Islam und Integration

Wir brauchen eine umarmende Säkularität

Das Foto vom 15.02.2017 zeigt die DITIB-Moschee in Fürthen (Rheinland-Pfalz). Fahnder des Bundeskriminalamtes haben das Anwesen aufgrund von Spionage-Vorwürfen gegen Imame des islamischen Moscheeverbandes DITIB durchsucht. Foto: Thomas Frey/dpa | Verwendung weltweit
Ditib-Moschee in Fürthen: Memet Kilic fordert mehr Kunst und Aufklärung statt religiöser Engstirnigkeit © Thomas Frey/dpa
Von Memet Kılıç · 23.02.2017
Die Engstirnigkeit deutscher Islamverbände steht der offenen Gesellschaft entgegen, sagt der Grünen-Politiker Memet Kılıç. Islamische Erziehung sei Teil des Problems − gegen religiösen Fanatismus helfe nur mehr Ethik, Philosophie, Kunst und Aufklärung.
In der mit vielen religiösen Formeln geschmückten Rede des türkischen Ministerpräsidenten Yildirim in Oberhausen fiel auch ein Satz, der in den deutschen Medien keine Beachtung fand. Aus Unkenntnis oder Angst?
Yildirim brüllte in die Menge und über alle türkischen TV-Kanäle an die Millionen in Europa: "Ihr seid Akincis eines großen und mächtigen Landes".
"Akinci" sind "Sturmreiter", Sturmreiter des Osmanischen Reiches. Die in Europa lebenden Anhänger Erdogans sind für die Botschaft empfänglich. Sie haben solche glorifizierten Geschichten über Erzählungen und Heldenfilme inhaliert. Das deutsche Publikum wird sich fragen, wie es kommt, dass in den kommenden Monaten Erdoğans Anhänger Deutschland und Europa zunehmend als Feindesland betrachten und bekämpfen werden.

Nährboden für Fanatismus

Es wird ja bereits gekämpft. Gegen mehrere Imame der türkischen Religionsbehörde in Deutschland ermittelt der Bundesgeneralanwalt wegen Spionage. Deutsche und europäische Gerichte beschäftigen sich regelmäßig und in allen Instanzen mit der Kopftuchfrage, mit der Burka, mit Gebetsräumen und Moscheebauten und mit Schwimmunterricht. Das wird so weiter gehen. Die Islamisten werden mit vielen Sticheleien die offene Gesellschaft und den Rechtstaat herausfordern und manchmal wohl auch überfordern. Die gesellschaftliche Bruchlinie der Zukunft wird mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen religiösem Fanatismus und Rechtstaatlichkeit verlaufen.

Formelhaftes Religionsverständnis

Das harte Vorgehen gegen die Salafisten ist richtig und wichtig. Jedoch stellen sie nicht die eigentliche Bedrohung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung dar. Es sind vielmehr die konservativen Islamverbände, die sich in Relation zum IS und den Salafisten als "moderat" verkaufen können. Bald werden diese Kräfte die Politik dazu bringen, Kinder noch frühzeitiger religiös zu bilden, damit diese gegen Salafisten "immun" werden? Das Gegenteil ist wahr! Die Kinder und Jugendlichen werden – wenn es nach diesen Verbänden geht - mit einem erzkonservativen und formelhaften (drei Mal musst du das tun, fünf Mal dies) Religionsverständnis "kontaminiert". Wer der Religion Liebe, Kunst, Philosophie und Aufklärung entzieht, hinterlässt einen Nährboden für Fanatismus und Terrorismus.

Prüft die Haltung zur Aufklärung!

Die Antwort auf die religiöse Engstirnigkeit ist nicht die religiöse Erziehung der Gesellschaft, mehr Islamunterricht, mehr Kopftuch, mehr Imame als Seelsorger, sondern eine umarmende Säkularität: mehr Ethik, Philosophie, Kunst und Aufklärung.
Ja, eine umarmende Säkularität nimmt nicht jede religiöse Einstellung so, wie sie ist, sondern prüft die Haltung zur Aufklärung und universell gültigen Menschenrechten.
Anfang der 90er-Jahre wurde von der sogenannten Mehrheitsgesellschaft das Erlernen der deutschen Sprache als Integrationsleistung gefordert. Wir "Lobbyisten" von Immigranten haben wirtschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit bei der Bildung gefordert. Jetzt merken wir, dass wir nur teilweise Recht hatten.
Wir müssen zur gelungenen Integration alle diese Punkte zählen, aber darüber hinaus auf die Teilhabe an der politischen Kultur und Verfassungskultur unseres Landes pochen. Wenn in Deutschland geborene und aufgewachsene Menschen, die Bildung genossen und Arbeit haben, trotzdem den Despoten dieser Erde hinterher rennen und deren Propaganda in Deutschland verbreiten, dann läuft etwas falsch.

Memet Kılıç, Bündnis 90/Die Grünen, 50 Jahre alt, kam 1990 nach Deutschland. Er ist Mitglied der Anwaltskammern Ankara und Karlsruhe und Vorsitzender des Bundesintegrationsrates. Zuvor war er Bundestagsabgeordneter – mit Sitz im Innenausschusses sowie Integrationspolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion (2009-2013), ferner Mitglied des Rundfunkrates des Südwestrundfunks (1998-2008) sowie des "Beirates für Fragen der Inneren Führung der Bundeswehr" (2002-2010).

© Quelle: privat
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