Irak

"US-Luftschläge helfen nur kurzfristig"

Moderation: Nana Brink · 08.08.2014
Immer weiter rücken die Terroristen vom Islamischen Staat im Irak vor. US-Luftschläge helfen dagegen nicht nachhaltig, sagt der Schriftsteller Hussein al-Mozany. Irak brauche vielmehr einen politischen Neuanfang.
Nana Brink: Es ist die schwerste Krise im Irak seit dem Abzug der US-Truppen 2011, und man fragt sich, ob man überhaupt noch von einem Staat sprechen kann, oder ob sich Geschichte wiederholt: US-Präsident Obama hat Luftangriffe gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat im Norden des Iraks angekündigt. Ebenfalls sollen den Menschen, hauptsächlich ja Christen und Jesiden, die in panischer Angst vor den Dschihadisten in die Berge geflohen sind, durch gezielte Luftangriffe und Lebensmittelversorgung aus der Luft geholfen werden. Hussain al-Mozany blickt seit Jahren in sein Heimatland, er ist in Bagdad aufgewachsen, Ende der 70er-Jahre in die Bundesrepublik geflohen, hat hier Literatur studiert und seine Romane wie "Der Marschländer", in dem er auch seine Flucht beschreibt, geschrieben. Einen schönen guten Morgen, Herr al-Mozany!
Hussain al-Mozany: Morgen, Frau Brink!
Brink: Heute kommt Amerika, um Ihnen zu helfen, sagte Präsident Obama gestern Abend. Glauben Sie daran?
al-Mozany: Ich glaube daran nicht oder nicht ganz, weil Amerika hat leider in den letzten Jahren wenig geholfen, um das Land zu befrieden und die Sicherheit in diesem Land zu gewährleisten. Wir wissen natürlich, dass die Probleme noch tiefer liegen als zum Beispiel diese angeordneten Luftschläge zu beheben haben.
Brink: Sind die Amerikaner 2011 vielleicht zu früh abgezogen?
al-Mozany: Das ist eine Frage, die vielleicht die Amerikaner beantworten können. Aber sie haben eigentlich ein Land hinterlassen und eine Regierung hinterlassen, die nicht in der Lage ist, das Land zu regieren. Die politischen Parteien sind sehr zerstritten. Die Amerikaner, sie haben die irakische Armee aufgelöst, und die haben natürlich versucht, eine neue Armee aufzubauen, aber offenbar ist das ganze Projekt gescheitert. Die irakische Armee ist viel zu schwach. Und übrigens, Obama hat bereits im Juni dieses Jahres 300 zusätzliche Militärberater in den Irak gesandt, aber die haben natürlich nicht viel getan. Das heißt, das Problem kann man natürlich nicht militärisch lösen, sondern in erster Linie politisch. Und die Iraker sind in erster Linie gefragt, ihre Probleme zu lösen.
"Die irakische Armee ist viel zu schwach"
Brink: Nun gut, das hat Obama ja auch gestern klargestellt, es wird eine irakische Lösung geben, das heißt, die Amerikaner werden sich nicht in einen Krieg hineinziehen lassen wie 2003. Finden Sie die Luftangriffe dann nicht angemessen?
al-Mozany: Das weiß ich nicht, ob die angemessen sind, weil, die Ursachen liegen auch noch tiefer. Wie ist es denn mit den Städten? Weil diese ISIS, die befinden sich nicht nur in der Peripherie oder um Sindschar, um diesen Berg Sindschar, in dem sich auch die Jesiden verschanzen, sondern auch überall, selbst in Tikrit, in der Nähe von Bagdad. Und die haben sogar auch Rückhalt innerhalb der Bevölkerung. Und auch die politischen Parteien, die sunnitisch gefärbt sind, sind auf ihrer Seite zum Teil. Und von daher muss man eigentlich das Problem wirklich politisch lösen. Die Amerikaner können Einfluss nehmen auf die Nachbarländer, zum Beispiel die Türkei, vielleicht auch mehr Druck ausüben auf Iran, weil Iran auch eine Rolle spielt, die haben sich in Schweigen verhüllt, auch die Türken. Es gibt keine Statements, die sagen nichts, aber wir wissen, die sind auch wichtige Akteure in dieser natürlich neuen Entwicklung.

Was ist Jesidentum?

Erbarmungslos verfolgen die sunnitischen IS-Extremisten Andersgläubige, derzeit besonders die Jesiden. Traditionell hätten diese im islamischen Selbstverständnis keinen Ort und keine Daseinsberechtigung, erklärt der in Deutschland lebende Jeside Sefik Tagay . Seit 1400 Jahren - quasi seit der Gründung des Islam - würden Jesiden vertrieben und verfolgt. Sie würden als Ungläubige betrachtet: Denn das mindestens 4000 Jahre zurückreichende Jesidentum sei keine Religion des Buches und betreibe keine standardisierten Rituale.

Es gebe auch keine Kirchen oder Moscheen. Der monotheistische Glaube sei vielmehr stets mündlich weitergegeben worden. "Wenn wir beten, dann beten wir privat", sagt Tagay. Erst jetzt fingen die Jesiden an, ihre religiösen Texte zu verschriftlichen. Konvertieren zum Jesidentum könne man nicht: "Man wird als Jeside geboren, und man stirbt als Jeside." Weltweit gibt es nach Angaben Tagays nur noch knapp eine Million Jesiden. In Deutschland treffen sie sich in etwa 40 Gemeinden.

Brink: Was ist denn schief gelaufen? Warum ist dieser Zerfall dieses Staates so weit vorangeschritten, dass es der Terrorgruppe Islamischer Staat möglich ist, solche Teile des Landes zu beherrschen?
al-Mozany: Weil das Projekt Demokratie von Anfang an torpediert worden ist von den Nachbarländern einerseits, und weil die politische Klasse im Irak nicht reif genug war für Demokratie und einen neuen Anfang. Und weil sämtliche Infrastruktur des Landes zerstört wurde durch Kriege, durch gezielte Anschläge der Amerikaner im ersten Golfkrieg, aber dann auch später. Und natürlich durch die Auflösung aller Sicherheitsapparate im Lande und natürlich auch das Militär. Das hat dazu geführt, dass das Chaos entsteht, und wir haben eine sehr schlimme und korrupte Regierung, und die ist eigentlich gelähmt. Also die regiert de facto gar nicht.
"Politische Klasse im Irak war nicht reif für die Demokratie"
Brink: Gibt es eine Schuld des Westens an diesem Chaos?
al-Mozany: Der Westen hat sich auch zurückgehalten und der hat sich auch nicht kräftig eingemischt. Er hat auch nichts getan. Es gibt natürlich hier und da vielleicht demokratische Kräfte, die hätten auch mehr Unterstützung nötig gehabt, aber man hat nur gewartet und abgewartet, und das Land driftete auch langsam in dieses Chaos hinein. Und dann ist es viel zu spät, also viel zu spät wirklich für eine Intervention militärischer oder sonstiger Art. Es ist leider das Land im Grunde auch zerstört.
Brink: Aber es muss ja eine Lösung geben. Und Sie sagen, es muss eine irakische Lösung geben. Wie kann die denn aussehen?
al-Mozany: Also, wir haben einen gewählten Ministerpräsidenten, im Grunde haben wir eine Demokratie, aber diese Demokratie funktioniert nicht so richtig. Es gibt keine Kontrollorgane, es gibt keine Pressefreiheit in dem Sinne, und von daher wackelt alles. Wir brauchen einen neuen Anfang, wir brauchen saubere Politiker für dieses Land. Wir brauchen vielleicht eine Aufbauphase, die richtig anfängt, also dass nicht die Regierenden für ihre eigenen Interessen ...
Brink: Aber woher sollen die denn kommen? Woher sollen sie denn kommen, wenn sie nicht aus dem Land selbst kommen?
al-Mozany: Das ist ein langwieriger Prozess. Man kann die Probleme, wie gesagt, also diese Luftanschläge und das, das sind alles kurzfristige Lösungen. Langfristig muss man dahin arbeiten, dass es eine stabile vielleicht Verhältnisse in diesem Land herrschen. Also müssen im Endeffekt die Schiiten sich abfinden mit den Sunniten, die Araber müssen sich mit den Kurden abfinden, die Macht richtig verteilen und die Ressourcen des Landes. Aber darüber gibt es kein Einverständnis leider.
Brink: Der irakische Schriftsteller Hussain al-Mozany. Danke für das Gespräch!
al-Mozany: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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