die Juden paranoid, weil sie sich bedroht fühlen?
Vernichtungskrieg gegen Minderheiten
Boko-Haram, Al-Qaida, Mudjaheddin, Islamischer Staat: Wir lernen neue Namen und erleben, wie die Weltkarte neu vermessen wird nach den Einflusszonen von Gotteskriegerbanden. Am schlimmsten wüten die Dschihadisten übrigens nicht gegen die Ungläubigen, wie sie sie nennen. Im blutigen Streifen, der sich von Damaskus bis Bagdad zieht, führen Muslime einen Vernichtungskrieg gegen Minderheiten, von denen die meisten muslimische Minderheiten sind.
Vielleicht ist der Islam nicht das Problem. Ganz sicher aber ist, dass der Islam ein Problem hat. Vorsicht! Man darf der Islamophobie nicht Vorschub leisten!, warnen die Bedenklichen und haben dabei die schrecklichen Vereinfacher im Sinn, die am liebsten alle Muslime außer Landes jagen würden. Aber mit Denkverboten und Sprachverstümmelungen wird die Herausforderung nicht gelöst. In Deutschland fanden sich dieser Tage Führer der großen Glaubensrichtungen zu einer gemeinsamen Erklärung zusammen:
"Im Namen Gottes darf nicht getötet werden!" war da zu lesen. Was aber, wenn es doch geschieht?
Günter Müchler: Der Journalist studierte Politikwissenschaften, Neuere Geschichte und Zeitungswissenschaften. Er arbeitete als Redakteur der "Günzburger Zeitung" und der Deutschen Zeitung/ "Christ und Welt", später als Bonner Korrespondent der "Augsburger Allgemeinen" und der "Kölnischen Rundschau" (1974 – 1987).
Günter Müchler
Günter Müchler lebt in Paris.© Deutschlandradio/Bettina Fürst-Fastré
Im Deutschlandfunk war er Leiter der Aktuellen Abteilung, Chefredakteur und Programmdirektor, zuletzt auch von Deutschlandradio Kultur (bis 2011). Jüngste Buchveröffentlichungen: "1813. Napoleon, Metternich und das weltgeschichtliche Duell von Dresden" (2012), "Napoleons Hundert Tage. Eine Geschichte von Versuchung und Verrat" (2014).
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