Iran

Jede Hinrichtung ist eine zu viel

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Vor allem in den sozialen Netzwerken bündelt sich im Iran die Ablehnung der Todesstrafe. © dpa / Abedin Taherkenareh
Von Reinhard Baumgarten · 16.10.2014
Sie habe aus Notwehr ihren Vergewaltiger getötet, beteuert eine junge Iranerin. Ihre bevorstehende Hinrichtung sorgt zurzeit für Proteste – im Ausland und im Iran selbst, wo der Widerstand gegen die häufig verhängte Todesstrafe zunimmt.
Für Fariborz Raisdana ist die konkrete Zahl nicht entscheidend. Jede einzelne Hinrichtung sei zu viel, meint der promovierte Volkswirt:
"Es ist ungeheuer, aggressiv und barbarisch, andere Menschen zu töten - egal mit welcher Begründung. Wenn jemand einen anderen Menschen tötet, dann tötet er damit seine eigene Menschlichkeit. Hinzurichten müssen aus unserer Gesellschaft verschwinden."
Vor knapp einem Jahr hat Fariborz Raisdana mit Gesinnungsgenossen einen Verein mit dem Kürzel "Legam" gegründet. Oberstes Ziel ist die Abschaffung der Todesstrafe im Iran. Einmal im Monat kämen die Mitglieder zusammen, erzählt der 68-Jährige. Aber die Umstände seien sehr schwierig:
"Selbst unser Pen-Club darf nach 45 Jahren keine eigenen Räume haben. Wir tagen in Tiefgaragen von Hochhäusern und müssen ständig damit rechnen, verhaftet und eingesperrt zu werden. Damit scheint klar, wie es um solcherart Organisationen hier steht."
Hinrichtungen finden im Iran zuweilen öffentlich statt. Den Verurteilten wird eine Schlinge um den Hals gelegt, dann werden sie mit einem Baukran hochgezogen. Der Todeskampf kann sich 5, 10, 20 Minuten oder noch länger hinziehen. Mehr und mehr Menschen machen dagegen Front. Immer häufiger kursieren Bilder im Internet, auf denen zu erkennen ist, dass zu den öffentlichen Hinrichtungen keine oder nur noch sehr wenige Zuschauer hingehen.
Immer weniger Zuschauer bei öffentlichen Hinrichtungen
Die Aufrufe mehren sich, öffentlichen Hinrichtungen nicht beizuwohnen. Neben Mord gehören noch Ehebruch, Homosexualität und Drogenhandel zu den todeswürdigen Verbrechen. Mörder können begnadigt werden – von der Familie des Opfers. Mahbubeh hat dem Mörder ihres Bruders vergeben und ihn damit vor dem Strang bewahrt. Ihre Entscheidung blieb nicht ohne Folgen:
"Die Leute versammelten sich alle auf dem Platz in unserem Stadtteil und opferten ein Schaf. Sie feierten, als ob ein Pilger von der Wallfahrt nach Mekka zurückgekommen wäre. Überall hingen Transparente und die Leute bedankten sich für diesen Akt der Vergebung der Familie Ramezani."
Mahbubehs Bruder war ohne eigene Schuld in einen Streit geraten und aus Versehen erstochen worden. Ihre beiden Geschwister und ihr Vater waren bereit, dem Täter zu vergeben. Mahbubeh musste lange mit sich ringen. Heute wirbt sie im Verein "Legam" aktiv für Vergebung:
"Die anderen waren nie gezwungen, jemandem zu vergeben und haben sich nie auf die Probe stellen können. Ich dagegen habe es erlebt und ich weiß, wie schön das Gefühl ist, jemandem zu vergeben. Dieses Gefühl kann ich natürlich besser vermitteln und daher ist es jetzt meine Aufgabe, Angehörige von Getöteten zur Vergebung zu überreden."
Kein erfolgreiches Mittel im Kampf gegen Drogen
Die meisten Todesurteile werden im Iran wegen Drogendelikten vollstreckt. Offiziellen Zahlen zufolge gibt es in der Islamischen Republik zwei Millionen Drogenabhängige. Inoffiziell sollen es noch deutlich mehr sein. Der Kampf gegen Drogen, so mahnt Fariborz Raisdana, werde nicht am Galgen entschieden:
"300 Hinrichtungen im Jahr wegen Drogendelikten zeigen keine Ergebnisse. Trotz all dieser Hinrichtungen kriegt man überall Drogen angeboten. Das Angebot hängt von der Nachfrage ab. Die Machthaber sollten die Bekämpfung des Drogenproblems der Polizei überlassen, aber das Problem der Nachfrage den Soziologen, den NGOs und den Bürgern selbst."
Unter dem als moderat geltenden Präsidenten Hassan Rohani ist die Zahl der Hinrichtungen im Iran nicht zurückgegangen. Im Gegenteil. Verantwortlich dafür sind die unterschiedlichen Machtzentren in der Islamischen Republik. Die Justiz gilt als unabhängig und steht laut Verfassung unter dem Revolutionsführer Ayatollah Khamenei.
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