Ischinger: Europa muss mehr Präsenz im asiatischen Raum zeigen

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit André Hatting · 21.11.2011
Europa müsse die Beziehungen zu den asiatischen Staaten zu einem Schwerpunkt der europäischen Außenpolitik machen, sagt der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, anlässlich der erstmals in Peking tagenden Sicherheitskonferenz.
André Hatting: In diesen Tagen findet die Münchner Sicherheitskonferenz statt, genauer gesagt, ein Ableger des größten internationalen Treffens zur Außen- und Verteidigungspolitik. Die Hauptveranstaltung, die war im Februar, natürlich in München, seit gestern tagen die Vertreter der Außen- und Sicherheitspolitik in Peking. Das ist ein Novum in der 50-jährigen Geschichte der Veranstaltung und natürlich kein Zufall. Am Telefon ist jetzt Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Guten Morgen, Herr Ischinger!

Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!

Hatting: Die Premiere in Asien ist bedeutungsschwanger, denn im Augenblick knirscht es ja dort gewaltig in der Sicherheitsarchitektur. Welche Rolle spielt der Streit zwischen den USA und China auf Ihrer Konferenz?

Ischinger: Na ja, es war natürlich ein Zufall, ein nützlicher Zufall, denke ich, dass unmittelbar vor unserer Tagung die Diskussion über die amerikanische Asien-Politik, über das Verhältnis zwischen USA und China die Schlagzeilen der Zeitungen insbesondere hier in China füllten - aber ja nicht nur in China, sondern sonst überall auch. Deswegen war das natürlich, wenn ich es mal so nennen darf, ein besonders belebendes Element für unsere Konferenz, die aber auch im Übrigen natürlich eine Menge Themen zu behandeln hat, die über den amerikanisch-chinesischen Streit weit hinausreichen.

Hatting: Darauf kommen wir gleich, bleiben wir bei diesem belebenden Element. Es sind ja Vertreter Chinas, Vertreter der USA auf der Konferenz. Wie haben die miteinander sozusagen informell, abseits der großen Politik über dieses Thema gesprochen?

Ischinger: Also, mein Eindruck ist, dass man in Peking kein Interesse daran hat, jetzt Öl in irgendein Feuerchen zu kippen, sondern man gibt sich eher gelassen. Aber klar ist auch, dass die chinesische Politik natürlich nicht erfreut darüber ist, dass die Supermacht USA ihren Anspruch auf Präsenz in diesem Teil der Welt so deutlich, wie gerade durch Präsident Obama geschehen, unterstreicht. Mein Eindruck ist, auf chinesischer Seite möchte man an der chinesischen weiteren Wirtschaftsentwicklung arbeiten und sich nicht auf Konflikte im Südchinesischen Meer einlassen.

Hatting: Skizzierern Sie mal kurz das Problem: Wenn man sich chinesische Landkarten anschaut, dann erkennt man eine riesige Schleife im Südchinesischen Meer, die bis nach Malaysia, Indonesien und die Philippinen reicht. Das sehen die betroffenen Länder natürlich ganz anders und die USA springt jetzt gewissermaßen als Schutzmacht dazuwischen und für Peking ist das eine Einmischung in innere Angelegenheiten. Das klingt wie eine Front, die man nicht richtig überwinden kann, gibt es trotzdem einen Kompromiss? Wie könnte der aussehen?

Ischinger: Diese Beiträge zum Teil von sehr hoch gestellten Persönlichkeiten aus der chinesischen Kommunistischen Partei, aus der chinesischen Regierung, gehen alle in die Richtung, dass China seinen Weg einer, wie man das in China nennt, einer harmonischen Weiterentwicklung der Betonung gemeinsamer Interessen hat. Man möchte die Dinge in diese Richtung entwickeln. Dabei ist aber natürlich klar, dass China durchaus seine eigenen strategischen Interessen sieht und natürlich besorgt darüber ist, dass es hier tatsächlich zu einer Beeinträchtigung der weiteren chinesischen Interessen im eigenen Nachbarschaftsumfeld kommen könnte. Dies ist eine besonders interessante Phase, weil die USA sich nun eben gerade dazu entschlossen haben, ihre Außenpolitik ganz massiv künftig auf den pazifischen Raum zu konzentrieren. Ich bin übrigens nicht der Meinung, dass das zwangsläufig im deutschen Interesse ist. Ich halte persönlich gar nicht so furchtbar viel davon, dass die amerikanische Außenpolitik sich möglicherweise in der Folge dieser Entscheidung europäischen Krisen und europäischen Problemen weniger verbunden fühlen könnte als in der Vergangenheit.

Hatting: Ja, das ist im Prinzip der zweite Aspekt an der ganzen Thematik. Es sieht ja auch aus wie eine Bewegung weg vom traditionellen transatlantischen Bündnis, wenn US-Präsident Barack Obama von einer, Zitat, "strategischen Entscheidung" spricht. Wundert es Sie, dass Europa bislang kaum darauf reagiert hat?

Ischinger: Na, das wundert mich nicht. Ich denke, da wird es noch viele Diskussionen im Bündnis geben und ich glaube, wir wären schlecht beraten, darauf jetzt hysterisch oder dramatisch zu reagieren, immerhin haben wir ein funktionierendes Bündnis und immerhin sind im Rahmen dieses Bündnisses militärische Einsätze nach wie vor unterwegs gemeinsamer Art, auf dem Balkan, ja, auch noch in Afghanistan, der Einsatz geht ja nun demnächst allmählich zu Ende. Also, es ist ja nicht so, dass hier das Ende des amerikanischen Engagements in Europa bevorsteht. Aber klar ist, das haben ja auch schon frühere amerikanische Äußerungen gezeigt: Amerika erwartet, dass wir Europäer unsere Geschicke künftig stärker in die eigenen Hände nehmen. Also, wir müssen uns darauf einstellen, dass wir Europäer im europäischen Umfeld künftig nicht mehr in derselben Weise regelmäßig auf amerikanische Führung, auf amerikanisches Material, amerikanische militärische Zurverfügungstellung rechnen können. Das zwingt uns zu ganz neuem Nachdenken.

Hatting: Das ist die eine Seite, sozusagen mehr Eigenverantwortlichkeit Europas, der Europäischen Union. Auf der anderen Seite kann man natürlich die Frage stellen: Warum spielt Europa in Asien politisch bislang so gut wie keine Rolle, während Amerika sich jetzt verstärkt diesem Raum zuwendet? Hat die Union die Entwicklung in Asien verschlafen?

Ischinger: Nein, das glaube ich nicht. Aber natürlich liegt der Schwerpunkt sowohl des deutschen wie auch des europäischen Engagements in Asien natürlich eher im Handels- und Investitionsbereich. Als strategischer Mitspieler kann sich Europa mangels Masse, mangels Ressourcen in diesem Raum nicht aufspielen, da müssen wir auch realistisch sein. Wir haben dort keine machtpolitischen Fähigkeiten in diesem Raum und die dürfen wir uns auch nicht einbilden. Amerika hat diese und einige, eine ganze Reihe der Staaten in der Region, denken Sie an Japan, denken Sie an Südkorea, verlassen sich seit Jahrzehnten genau so, wie wir das in Europa getan haben, auf die amerikanische militärische Macht, auf den amerikanischen militärischen Schirm für die eigene Sicherheit. Eine solche Rolle spielt Europa nicht, aber ich denke, in der Tat ist es wichtig, dass wir Europäer erkennen, was in Asien passiert, dass hier der dynamischste Teil der Weltwirtschaft immer stärker wird und dass es auch für uns Europäer eine wichtige strategische Zielsetzung sein muss, diese Entwicklung nicht zu verpassen. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass wir hier militärisch sichtbar sein müssen, aber wir sollten schon politisch sichtbar sein. Und da gebe ich Ihnen recht, da hat es in letzter Zeit durchaus etwas gefehlt, auf den großen internationalen Tagungen in Asien war Europa entweder nicht anwesend oder kaum anwesend. Das muss sich ändern, wir müssen die Entwicklung in Asien auch zu einem Schwerpunkt unserer gemeinsamen außenpolitischen Bemühungen in der Europäischen Union machen.

Hatting: Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz war das, die tagt zum ersten Mal in Peking. Herr Ischinger, ich bedanke mich für das Gespräch!

Ischinger: Danke schön! Auf Wiederhören!

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