Irina Dmitrjewna Prochorowa

Russlands geistige Instanz

Irina Dmitrjewna Prochorowa
Irina Dmitrjewna Prochorowa © Imago / Russian Look
Von Sabine Adler · 26.04.2016
Man kennt zwar eher ihren Bruder, den Milliardär Michail Prochorow, den sie beim Wahlkampf um das Präsidentenamt unterstützt hatte. Dabei ist Irina Dmitrjewna Prochorowa selbst eine wichtige Intellektuelle Russlands. Sie sieht Putin sehr kritisch und will das Land verändern.
Irina Prochorowa ist eine intellektuelle Instanz in Russland – Verlegerin, Herausgeberin, Publizistin, Kommentatorin, eine Frau, die mit dem Florett für mehr Demokratie in Russland streitet. Die Kreml-Politik bezeichnet sie als aggressiven Nationalismus, der unter der Überschrift Patriotismus daherkomme.
"Patriotismus wird immer an der Loyalität der Führung gegenüber gemessen. Und da sitzt man auch schon in der Klemme. Denn die Logik lautet: Wenn du den Präsidenten, die Führung kritisierst, kritisierst und verkaufst du die Heimat."
90 Prozent Zustimmung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin hält Prochorowa, die Philologie studierte, für eine Lüge sowjetischen Stils. Russland bewege sich auf ein totalitäres System zu, in dem der Präsident von den Medien über die Archive bis hin zu den Sicherheitsorganen alles persönlich kontrollieren wolle. "Ein Weg, der die Krise verschlimmert und in eine Sackgasse führt", sagt die Gründerin der "Neuen literarischen Umschau". Dass aus Russland kaum andere Stimmen als die des Präsidenten zu hören seien, liege nicht daran, dass Kritiker fehlten. Doch einzelne Stimmen hätten es im Internet-Zeitalter schwerer, die alleinige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

"Die Gesellschaft mobilisiert sich"

Irina Prochorowa beobachtet einen tiefgreifenden Wandel der russischen Gesellschaft, der neue Führer hervorbringen werde. Die renommierte Publizistin hatte im Präsidentschaftswahlkampf ihren Bruder Michail Prochorow bei dessen Kandidatur unterstützt und dem Milliardär zu unerwarteter Popularität verholfen. Vielfach wurde sie aufgefordert, selbst zu kandidieren.
Irina Prochorowa unterstützt neben einigen Wohltätigkeitsorganisationen vor allem Geschichtsprojekte, die sich mit der Sowjetunion und deren Überwindung befassen. Gerade über diese Periode wollen jungen Russen mehr erfahren. Auch wenn es anders als zu Sowjetzeiten keine russische Intelligenzija mehr gibt, wird im heutigen Russland ebenso heftig diskutiert. In den Großstädten treffen sich besorgte Bürger zu nichtöffentlichen Lektionen, um nötige Veränderungen in der Gesellschaft zu debattieren.
"Vor einem Jahr, auf dem Höhepunkt des Ukraine-Krieges, hat es so ausgesehen, dass alles verloren war. Aber jetzt mobilisiert sich die Gesellschaft. Als ehemaliger Sowjetmensch sehe ich diesen geheimen Prozess."