Irak

"Der IS finanziert sich durch illegalen Handel mit Kulturgut"

Eine assyrische Statue in der Stadt Nimrud.
Die Monumentalstatue aus Nimrod zeigt einen Lamassu - einen Stierkörper mit Flügeln und menschlichem Kopf, der als Schutzdämon von den Assyrer verehrt wurde. © Imago / Leemage
Die Vorsitzende des UNESCO-Welterbekomitees Maria Böhmer (CDU) im Gespräch mit Nana Brink  · 10.03.2015
Dem IS geht es bei seinen Angriffen auf die Kunstschätze des Irak nicht nur um Zerstörung, meint die Vorsitzende des UNESCO-Welterbekomitees Maria Böhmer. Es gebe Raubgrabungen und Plünderungen: "Damit finanziert sich der IS."
Angesichts der Angriffe des IS auf die Kulturschätze des Irak fordert die Staatsministerin im Auswärtigen Amt und Vorsitzende des UNESCO-Welterbekomitees, Maria Böhmer (CDU), ein weltweites Handels- und Importverbot illegal exportierter Kulturgüter.
Gerade in Mossul, aber auch in Nimrud und Hatra sehe man, dass es dem IS nicht nur um die Zerstörung von Kulturgütern gehe, sagte Böhmer. Es gebe auch Raubgrabungen und Plünderungen. "Wir wissen, es gibt illegalen Handel von Kulturgütern, damit finanziert sich ISIS."
Notwendig sei deshalb ein weltweites Verbot für den Handel und Import solcher Kulturgüter. Eine Regelung auf EU-Ebene sei zwar wichtig, "aber die großen Märkte liegen ja auch in der arabischen Welt, sie liegen in Asien, also weltweit", so die CDU-Politikerin.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen." Dieser Spruch von Heinrich Heine, der fiel mir sofort wieder ein, als ich die Bilder der rasenden IS-Kämpfer sah, die uralte Statuen im Museum von Mossul vom Sockel rissen oder die Palastmauern der alten Stadt Ninive zertrümmerten. Und es gibt zwar keine neuen Filme mehr, aber alle Fachleute gehen davon aus, dass die Zerstörungen im Irak – und nicht nur dort – weitergehen, soweit der IS einen Einfluss hat, und das Töten von Menschen geht auch weiter. Wer kann sie stoppen? Die Frage ist schon so oft gestellt worden. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat sie gestern gestellt, und ich will sie stellen der Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Maria Böhmer. Sie ist seit 2014 Vorsitzende des Welterbekomitees der UNESCO, das ist die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung und Wissenschaft und Kultur. Guten Morgen, Frau Böhmer!
Maria Böhmer: Ja, guten Morgen!
Brink: Der Irak hat mittlerweile die Internationale Gemeinschaft um Hilfe gebeten. Wie kann diese Hilfe aussehen?
Böhmer: Wir dürfen den Irak an dieser Stelle nicht alleinlassen und das haben wir auch in der Vergangenheit nicht getan. Sie haben völlig zu Recht gesagt: Es geht um den Schutz von Menschen. Sie sind mit Leib und Leben bedroht. Frauen werden vergewaltigt, versklavt, Christen, Jesiden ermordet. Und hinzu kommt jetzt noch die Zerstörung von ganz alten Kulturschätzen, Kulturschätzen der Menschheit, die unwiederbringlich verloren sind durch diese Zerstörungswut, durch den Kahlschlag der Kulturen.
Und das heißt, wir stehen dem Irak zur Seite. Das bedeutet zum einen: Wir haben seit langen Zeiten – und das ist das Deutsche Archäologische Institut, was sich dort engagiert und viele andere auch – die Ausbildung irakischer Wissenschaftler, die Schulung von Konservatoren, um die Kulturgüter zu erhalten, zu schützen, aber auch, um dafür zu sorgen, dass das, was zerstört ist, auch wiederhergestellt werden kann. Und ich erinnere damit auch an das Museum in Bagdad, was wieder eröffnet worden ist. Aber es gilt auch, ISIS zurückzudrängen, und das bedeutet neben der humanitären Hilfe, der Unterstützung im Kulturgüterschutz auch militärische Hilfe.
"Es gibt Raubgrabung, es gibt Plünderungen"
Brink: Nun gut, das macht ja gerade die von den USA geführte Anti-IS-Allianz, die versuchen ja, mit Angriffen aus der Luft seit letztem Sommer das zu stoppen. Alle anderen Aufschreie, wie Sie auch formuliert haben, sind ja bislang weitgehend hilflos auch geblieben, denn die Stadt Ninive ist zertrümmert.
Böhmer: Das ist richtig, und die Sorge ist sehr berechtigt, dass es noch nicht zu Ende ist, sondern das es weitergeht, und deshalb muss man auch hier ganz klar ein Handelsverbot nicht nur für Kulturgüter aus dem Irak aussprechen, aus Syrien, sondern wir haben uns auf EU-Ebene dafür eingesetzt, dass es auch ein Importverbot gibt von illegal exportierten Kulturgütern aus allen anderen Drittstaaten. Und ich bin der Auffassung: Wir brauchen das über die EU hinaus, nämlich weltweit.
Denn es geht hier nicht nur um die Zerstörung: Wir wissen, es gibt illegalen Handel von Kulturgütern, damit finanziert sich ISIS. Es gibt Raubgrabung, es gibt Plünderungen, und gerade in Mossul, aber auch in Nimrud oder die jüngste Entwicklung zeigt ja Hatra, sieht man, dass die Kulturgüter ja nicht nur zerstört werden, sie werden vorher auch in Sicherheit gebracht. Das ist ja das, was ISIS braucht: Sie brauchen Geld und sie nutzen damit diesen illegalen Kulturgüterhandel.
Brink: Sie haben es angesprochen: Wir wissen, dass sich der IS zum Teil auch mit dem Handel von Kulturgütern finanziert. Deutschland soll auch ein wichtiger Markt sein. Das sagte zum Beispiel Markus Hilgert vom Vorderasiatischen Museum in Berlin hier bei uns im Programm.
Markus Hilgert: Die Gesetzeslage in Deutschland hat sicher nicht dazu beigetragen in den letzten Jahren, dass der Handel massiv eingedämmt wurde. Das soll sich ja ändern, wie Sie wissen. Das Gesetz von 2007 wird gerade überarbeitet und soll im Jahr 2016 in einer neuen Fassung dann in Kraft treten.
Das Bewusstsein der Antikenhändler muss geschärft werden
Brink: Aber haben wir nicht schon unheimlich viel Zeit verloren?
Böhmer: Also die Bundeskulturministerin arbeitet mit Hochdruck daran, das Kulturgutschutzgesetz zu überarbeiten, und ich glaube, die Zeit brennt uns auf den Nägeln, im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht jetzt darum, dass der Import von Kulturgütern nur noch mit einer gültigen Exportlizenz des Herkunftsstaates geschehen darf, und zum anderen, dass der Verkauf von Kulturgütern mit einem Herkunftsnachweis nur noch erfolgen soll. Das bedeutet aber auch, dass der Blick und das Bewusstsein beim Antikenhandel geschärft werden muss, bei denjenigen, die Kulturgüter versteigern, bei Auktionen, sodass man weiß: Man muss einen solchen Nachweis haben, um damit auch IS das Wasser abzugraben, wenn es um den illegalen Kulturgüterhandel geht.
Und es geht übrigens nicht nur um IS hier: Wir sind hier beim illegalen Kulturgüterhandel mit einer Entwicklung konfrontiert, die weit über den Terrorismus hinausgeht.
Brink: Nun haben Sie gesagt, wir sind in Deutschland schon etwas weiter, das Bewusstsein hätte sich etwas geschärft. Sie sind ja die Vorsitzende des Welterbekomitees der UNESCO in Paris. Wie ist denn Ihre Erfahrung mit anderen Nationen, wie sieht man das denn weltweit, denn, das haben Sie ja auch gesagt, wir kommen ja eigentlich nur mit einer weltweiten Zusammenarbeit wirklich weiter?
Böhmer: Richtig. Also wenn es hier um ISIS geht, braucht man auch eine große Allianz, um den Terrorismus zurückzudrängen und damit auch den Schutz von Menschen, aber auch den Schutz von Kulturgütern zu realisieren. Es ist auch wichtig, dass die islamische Welt hier mit dabei ist.
Brink: Ist sie denn mit dabei? Was sind Ihre Erfahrungen?
Böhmer: Ich glaube, das Bewusstsein ist auch an dieser Stelle gewachsen. Denn es geht ja nicht nur um die Zerstörung von Kulturgütern und den kulturellen Wurzeln des Christentums, des Judentums, uralter Hochkulturen. Es geht auch um die Zerstörung im Bereich des Islams. Wir wissen, dass Moscheen zerstört werden. Das bedeutet aber auch, dass man an dieser Stelle zusammenrücken muss. Und in der arabischen Welt habe ich beobachtet, dass man sehr wohl jetzt weiß, um was es geht, wo die Gefahr liegt, und es ist eine Fatwa ausgesprochen worden in Ägypten. Das ist wichtig, dass hier ein Zeichen nicht nur gesetzt wird, sondern dass eine klare Verurteilung stattfindet.
Auch mexikanischen Drogenkartelle finanzieren sich durch illegalen Kulturgüterhandel
Brink: Aber gibt es auch einen gesetzlichen Vorstoß zum Beispiel vonseiten der UN? Kann man sich da auf etwas verständigen?
Böhmer: Die UN erlässt ja keine Gesetze.
Brink: Nein, das nicht, aber sie kann ...
Böhmer: Sie kann das anstoßen.
Brink: Genau, das meine ich damit.
Böhmer: Deshalb habe ich gesagt: Wir brauchen nicht nur eine Regelung auf EU-Ebene für das Importverbot, sondern wir brauchen eine solche Regelung weltweit, denn es liegt doch auf der Hand: Wenn eine solche Regelung innerhalb der EU gilt und für die EU, dann ist das ungemein wichtig, aber die großen Märkte liegen ja auch in der arabischen Welt, sie liegen in Asien, also weltweit. Und deshalb ist dieses dringend notwendig. Ich war vor einiger Zeit in Mexiko, Mexiko hat große Ausgrabungsstätten, und sie versuchen, sie zu schützen, weil dort genau das Gleiche passiert: Raubgrabungen, Plünderungen und Finanzierung, dort nicht von Terrorismus, sondern von Drogenkartellen. Und das bedeutet: Eine solche Nutzung von Kulturgütern, und das heißt ja nicht im positiven Sinn, sondern im negativen Sinn, um organisierte Kriminalität oder Terrorismus zu finanzieren, das ist etwas, wo wir nicht auf Europa beschränkt sind, sondern was weltweit stattfindet.
Brink: Dann warten wir noch auf einen weltweiten Vorstoß in dieser Sache. Vielen Dank, Maria Böhmer, die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt und Vorsitzende des Weltkomitees der UNESCO. Danke für Ihre Zeit!
Böhmer: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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