Islam als neue Jugendkultur

Ich liebe Allah!

Ein jugendlicher Moslem mit T-Shirt "I love Islam" am Rande einer Kundgebung des Predigers Pierre Vogel am Hamburger Bahnhof Dammtor
Ein jugendlicher Moslem mit T-Shirt "I love Islam" am Rande einer Kundgebung des Predigers Pierre Vogel am Hamburger Bahnhof Dammtor © imago/Lars Berg
Von Güner Balci · 16.02.2015
Immer mehr junge Menschen begeistern sich für einen konservativen Islam. Dabei müssen nicht zwangsläufig islamistische Tendenzen eine Rolle spielen, wohl aber die Ablehnung der Lebens- und Moralvorstellungen einer freien Gesellschaft. Einblicke in eine muslimische Jugendkultur.
"Ich will zurück zum Anfang, als es begann, der erste Mensch entstand, ich red von Adam, klar man, ich glaub dran, wie ein Jude oder Christ, bin überzeugt, dass unser Dahsein kein Zufall sein kann, wie ein kritischer Forscher, der nach Jahren feststellt, dass eine höhere Macht die Welt im Innersten zusammenhält. Ich schlag den Koram auf und lese, will verstehen, wer ich bin, woher ich komme und wohin ich gehe..."
Islam heißt die neue Jugendkultur. Immer mehr junge Muslime aber auch Atheisten und Andersgläubige entdecken den Propheten Mohammed als neues Vorbild. Während Moscheen in Deutschland vor einigen Jahren noch, ähnlich der Kirche, große Schwierigkeiten hatten, Jugendliche zu erreichen, gehört die Freitagspredigt heute für viele Teenager zum Pflichtprogramm. Eine stetig wachsende Zahl von muslimischen Gemeinden, volle Gebetsräume, und immer mehr verschleierte Mädchen in Einwanderervierteln machen diese neue Jugendkultur sichtbar. Islam ist in! Jugendliche, die sich früher als Türken, Araber oder Albaner bezeichneten, nennen sie sich heute Muslime und sind stolz darauf.
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Das Diesterweg Gymnasium in Berlin-Wedding. Es ist Pause. In den langen Fluren gesellen sich Mädchen zu Mädchen und Jungen zu Jungen. Viele haben ihn, den berühmten Migrationshintergrund. Fast alle bezeichnen sich als Moslem.
"Islam stellt für mich nicht nur eine Religion da, sondern sie ist auch eine Lebensweise, denn sie gibt mir die Richtung vor, wo lang es eigentlich gehen soll. Zwar leben wir auf dieser Welt, um auch bestimmte Ziele zu verfolgen, wir dürfen frei Leben, aber wir dürfen das Maß nicht überschreiten, wir haben auch gewisse Grenzen... Der Islam ist ein Ideal für mich der mich auch einen Rahmen vorschreibt in dem ich mich bewegen darf. Ich hab viele Freiheiten. Ich muss mich aber auch an die Gebote halten, für mich ist es auch eine große Hilfe, eine Orientierung, die mir Kraft und Stärke gibt. Man sollte versuchen, den Propheten so gut wie möglich nachzuahmen."
"Ich finde dieser islamische Glauben macht mich aus. Der ist einfach in mir drinnen, es ist zwar meine Religion aber er ist ein Teil von mir, dieser Islam hilft mir in meiner Denkweise, wie ich denken soll, wie ich mich verhalten soll, halt alles was ich mache hat mit meiner Religion zu tun, wie ich mit meinem Herzen fühlen soll, ohne den Islam würde ich orientierungslos sein, ziellos und ich würd keine Stütze hinter mir haben, wenn man an etwas glaubt das gibt Kraft und Selbstbewusstsein."
"Ich praktiziere den Glauben dadurch, dass ich fünfmal am Tag bete, das ich faste, also diese fünf Säulen, sozusagen auslebe und das ich sozusagen in bestimmten Lebenssituationen es ist nicht einfach ein Paket, dass ich mal auspacke, wenn ich es brauche ... es ist ein Konzept, das man ständig anwenden muss, das man in jeder Lebenslage einfach anwendet, nach dem Vorbild des Propheten."
Islam als Religion für alle Lebenslagen. Klare Regeln, die auf alles eine Antwort geben. Was man darf und was nicht hängt einzig von der Interpretation des Koran ab. Für viele junge Muslime sind die oft starren Gebote verlockend. Die Werte einer freien Gesellschaft betrachten sie eher skeptisch.
"Das heißt, das man den Weg zu Gott, zu Allah suchen soll, weil wir ein verstand eine Seele bekommen haben, damit wir uns auch sehr kritisch mit dieser Gesellschaft und mit diesen Werten auseinander setzen sollen, um zu schauen, ist das richtig, ist das falsch, deshalb sind auch die Gebote da."
Gerade bei den wichtigen und vor allem für Jugendliche mit Angst besetzten Fragen zum Umgang mit Sex gibt ihnen der Glaube Sicherheit:
"Ein Junge soll einer Frau nicht hinterherschauen, weil: da ist immer der Teufel dabei, Zucht ist sehr wichtig im Islam. Eine Frau zum Beispiel soll sich züchtig Kleiden, weil, ich nenn mal ein Beispiel: Wenn ich auf dem Boden zwei Bonbons sehe, eins ist eingepackt und das andere ausgepackt, welchen nimmt man lieber, natürlich den eingepackten."
Im Alltag, in der Schule, auf der Straße, immer wieder geht es den Teenagern darum, den Umgang mit dem anderen Geschlecht auszuloten. Was ist richtig? Was ist falsch – haram - also religiös verboten? Wisal, ein Mädchen mit langen offenen Haaren und rotgeschminkten Lippen hat eine klare Meinung dazu
"Es kommt auch immer auf die Absicht an, wie man einen Jungen anguckt, man sagt ja auch, der erste Blick gehört Dir, der zweite gehört dem Teufel...."
"Das ist auch ein Zufluchtsort für viele Schüler hier, die fühlen sich hier wohler als zu Hause. Hier treffen sie Freunde, hier können sie reden, wie sie wollen, was sie wollen. Wir haben auch viele Schüler, die ungern nach 16 Uhr nach Hause gehen, weil – und ich weiß nicht ob das nur eine kulturelle oder religiöse Sache ist. Da merkt man, dass zu Hause gewisse Vorschriften gewisse Regeln zu beachten sind und hier, sie können sagen was sie wollen, sie können ihre Gefühle äußern. Zu Hause weniger."
Garip Garip arbeitet seit neun Jahren als Schulsozialarbeiter am Diesterweggymnasium. Der gebürtige Syrer kennt die Lebensrealität seiner Schützlinge sehr genau. Er ist selbst in Wedding aufgewachsen und dankbar, dass die Schüler so offen über alles reden. Selbst dann, wenn deren Moral-Vorstellungen einen rückwärtsgewandten Islam wiederspiegeln.
"Die leben ja ihren Glauben nicht nur für sich, sondern auch für ihre Verwandten, für ihre Umgebung, mittlerweile ist es ja so, auch wenn sie vom Glauben ein bisschen abschweifen ist es ja so, dass sie in den Augen der andern nicht mehr so als Muslime angesehen werden, als: Du bist kein richtiger Moslem., und wenn man sie fragt, was ist denn ein richtiger Moslem, dann : der muss fasten der muss beten, der muss dass der muss jenes. Und mehr wissen sie darüber auch ehrlich gesagt nicht."
2007 sah sich die Schulleitung gezwungen ein Gebetsverbot auszusprechen weil eine Gruppe von Schülern damit den laufenden Schulbetrieb störte. Der Fall wurde publik, als einer dieser Schüler für das Recht auf einen Gebetsraum vor Gericht zog. Ohne Erfolg. Damals stand die Presse täglich vor der Tür.
Die Direktorin Brigitte Burchardt ist heute immer noch eine der Wenigen, die zum Thema Islam an der Schule in die Öffentlichkeit tritt.
"Also die Religiosität dieser jungen Muslime hat sich in den letzten 25 Jahren stark verändert. War das noch in den 80er Jahren so, dass Religion gar keine Rolle gespielt hat, ist es spätestens in den 2000er Jahren zu einem Thema geworden. Das äußert sich auch daran, dass Manche Religion als innere Einkehr, als Privatsache verstehen, Andere Wenige zwar aber immerhin einige Schüler, glauben den anderen vorschreiben zu können und zu müssen, wie er seine Religion quasi auslebt. Da das ja unterschiedliche Gruppen der Muslime gibt also keinen Dachverband, wie es in der christlichen Kirche der Fall ist, und unterschiedliche Gruppen existieren, spiegelt sich so was auch an der Schule wieder und glaubt der eine dem anderen, was ein richtiger Muslim, eine richtige Muslima ist."
Da die richtigen Argumente zu finden, ist für die Lehrer immer wieder eine Herausforderung. Den Koran hat Brigitte Burchardt deshalb noch nicht studiert.
Kommt es im Unterricht zu einer Diskussion über Islamische Regeln und Gebote, weiß sie sich anders zu helfen.
"Wenn man ein Thema hat und ein Schüler sagt: Aber im Koran steht das so und so, dann sage ich: Das würde ich jetzt auch mal interessieren, zeig mir doch jetzt mal, wo das steht. Und dann kommt eine ganze Weile gar nichts, weil ich dann denke: So intensiv und so genau haben die wenigsten jungen Menschen den Koran gelesen. Sondern das ist immer das Tradierte, was die Familie sagt oder was in der einen Moschee vorgelebt wir und gepredigt wird, das, was sie aufnehmen, aber dass sie sich tatsächlich mal den Text vornehmen und den lesen und studieren und den interpretieren, was das dann bedeuten könnte, wenn ich den mit dem Leben des 21.Jhd. in Beziehung setze, ...das passiert selten."
Genau um dieses Reflektieren, geht es Ihr bei der Auseinandersetzung mit den Schülern. Doch dazu brauchen beide Seiten fundierte Kenntnisse über den Islam. Sie selbst sei da einfach überfragt.
"Was ich für wichtig erachte ist, dass die Schülerinnen und Schüler Religionsunterricht haben und zwar von staatlich ausgebildeten, an Universitäten ausgebildeten Religionslehrern, das wäre mir wichtig und wenn es so was gibt, würde ich das auch gerne als Angebot unseren muslimischen oder sonstigen Schülern anbieten."
Solange es an muslimischen Theologen mangelt, füllen andere diese Lücke
"Die Salafisten laufen hier zu zweit, zu dritt, in jede Ecke und sobald die so Jugendliche sehen, und sobald ein Jugendlicher mit einem Dreitagebart läuft, wird er sofort angesprochen. Die laufen auch von Geschäft zu Geschäft, wo sie sehen, der Inhaber ist ein Migrant. Dann gehen sie rein und suchen spenden und versuchen auch die Inhaber oder die Angestellten dieses Geschäfts zu sich zu holen, indem sie sagen. Ja, wir machen hier eine Veranstaltung, in Punkto Islam und wir bringen euch was bei. Das beobachte ich extrem und das sehe ich auch viel und ihre Anhänger sind extrem geworden."
"Als wir den Laden gegründet haben, ging es um Gleichberechtigung, und es ging um mehr Freiheit es ging um mehr Räume für Frauen, es ging um Teilhabe an der Gesellschaft. Teilhabe an der Gesellschaft ist geblieben, aber das Ganze ist inzwischen überlagert von konservativen Frauenbildern. Das hätte ich mir vor 20-30 Jahren nie träumen lassen. Und das begann in den Neunzigern, dass diese Lebenskonzepte um sich gegriffen haben, dass alle liberalen und freieren muslimischen Familien das Viertel verlassen haben."
Güner Balci
Die Autorin Güner Balci© Torben Waleczek / Deutschlandradio
Gabriele Heinemann leitet seit über 30 Jahren den „Madonna Mädchentreff" in Neukölln. Heute sind fast alle Besucherinnen muslimisch.
Das war nicht immer so. Gegründet Anfang der 80er ging es den Frauen im MaDonna darum, feministische politische Arbeit voranzubringen. In den letzten 20 Jahren hat sich das Viertel jedoch verändert. Früher lebten hier Menschen aus verschiedenen Kulturen, heute ist die Mehrheit der Bewohner muslimisch, meist aus der Türkei, dem Libanon oder Palästina. Vor allem die starren Moralvorstellungen der Familien haben das Leben der Mädchen im Viertel stark verändert.
"Also Früher hatten wir bestimmte Jungs, die sehr dominant waren im Kiez, die man ganz einzeln auch benennen konnte, die zu den Familien hingegangen sind und gesagt haben: Ey, wieso läuft deine Tochter so rum, warum trägt sie das und warum trägt sie nicht lange Ärmel. Inzwischen hat sich der Druck von diesem Bild des Sittenwächters aber verselbstständigt, also die Mädchen passen selber mit einer Strenge aufeinander auf, und man kann das dann Mobbing nennen, wenn sie üble Nachrede machen, wer eine Schlampe ist oder wer sich was wie herausgenommen hat. Das hat enorm zugenommen, denn der Druck, wenn vielleicht die Mädchen vor zehn bis 5 Jahren gesagt haben: "Ach ist mir egal, lasst die doch reden.' Das gibt es nicht mehr."
Ein paar hundert Meter Luftlinie vom MaDonna entfernt befindet sich die Sehitlik Moschee, die Heimat von Berlins ältester Moscheegemeinde. Ein Prachtbau mit Mosaiken viel Marmor - eigens aus der Türkei eingeflogen. Orientalische Architektur, die sich sehen lassen kann. Ender Cetin ist hier Vorstandsvorsitzender. Er und seine Frau, sind sie das junge Gesicht einer offenen Gemeinde, die mehr sein will, als nur Gebetshaus für Muslime. Jeden Tag finden hier Führungen statt. Schulklassen und Touristen, alle sind willkommen. Auch Ender Cetin sieht, dass es eine wachsende Begeisterung für seine Religion gibt.
"Ich habe das Gefühl, dass es seit dem 11. September 2001 bergauf ging, was das Interesse für Religion angeht. Die Masse, die wird nicht religiöser, deren Vokabular wird religiöser. Sich als Moslem zu definieren sehen sie als Hauptidentität. Die Eltern vieler Jugendlicher haben keine Ahnung über den Islam. Freuen sich aber über religiöse Kinder, denn sie kommen weg von Drogen und Kriminalität. Und wenn man dieses Know how nicht hat über Religion, weiß man nicht in welche Szene die Kinder eindringen. Da bedarf es auf jeden Fall der Aufklärung. Es gibt sehr viele Gruppen in Berlin und manche dieser Gruppen haben eben andere politische Interessen. Da macht man sich schon Sorgen, weil wir haben sehr viele Jugendliche, gerade hier in Neukölln, die wenig Zukunftsperspektiven haben, die auch nicht immer eine Chancengleichheit erleben, die Diskriminierung erleben. Und dann bleibt ihnen so was wie eine Restidentität, 'der Moslem'."
Jugendkultur, die sich über Abgrenzung zu den Anderen, den Ungläubigen definiert. Das sind Erfahrungen, die auch Gabriele Heinemann macht. Sie kann verstehen, dass da nur wenige Jungen und Mädchen es wagen, eine andere Meinung zu vertreten.
"Daran sieht man schon welche andere Rolle die Religion spielt und der Fundamentalismus hat seit Ende der 90er rasant zugenommen so dass insbesondere die Mädchen ganz doll unter Druck stehen, sich einem bestimmten Bild des reinen Mädchens anzupassen, und man kann sagen inzwischen überbieten sie sich förmlich in dieser Beteuerung, wie rein sie sind, und wie sehr sie sich an die regeln halten, und in den letzten drei vier Jahren muss man leider feststellen, dass es einen richtig reaktionären Schlag durch die Entwicklung des Salafismus gekriegt hat, der unmittelbar bei uns im Viertel wirkt. Wir haben einen salafistischen Frauenverein, der auf die Personen und die Familien einwirkt."
Konvertieren lautet das Gebot der Stunde. Wer dem Anpassungsdruck nicht standhält, wechselt das Viertel.
Manchmal ist es aber auch nur die Sehnsucht nach Grenzen und klaren Regeln, die die Jugendlichen antreibt. So wie bei Erzsebeth Roth. Als Kind einer Ungarin und eines Deutschen, empfand sie die „extreme" freie Erziehung, die sie selbst erfuhr, als „anstrengend."
"Ich war 21. Und war Leistungssportlerin im Boxen und Kickboxen, wollte Profi werden. Hatte auch einen guten Trainer, dem ich überall hin gefolgt bin. Ich habe zu dem Zeitpunkt in Ostberlin gewohnt. Dann ist er nach Neukölln in ein Fitnessstudio gegangen, wo ich ihm hin gefolgt bin. Da waren sehr viele Muslime, und ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Muslime kennengelernt, die auch ihre Religion praktizieren. Da gab es eine Clique...Wir sind nach dem Training was essen gegangen, dann habe ich gefragt wie das so ist mit dem Islam und wieso man Kopftuch trägt und warum mal 5x am Tag betet. Ich habe mich sehr damit beschäftigt. Das war ein Zeitpunkt von Sinnsuche."
Vater geschockt von der Islam-Begeisterung der Tochter
Als 16-Jährige bekam sie ihre eigene Wohnung. Die heute 30 jährige durfte immer machen, was sie wollte. Jungs, Alkohol, Partys. Erzsebeth Roth sagt, dass sie froh ist, damals nicht abgerutscht zu sein.
"Als ich mich intensiv mit dem Koran auseinandergesetzt habe, da war ich wütend. Dass ich vorher nichts darüber erfahren habe. Ich habe viel über die Bibel erfahren, aber nie über den Koran etwas gehört oder gelesen im schulischen Kontext.
Mich hat es damals so wütend gemacht, dass mir niemand was von dem Buch erzählt hat. Als hätte man mir das vorenthalten. Wie man die Welt auch sehen könnte, wie man auch leben könnte, also das ganze Lebensformat, was dazu gehört. Es werden auch Wunder im Koran beschrieben. Ich war wütend, dass mir niemand was davon erzählt hat."
Ihrem Vater versetzte ihre Begeisterung für den Islam einen Schock.
"Also meine kleine Tochter Elisabeth, so wie ich sie kenne, ist nicht religiös groß geworden. Plötzlich kam sie damit an. Und hat ihren Vater geschockt."
"Was hat Dich mehr geschockt, dass ich zum Islam übergetreten bin oder dass ich Kopftuch getragen habe.
"Geschockt hat mich eigentlich, dass Du einer Massenideologie hinterherläufst. Du bist ja nicht religiös großgeworden mit mir, sondern ich habe immer geglaubt, ich habe eine Tochter, das ist eine Atheistin, Und in dem Moment wo Du konvertiert bis, hab ich mich gefragt, was hab ich da falsch gemacht. Denn ich hab Dich ja zu einem freien Willen geführt."
"Du hast das Wort Erziehung nicht verwendet."
"Ich hab Dich ja auch nicht erzogen, ich hab Dich nur unterstützt."
"In dem Moment, wo ich konvertiert bin, habe ich ein Stück Identität verloren, in Bezug auf die Gesellschaft und wie sie mich wahrnimmt. Auch meine Familie, die das erst mal nicht verstanden hat. Da muss ich sagen, dass ich in dieser muslimischen Jugendgemeinschaft eine Grundlage gefunden habe, wie man das vereint, deutsch und Moslem zu sein."
Islam als Schutz für die Frauen?
Den Vorwurf, der Islam sei eine Entrechtung der Frau, kann die Konvertitin nicht verstehen.
"Damals, als der Islam herabgesandt worden ist, da haben die Frauen den Islam angenommen, weil sie dadurch mehr Rechte hatten. Weil sie dadurch mehr Schutz bekommen haben. Und so sollte es eigentlich auch immer bleiben, dass die Frauen dadurch mehr Schutz bekommen, weil wir sind physisch, von der körperlichen Veranlagung her immer schwächer gegenüber Männern."
"Das sind doch völlig überholte Erklärungsmuster. Eine Moderne Gesellschaft lebt nicht mehr von den Fragen der physischen Stärke, sondern von den Fragen der Intelligenz, und der Fähigkeit zur Dienstleistung, zu Service, zur Kommunikation, zu Kooperation...wie wir wissen sind Frauen dabei sehr viel stärker."
"Es fehlt ihnen an Bildung. Die Immigranten, denn der Großteil der Muslime in Europa sind Einwanderer, Arbeit, ich weiß nicht. Die Muslime in ihrem Land sin d schon reich, sie sind kultiviert, sie schicken ihre Kinder zur Schule. Sie brauchen nicht nach Europa zu gehen. Die, die nach Europa kommen, sind die, die in ihrem Land gescheitert sind oder die bedürftig sind oder die heimlich kommen oder die von Europa angezogen werden, von dem Glanz, von Paris oder anderen Dingen, die nichts mit Religion zu tun haben. Es ist nicht die Religion Europas, die sie anlockt. Diese Leute haben Bedürfnisse."
Dalil Boubakeur, Direktor der Grande Mosquée de Paris ist einer der höchsten islamischen Würdenträger Frankreichs. Seine liberalen Ansichten haben ihn weltweit bekannt gemacht und er ist trotz seiner elitären Haltung Vorbild für eine Generation junger Imame, die für ein aufgeklärtes Islam stehen.
Seine Gemeinde ist eine der größten Europas. In den letzten Jahren hat er sich immer wieder für ein Kopftuchverbot an Schulen ausgesprochen. Dafür erhielt er Morddrohungen. Er fordert eine zeitgemäße Auslegung des Islam und strikte Trennung von Staat und Religion. Den wachsenden Trend zu einem rückwärtsgewandten Islamverständnis bei jungen Europäern beobachtet er mit Besorgnis.
"Das Internet beeinflusst sehr die jungen Leute, die den ganzen Tag darin surfen, Nachrichten empfangen und manchmal ist das sehr gefährlich. Gefährlich. Wir hatten einen Jungen, 12 Jahre alt oder 15, der schaut das an, tack, tack, tack, er tötet seinen Bruder und sein Schwester. Dies Internet ist etwas, das Einfluss ausübt. Wie sagt man....Suggestion...Eindruck...das ist wie eine ketzerische Indoktrinierung. Die Kinder haben nicht genügend Erfahrung im Umgang mit diesen Dingen und glauben. Sie glauben, was sie sehen, was sie lesen."
Der Grund dafür, dass diese neue Religiösität von Teenagern oft radikal wird, sieht Boubakeur in der mangelnden Bereitschaft bestimmten religiöse Strömungen klare Grenzen zu setzen. Zuviel Toleranz der Intoleranz.
"Also, Europa ist sehr schwach. Für einen Arzt ist Europa krank. Da ist keine Kraft mehr, mit der Religion umzugehen. Religion hat freien Lauf, das sind die Prinzipien Europas und jeder erzählt, was er will. Wenn ich arabische Kleidung anziehe und hier mit den Worten 'Allah aqba, allah aqba' rausmarschiere, würden 1000 Menschen kommen, um mich zu sehen. Ich könnte das machen. Man muss aufpassen. Religion kann die beste oder die schlimmste Sache überhaupt sein. Man muss sehr aufpassen, wenn man es mit Religion zu tun hat und man darf nicht einfach tun, was man will. Ich sehen das Risiko, dass es zu Feindschaft kommen könnte. Schon jetzt ist die öffentliche Meinung in Frankreich zu 70, 80 Prozent feindselig gegenüber den Muslimen eingestellt. In der der Schweiz hat man die Minarette verboten. In England gibt es Anschläge und in Frankreich den Front National."
Ender Cetin möchte vermitteln. Er kooperiert mit Schulen, berät sich mit der zuständigen Polizei vor Ort und scheut keine Gespräche mit der Presse. Das Alles macht er ehrenamtlich. Trotzdem ist er sich bewusst darüber, dass es nicht reicht, jungen Menschen in einer kritischen Selbstfindungsphase zur Seite zu stehen.
"Also viele Moscheen haben kaum Räume für Jugendliche, das sind meistens Gebetsräume. Weil Moscheen nicht viele Ressourcen haben. Viele der Jugendlichen finden sich nicht wider weil die Moscheen hochtürkisch oderhocharabisch sprechen. Da sehen wir eine Änderung, Moscheen öffnen sich. Wenig Jugendarbeit und Erwachsenenbildung findet statt. Jugendliche treffen sich woanders. Wohnungen, Jugendzentren. Die Jugendlichen die kommen, da gibt es keine Probleme, sind meistens Leute, die belesen sind. Wir kommen nicht an die problematischen Jugendlichen ran."
"Die am lautesten schreien werden gehört"
Mit seinem Anspruch junge Muslime zu eigenständigem Denken aufzurufen, ihnen keine Vorgefertigten Meinungen aufzudrücken, hebt sich Ender Cetin sich ab, von den vielen islamistischen Predigern, die seit Jahren in seinem Neuköllner Kiez auf Seelenfang gehe.
"Wenn Jugendliche alltägliche Fragen haben, die nicht mit einem "das ist richtig", "das ist falsch" zu beantworten sind, es gibt viele Antworten. Letztendlich muss jeder Jugendliche sich selbst entscheiden. Auch der Islam bietet das an, dass man selbst auf eine Antwort kommt, die dann natürlich islamkonform ist, aber das kann ja viel bedeuten. Das ist sehr weit in den Grenzen. Und grade in der heutigen Zeit und da finden Jugendliche manchmal nicht genaue Antworten. Kein ja und kein nein, das finden sie dann in Gruppen wider. Wer kein wahrhaftiger Moslem ist etc. Das ist eine Sache, die uns stört. Wir wollen die Jugendlichen sensibilisieren, selber auf Antworten zu kommen. Ohne Roboterdenken."
Auf die Frage, wie er den Einfluss extremistischer Prediger in Deutschland einschätzt, antwortet er ungern, denn seiner Meinung nach tauchen salafistische Prediger, wie der deutsche Pierre Vogel, ohnehin zu viel in den Medien auf.
"Also man sagt immer, die die am lautesten schreien werden ja gehört. die Mehrheitsgesellschaft denkt, wenn sie an den Islam in Deutschland denkt, an Pierre Vogel. Unser Fehler, also da sind wir nicht stark genug. Vielleicht müssen wir wirklich mehr tun im Internet."
Gabriele Heinemann hat irgendwann gemerkt, dass sie Vermittler braucht, um die Jugendlichen zu erreichen. Als Deutsche ohne muslimische Wurzeln, sei sie kein Vorbild für junge Mädchen, die davon träumen als Jungfrau in die Ehe zu gehen.
"Sie begründen alles mit der Religion. Ich sitze mit Mädchen, wir kochen, wir sitzen am Tisch, wir essen, und dann sagt die Tochter plötzlich, nachdem sie ein paar Wochen im Libanon war, in den Sommerferien, sagt sie: Oh Gott, ich hab mit der linken Hand gegessen, im Koram steht ich darf nicht mit der linken Hand essen. Dann sag ich hallo, Gott ist das egal, wie du isst, Gott ist in deinem herzen. ... und dann guckten mich alle Kinder an, so nach dem Motto, was redet sie über Gott und den Koran."
Bisher sind es meist kleine Initiativen, wie die von Ender Cetin, die diese Basisarbeit leisten. Modellprojekte, die oft nicht weiterfinanziert werden oder das Engagement von Einzelnen. Ender Cetins Führungen durch die Sehitlik Moschee sind für ihn eine Herzensangelegenheit. In den letzten Jahren war die Nachfrage so groß, dass er, gemeinsam mit seiner Frau auch andere Muslime dazu begeistern konnte, ihn zu dabei zu interstützen eine Moschee zum Anfassen zu schaffen. Er kann dabei nicht immer nur auf ehrenamtliche Bereitschaft hoffen und hat deshalb beim Senat Geld beantragt.
"Aber es gab nur im letzten Jahr eine Finanzierung, die nicht mehr stattfindet. Wir merken manchmal, dass wir nicht ganz verstanden werden. Wir sagen dem Integrationsbeauftragten, wir sind ein Migrantenverein und uns wird gesagt wir seien ein religiöser Verein, der nicht unterstützt wird. Wenn wir zum Senat für Religion und Weltanschauung gehen, dann sagt man uns wir sind ein Migrantenverein und kein religiöser Verein. Das heißt wir stehen so ein bisschen dazwischen."
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