Irrsinn in Perfektion

Von Jörn Florian Fuchs · 08.11.2012
In seiner Inszenierung von Gaetano Donizettis kaum bekanntem Einakter "I pazzi per progetto" - "Die Irren aus Vorsatz" - und Oscar Strasnoys Kurzoper "Le Bal" setzt Karsten Wiegand auf eine Mischung aus komischen und tragischen Effekten. Durchaus mit Erfolg.
Gaetano Donizetti war eine Ein-Mann-Kompositionsfabrik und schrieb manches rasch herunter. Meisterwerke freilich brauchen Zeit, eine "Anna Bolena" oder "Lucrezia Borgia" gießt man nicht so nebenbei in Musik mit Hitqualität.

Die Bayerische Theaterakademie beweist jetzt Mut und setzt Donizettis kaum bekannten Einakter "I pazzi per progetto" ("Die Irren aus Vorsatz") auf den Spielplan. Donizetti komponierte das Stück in Windeseile, 1830 wurde es im Rahmen einer Benefizveranstaltung am Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführt.

Brillante Arien oder Ensembles sucht man vergebens, alles klingt arg nach Konfektionsware. Immerhin hatte Donizetti zumindest ein paar nette Einfälle, wie lüstern lockende Streichertutti oder einen Hysterikerinnenchor, der von männlichen Ermahnern donnernd zur Raison gebracht wird.

In einem Irrenhaus treffen sich diverse Personen mit recht unterschiedlichen Defekten, wobei alles nur gespielt ist. Da ist etwa ein desertierter Soldat auf der Flucht vor seinem General, den er natürlich bald dort trifft, ein untreuer Gatte wird mit seiner Geliebten und zugleich der Ehefrau konfrontiert, über allem wacht der Chefarzt als Spielführer.

Weil wirklicher Tiefgang bei den Figuren fehlt, bietet es sich an, ein Feuerwerk an Albernheiten abzubrennen. Martin Kušej hat das unlängst in Zürich versucht, heraus kamen sich dahin ziehende Zoten. Am Münchner Prinzregententheater heizt Karsten Wiegand den Nachwuchssängern der Bayerischen Theaterakademie kräftig ein und gibt dem Affen Zucker.

Drei Gummizellen mit psychedelischen Tapeten sind der ideale Ort für wahnsinnig viel Unsinn. Wunderbar, wie der Arzt einen Sopran von Koloraturkaskaden durch eine Beruhigungsspritze befreit, schön, wie immer neue, wahnwitzige Kabinettstücke entstehen. Doch hinter dem Oberflächenspaß gibt es noch eine andere Ebene, die bei Donizetti und einem Librettisten Domenico Gilardoni nicht angelegt scheint. Manch einer verletzt sich selbst, sitzt plötzlich einsam im Zimmer nebenan oder reagiert zumindest unbehaglich auf das Geschehen rings herum.

Gegen Ende hebt der ganze Raum buchstäblich ab und schaukelt ein wenig über dem Boden. Hier schwanken alle, echte wie unechte Irre.

In eine Anstalt ganz anderer Art führt Oscar Strasnoys Kurzoper "Le Bal". Das Libretto basiert auf einer Erzählung Irène Némirovskys, doch Autor könnte auch Thomas Bernhard sein. Während die Eltern einen großen Ball planen, schmiedet die frühreife Tochter böse Pläne, um das Ganze zu torpedieren. Als alles endlich doch fertig ist und die Lakaien das Essen bringen, kommt kein einziger Gast!

Oscar Strasnoy wurde 1970 in Argentinien geboren und lebte längere Zeit in Paris. Seine Ball-Musik amalgamiert Tänze der Zwischen- und Nachkriegszeit, Songs und viel Jüdisches zu einer Art Operette auf Speed. Immer wieder kommt ein Metronom zum Einsatz, um das Chaos etwas zu bändigen. Doch zu viel Tohuwabohu kann auch etwas ermüden.

Karsten Wiegand lässt diese Anti-Operette in einem blitzblank polierten Ballsaal mit Lüstern und detailliert gedecktem Tisch vor sich hin schnurren. Wieder mischen sich komische und tragische Elemente aufs Allerfeinste.

In guten Händen waren beide Stücke auch bei Ulf Schirmer am Pult des Münchner Rundfunkorchesters - besonders schön die vom Konzertflügel luzide begleiteten Donizetti-Rezitative. Aus dem insgesamt starken Ensemble stachen die Soprane Sumi Hwang und Dorothee Koch sowie der Bariton Benedikt Eder heraus. Die größte Entdeckung war allerdings Danae Kontoras in allen Farben funkelnder Koloratursopran.