Irrlichternde Spontan-Erfindungen

20.06.2008
Eher Novelle als Roman ist das neue Werk des israelischen Schriftstellers Amos Oz. "Verse auf Leben und Tod" erzählt von einem Abend im Leben eines Autors, der sich mit hinreißender Fabulierlust Geschichten über die Menschen, denen er begegnet, ausdenkt.
Der israelische Romancier Amos Oz ist noch gar nicht allzu lange im Bewusstsein des bundesdeutschen Lesepublikums, wurde hierzulande für seine letzten Romane immer wärmer und nachdrücklicher gelobt - so dass man sich hier kaum vorstellen kann, dass es sich um einen fast siebzigjährigen Autor handelt.

Aber es ist so, und wie um sich zu erholen, hat der Meister der Verschränkung von Erfindung und Wirklichkeit einen wenig mehr als hundertseitigen Roman hingeworfen, den man zunächst als eine Zumutung, einen Etikettenschwindel in verschiedener Hinsicht bezeichnen muss.

Er ist kein Roman, sondern eine klassische Novelle, und verspricht mit dem Titel "Verse auf Leben Tod" doch hinreichend Brisantes. Der Titel ist jedoch dem Werk eines wahrscheinlich erfundenen israelischen Volksdichters entlehnt, und er gilt streng genommen nicht, oder nur über Umwege, für Oz’ Novelle.

Denn der Roman schildert den Abend eines Schriftstellers, der eine Lesung hält und hinterher die Rezitatorin verführt – oder vielmehr nicht wirklich, nicht wirklich auf der Ebene des Romans, sondern nur in der Imagination des Schriftstellers und dessen Urhebers, Amos Oz.

Das ist auch fast schon alles an Handlung, wenn nicht, ja wenn nicht die handwerklich frappierend virtuose Technik der sozusagen simulierten Erfindung des Über-Autors Oz wäre. Der simulierte Schriftsteller lässt bei Beginn der Lesung seinen Blick übers Publikum schweifen und stellt sich die Geschichten einiger dieser Unbekannten vor. Und das geschieht mit einer mitreißenden Fabulierlust, dass es eine Freude ist.

Voller Stolz verzeichnet Oz am Ende seines Büchleins die Liste seiner Geisteskinder, die "dramatis personae". Oz’ Miszelle würde man in der Musik als Capriccio bezeichnen: Scheinbar leichthändig hingeworfen, keine anstrengende thematische Arbeit, viel Virtuosität. Oz’ lässt nur ab und zu seine schreibtrainierten Muskeln spielen, wenn er seine irrlichternden Spontan-Erfindungen seines alter ego allzu perfekt zusammenführt.

"Verse auf Leben und Tod" ist ein kleines Werk, aber ein ausgesprochen sympathisches. Er könnte eine Lockerungsübung vor einem anstrengenden Plan sein. In jedem Fall bereitet der kleine "Roman" zwei Stunden Vergnügen an den überbordenden Mäandern erfundener Erfindungskunst.

Rezensiert von Marius Meller

Amos Oz: Verse auf Leben und Tod
Übersetzt von Mirjam Pressler
Roman, Suhrkamp Verlag
Frankfurt am Main 2008
115 Seiten, 16, 80 Euro