Ischinger mahnt zur Besonnenheit im Konflikt mit Moskau

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Hanns Ostermann · 27.08.2008
Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland als einen gravierenden Fehler bezeichnet. Es müsse gezeigt werden, dass "es so nicht geht". Gleichzeitig dürften aber keine Türen zugeschlagen werden, sagte Ischinger.
Hanns Ostermann: Was kommt da auf uns zu? Der Georgien-Konflikt zieht immer weitere Kreise, nachdem Russland offiziell Abchasien und Südossetien anerkannt hat, die beiden abtrünnigen georgischen Provinzen. Die USA erwägen scharfe Gegenmaßnahmen, man dulde keine neue Trennlinie in Europa, so Außenministerin Condoleezza Rice. Die Europäische Union trifft sich am Montag zum Krisengipfel und das Bundeskabinett schließlich entscheidet heute, ob auch deutsche Soldaten an der Beobachtermission der OSZE teilnehmen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit. Was will Moskau, und wie können oder müssen die Europäer reagieren? Darüber möchte ich mit einem erfahrenen Diplomaten und Krisenmanager reden. Wolfgang Ischinger leitet heute die Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik. Er war früher Botschafter und vor allem auch Unterhändler der EU für das Kosovo. Herr Ischinger, ich grüße Sie!

Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!

Ostermann: Warum spielt Russland mit dem Feuer? Diesen Begriff wählte der schwedische Außenminister?

Ischinger: Ich glaube, es gibt eine ganze Reihe von Gründen, die die Moskauer Führung bewogen haben, so zu handeln, wie sie handelt. Ich teile die Meinung derer, die glauben, dass Moskau inzwischen zwei relativ gravierende Fehler gemacht hat. Erstens, das verabredete Waffenstillstandsabkommen nicht auf Punkt und Komma präzise und möglichst rasch umzusetzen. Das hat sicherlich zu einem erheblichen Glaubwürdigkeitsproblem für Moskau geführt. Das ist aber weiterhin relativ leicht zu reparieren. Das ist eine Entscheidung, die in Moskau jede Stunde, jeden Tag durchgeführt werden kann. Das ist leicht machbar. Gravierender aus meiner Sicht ist die jetzt getroffene Entscheidung über die Anerkennung der beiden Provinzen, die ist nämlich, wie die Bundeskanzlerin festgestellt hat, nicht nur rechtlich außerordentlich problematisch, sie ist auch nicht mehr so leicht zu verändern. Man kann sich ja vorstellen, dass die Moskauer Führung, nachdem die beiden Häuser des Parlaments das auch so beschlossen haben, dass an dieser Entscheidung noch einmal zu rütteln ist. Insoweit sind Fakten geschaffen worden, die so leicht nicht mehr aus Welt zu schaffen sind. Und das ist noch eine große Belastung der Beziehungen zu Russland.

Ostermann: Fakten haben vorher aber auch die USA beispielsweise geschaffen, indem sie mit Polen und Tschechien den Raketenschutzschild initiiert und aufgebaut haben, Fehler gibt es auf allen Seiten. Nun könnte man sagen, dass Russland jetzt mit klarer Sprache beispielsweise auf diesen Vorgang antwortet?

Ischinger: Den Vergleich halte ich eigentlich nicht für zulässig, Herr Ostermann, denn selbst wenn man der Meinung ist, und die Meinung teile ja viele, dass es weder nötig noch besonders klug war, die Raktenabwehrvereinbarung in dieser Weise zu treffen, selbst dann wird niemand behaupten wollen, dass das gegen das Völkerrecht verstößt. Hier ist doch ein großer Unterschied. Genauso abwegig halte ich, mit Verlaub, die russische Behauptung, dass das, was Russland jetzt in Südossetien und Abchasien beschließt, dasselbe ist, was wir, der Westen, vor einem halben Jahr in Sachen Kosovo gemacht haben. Das ist das Vergleichen von Äpfeln mit Birnen. Das geht nicht. Und das weiß natürlich auch jeder kluge russische Diplomat, dass es hier einen großen Unterschied gibt.

Ostermann: Russland zeigt Härte, was die eigenen Machtinteressen betrifft. Zugleich hat es doch aber wirtschaftliche Interessen, Stichwort Energie. Der Rubel soll rollen. Wie passt das zusammen?

Ischinger: Ich denke, man muss sich bei diesen Fragen immer wieder die russischen Reaktionen ansehen. Nachdem was ich sehe und höre, nachdem was wir alle sehen und hören aus Moskau, erhält Ministerpräsident Putin, der frühere Präsident, und der neue Präsident für diese von ihm verfolgte relativ harte Linie doch grobe Zustimmung im Volk. Ich bedauere eines. Wir haben vor inzwischen zwölf Jahren die Entscheidung getroffen, die NATO zu erweitern. 1997 sind zum ersten Mal drei neue Mitgliedsstaaten aufgenommen worden. Damals hat aber die NATO die aus meiner Sicht kluge Entscheidung getroffen, dies nicht als eine einseitige Politik voranzutreiben, sondern sie zu balancieren durch den Versuch, das Verhältnis zu Moskau auszubauen. Deswegen wurde der NATO-Russland-Rat in seiner ersten Inkarnation damals gegründet. Meine persönliche Auffassung ist es, dass es durchaus Defizite gegeben hat in den letzten Jahren, an denen nicht nur die Russen schuld sind, sondern wo auch wir, der Westen, mehr hätte machen können, um das Verhältnis zwischen NATO und Russland konstruktiver, intensiver, sinnvoller zu gestalten. Der NATO-Russland-Rat hat nie die Rolle spielen können, hat sich nie dahin entwickelt, wo man damals bei der Gründung dieses Gremiums eigentlich hinwollte. Hier, denke ich, sollte man, wenn der Pulverdampf, der politische Pulverdampf, sich hoffentlich bald gelegt haben sollte, hier sollte man wieder ansetzen, wenn die Bedingungen es erlauben. Denn niemand kann oder auch niemand in Moskau wird daran gelegen sein, das Verhältnis dauerhaft zu belasten. Wir brauchen das konstruktive Verhältnis auf beiden Seiten.

Ostermann: Wir haben so ein bisschen telefonische Leitungsqualitäten, hin und wieder knackt die Leitung. Ich würde gerne trotzdem noch eines fragen wollen. Was empfehlen Sie jetzt der Europäischen Union, in deren Lager es ja auch Falken und Tauben gibt, sozusagen, für den Krisengipfel am kommenden Montag?

Ischinger: Ich empfehle vor allem, mit Besonnenheit zu reagieren. Das hat die Bundesregierung bisher, wie ich finde, sehr gut gemacht. Es gibt in der Tat unter unseren Partnern hier und da welche, die sich anscheinend nicht so klar darüber sind, dass derjenige, der zur Tür rausgeht, wie früher Herbert Wehner zu sagen pflegte, wer zur Tür rausgeht, der muss auch wissen, wie er wieder reinkommt. Und deswegen kann niemand ein Interesse daran haben, hier irgendwelche Türen ganz zuzuschlagen. Das Signal muss deutlich sein. Es muss Moskau deutlich gemacht werden, dass es aus unserer Sicht so nicht geht. Aber wir müssen die Dialogfähigkeit, wir müssen die Fäden, wir müssen die Tür offen halten. Es ist dann an Moskau, auf das fortgesetzte, fortbestehende Gesprächsangebot einzugehen und sich politisch so zu verhalten, dass wir auch konstruktiv zusammenarbeiten können.

Ostermann: Herr Ischinger, Danke für das Gespräch heute früh. Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik, und er war Unterhändler der EU für das Kosovo. Die nicht optimale telefonische Leitung bitten wir zu entschuldigen.

Das gesamte Gespräch mit Wolfgang Ischinger können Sie bis zum 27. Januar 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio