Interview-Buch

Die Welt der Susan Sontag

Die amerikanische Essayistin Susan Sontag (1933 - 2004)
Die amerikanische Essayistin Susan Sontag (1933 - 2004) © dpa / picture alliance / Erwin Elsner
Von Eva Hepper · 08.09.2014
1978 gab Susan Sontag dem "Rolling Stone"-Magazin ein zwölfstündiges Interview. Nun erscheint erstmals der vollständige Text. Die große amerikanische Intellektuelle spricht darin über Kunst, Geschlechterrollen - und intime Details aus ihrem Privatleben.
Der Rock'n'Roll habe ihrem Leben eine völlig neue Richtung gegeben. Durch die Songs von Bill Haley und Chuck Berry etwa habe sie gewusst - und hier zitiert sie eine berühmte Gedichtzeile Rilkes -: "Du musst Dein Leben ändern." Gefühlt habe sie sich - und jetzt ist Euripides an der Reihe - wie in "Die Bakchen"; sie habe dem dionysischen Klang einfach folgen müssen.
Es ist nur eine kurze Interviewpassage, in der Susan Sontag über ihre musikalischen Erweckungserlebnisse spricht, doch zeigt sie exemplarisch, wie mühelos die große amerikanische Intellektuelle zusammendachte, was sonst gerne getrennt wird: Hoch- und Populärkultur.
Susan Sontags Kreuzzug gegen die Denkfaulheit
Die 1933 geborene Susan Sontag ist schon längst eine feste Größe in der New Yorker Szene, als Jonathan Cott sie 1978 zum Interview bittet. Sie hatte Position bezogen zum Vietnam-Krieg, hatte über Kunst, Theater und Stil geschrieben, ihr berühmter Essay über Fotografie war gerade erschienen, der über "Krankheit als Metapher" sollte unmittelbar folgen. Und auch Jonathan Cott, Autor des "Rolling Stone"-Magazins und Interviewer von John Lennon und Yoko Ono, war kein Unbekannter. Sein zwölfstündiges Gespräch – verteilt auf zwei Treffen – mit Sontag wurde allerdings zu lang und 1979 nur zu einem Drittel im "Rolling Stone" veröffentlicht. Nun liegt es zum ersten Mal in Gänze vor.
Es gibt wenige Themen, die die beiden nicht umkreisen. Sie sprechen über Krankheit – 1974 hatte Sontag die Diagnose Brustkrebs erhalten –, über Geschlechterrollen, Feminismus, Fotografie, Kunst, Musik, Literatur, Ästhetik, Moral und auch über Privates. Das mutet bisweilen divergent und sprunghaft an, doch ist faszinierend zu lesen, wie Sontag – bei welchem Thema sie auch gerade weilt – immer wieder auf ihre wichtigen Anliegen kommt: den Kampf, sie selbst spricht von einem "Kreuzzug", gegen den vermeintlichen Gegensatz von Denken und Fühlen, gegen Stereotype, gegen männliche und weibliche Rollenmodelle, gegen Klischees und allgemein gegen Denkfaulheit.
Ein Einstieg in den Kosmos der Essayistin
Geprägt wird das Interview von großer Leichtigkeit. Scheinbar mühelos referiert Sontag über Autoren wie Beckett, Kafka oder Proust, um anschließend die Frage zu erörtern, ob sich es sich im Samtumhang anders schreibt als nackt. Sie selbst saß übrigens in Jeans am Schreibtisch und quälte sich beim Formulieren.
Im Gespräch mit Cott zeigt sich Sontag als unprätentiöse Denkerin. Sie offenbart freimütig, dass das, was sie tue, "entgegen landläufiger Auffassung intuitiv und unreflektiert und ganz und gar nicht so intellektuell und berechnend" sei, wie man ihr nachsage. Eine besondere Aussage für eine so kluge Frau.
Tatsächlich ist dieses Interview ein Genuss sowohl für Kenner von Susan Sontags Büchern als auch für Leser, die nicht mit ihren Gedanken vertraut sind. Es bietet einen wunderbaren Einstieg in den Kosmos der 2004 gestorbenen Essayistin, zeigt wie erstaunlich aktuell ihre Analysen noch sind und offenbart auch Neues: dass Bill Haley für ihre Scheidung verantwortlich war, dürften nur die wenigsten gewusst haben.

Susan Sontag / Jonathan Cott: The Doors und Dostojewski
Das Rolling-Stone-Interview
Übersetzt von Georg Deggerich
Hoffmann und Campe 2014
160 Seiten, 18 Euro

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