Ironisch gebrochener Kostümfilm

Von Susanne Burg · 11.02.2009
Regisseur Stephen Frears, Vertreter des neuen britischen Kinos, wurde einst mit sozialkritischen Dramen wie "Mein wunderbarer Waschsalon" bekannt. Mit "Chéri" hat er einen historischen Kostümfilm über die Pariser Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts gedreht. Darin verliebt sich eine Kurtisane im Ruhestand, gespielt von Michelle Pfeiffer, in einen jungen Mann.
Stephen Frears: "I don’t think it’s at all similar."

Verweigerung ist bei Stephen Frears ein bisschen Programm. In einem roten T-Shirt und mit etwas zerknittertem Gesicht sitzt der 67-Jährige gestern Nachmittag in der Pressekonferenz und antwortet in Zweiwortsätzen. Nicht böse, eher witzig, aber er macht es den Fragenden nicht leicht. Nachmittags zu weiteren Interviews im Hotel steigert er sich immerhin auf Fünfwortsätze. Und es hilft, dass Christopher Hampton dabei ist, der Drehbuchautor, mit dem er schon ein paar Mal zusammengearbeitet hat, unter anderem bei "Gefährliche Liebschaften" aus dem Jahr 1988. Sie haben Spaß zusammen und spielen sich im Interview die Bälle zu. Zum Beispiel, als Christopher Hampton erzählt, dass er sehr gerne eng mit Frears zusammenarbeitet:

"Many authors anxious when they see him coming."

Manche Drehbuchautoren werden nervös, wenn Frears kommt, sagt er. An dieser Stelle übernimmt Frears und führt aus: Während ich nervös werde, wenn Christopher geht.

Christopher Hampton: "Whereas I get anxious when I see him going."

Zusammen haben sie sich also über "Chéri" hergemacht, einen Roman von Colette aus dem Jahr 1920. Er spielt im Paris des frühen 20. Jahrhunderts. "Chéri" ist ein verwöhnter reicher Jüngling. Seine Mutter plant Großes mit ihm, will aber zuvor, dass aus ihm ein Mann wird. Sie bittet deswegen Léa, sich um ihn zu kümmern. Léa ist eine 50-jährige Kurtisane im Ruhestand. Herzöge, Politiker und Industriebarone haben sich vergnügliche Stunden mit ihr viel Geld kosten lassen und sie hat sich mittlerweile aus dem Gewerbe zurückgezogen. Aber für ihre alte Kollegin Mme Peloux macht sie sich noch einmal an die Arbeit.

Das Buch war ein Skandal und eine Sensation, als es erschien. Heutzutage ist die Autorin größtenteils in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, wie Drehbuchautor Christopher Hampton findet:

"Colette ist überhaupt nicht bekannt in Großbritannien. Und sie ist definitiv nicht mehr angesagt. Aber das muss sich unbedingt wieder ändern. Philip Roth hat mir Colette empfohlen. Er findet, dass sie eine der größten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts und "Chéri" ihr Meisterwerk ist."

Stephen Frears, der Vertreter des neuen britischen Kinos, der Mann, der Geschichten aus den Randzonen der englischen Gesellschaft erzählt, von Kleinkriminellen oder armen Pakistanis, begibt sich mit "Chéri" in die Welt der reichen Pariser Gesellschaft und schafft einen weiteren Kostümfilm – nach "Gefährliche Liebschaften" und dem Oscar gekrönten "Die Queen" von 2007.

Das scheint nicht zusammenzugehen, der Ausstattungsfilm und das Neue Britische Kino. Jene Zeiten waren auf Verhüllung aus, unsere verlangen das Gegenteil. Aber Stephen Frears spielt mit diesem Widerspruch. Bei ihm wühlt stets die Sehnsucht nach Demaskierung, danach, die Schleier fallen zu lassen.

In "Gefährliche Liebschaften" offenbart er die Dekadenz der oberen Schicht, in "Die Queen" interessiert ihn der Mensch hinter der Krone, und in "Chéri" zeigt er, wie obere Schichten die Macht auf ihre Liebschaften ausdehnen, denn Chéri und Lea können sich beide nicht eingestehen, dass sie sich verliebt haben und beginnen kleine Spielchen.

Stephen Frears: "Ich fand diese Frauen interessant, die einen unglaublichen Reichtum auf Sex aufbauten und ihre ganz eigene Gesellschaft und Welt schufen – das schien mir sehr aktuell. Schließlich kommen auch wir gerade aus einer Ära, in der die Leute extrem reich waren."

Stephen Frears’ Kostümfilme sind ironisch gebrochen. Die Schauspieler wirken immer ein bisschen so, als würden sie sich selbst beim Spielen zusehen und nicht ganz ernst nehmen. Und in Michelle Pfeiffer, die Léa spielt und bereits in "Gefährliche Liebschaften" dabei war, hat er eine gute Verbündete gefunden. Denn von ihr heißt es, sie habe den Glamour des großen Hollywood-Kinos vom 20. ins 21. Jahrhundert hinübergerettet und so ist sie selbst im Gespräch mit Journalisten die Königin der Maskierung. Erhaben und ernsthaft, mit einem ziemlichen Funken Ironie hinter der Maske:

"Es sieht so aus, als ob meine Filmpartner immer jünger werden, je älter ich werde. Es scheint, als ob es eine Aversion dagegen gibt, Leute im gleichen Alter zu casten. Aber gut für mich, ich habe gar nichts dagegen."