Interpolation in der Popmusik

Die Lust an der Wiederholung

Die US-Sängerin Beyoncé bei einem Auftritt beim Super Bowl, dem Finale der American-Football-Profiliga, im Februar 2016 in Kalifornien.
Die US-Sängerin Beyoncé bei einem Auftritt beim Super Bowl, dem Finale der American-Football-Profiliga, im Februar 2016 in Kalifornien. © picture alliance / dpa / Monica M. Davey
Von Christoph Möller · 29.11.2016
Auf dem Album "Lemonade" von Beyoncé sind Melodien und Lyrics zu hören, die einem bekannt vorkommen. Die US-Sängerin hat Elemente aus anderen Songs verwendet und auf ihre Art wiederholt. Die sogenannte Interpolation wird bei Musikern immer beliebter.
Das Gefühl trügt nicht: Die prägnanten Lyrics, "they don’t love you like I love you" – übernommen von der Indierock-Band Yeah Yeah Yeahs.
Und das Finale von "Hold Up"… zitiert Soulja Boys "Turn My Swag On".
Diese Form des Zitats nennt man Interpolation: Eine Melodie oder ein Songtext wird subtil, und manchmal kaum erkennbar, nachgespielt oder nachgesungen – und in den eigenen Song integriert.
"Also, erstens würde ich sagen, dass die Frage ist: Wer nimmt diese Interpolation überhaupt wahr?"
Professor Christian Huck, Kultur- und Medienwissenschaftler an der Uni Kiel:
"Der durchschnittliche Popmusik-Hörer von Beyoncé ist vielleicht gar nicht mal vertraut damit, was hier anzitiert wird."
Huck erforscht die Funktion von Coverversionen.
"Für diejenigen, die in the know sind, also die Auskenner unter den Musikhörern, hat das Stück dann natürlich eine zweite Ebene. Also man kann so sich sein Verweissystem aufrufen und eigentlich seine eigene Position durch Verweise auf andere nochmal stärker betonen."
Die Interpolation versteckt sich also vor dem, der sie nicht kennt.
"Interpolation ist in der Popmusik am ehesten als Mittelding zwischen Coverversion und Sample zu verstehen. Während die Coverversion die Komposition eines ganzen Stückes nimmt und nachspielt, ist das Sample ein Ausschnitt aus einer Aufnahme. Interpolieren ist kein besonders geläufiger Begriff in der Popmusik – bisher vielleicht. Das ist eher etwas, was man aus dem Jazz kennt. Dort ist es gang und gäbe, dass man sich auf bekannte Jazz-Melodie-Schnipsel oder bestimmte Rhythmen zurückberuft, um diese anzuspielen."
Auf den ersten Blick scheint Interpolation auch in der Popmusik nicht wirklich neu zu sein.
"Also gemacht hat man das schon mindestens 20 Jahre würde ich sagen. 'Ghetto Superstar' von Pras war mal ein Superhit Ende der 90er… Da wird immer wieder 'Island In The Stream' als 'Ghetto Superstar' nachgesungen, ein Song von Kenny Rogers und Dolly Parton, der normalerweise im Country zu Hause war, wird hier als Hook für den Refrain genommen."

Alte Technik mit neuer Haltung

Eine alte Technik also. Die Haltung aber, mit der junge Musikerinnen und Musiker interpolieren und ihr popkulturelles Wissen darstellen, ist eine andere als früher. Sie treten dabei stolz und selbstbewusst auf. Musikalische Zitate fließen ganz selbstverständlich in ihre Tracks ein. So klingt die Londoner Rapperin RAY BLK cool und selbstsicher, wenn sie "Lovefool" von den Cardigans interpoliert.
"Das Neue daran ist, würde ich sagen, der offensive Umgang damit. Dass man sich im Pop wieder selbstbewusster ist zu sagen: Nee, wir funktionieren anders. Wir sind nicht so wie Avantgarde-Kunst oder so, sondern wir sind eben eine populäre Kunst, die sich auch nicht dafür schämt, voll davon zu sein, was um uns herum geschieht."
Pop als Patchwork. Die neue Lust am Interpolieren führt Christian Huck aber nicht auf eine bestimmte Mediennutzung zurück. Oder dass das komplette Pop-Archiv nur zwei Klicks entfernt ist. Er beobachtet vielmehr, dass sich Pop-Schaffende ganz einfach dazu bekennen, wie sie Musik erinnern. Nämlich nicht mithilfe des Internet, sondern ganz subjektiv.
"Interpolation spiegelt die Art und Weise wider, wie sich Songs in unser kulturelles Gedächtnis einfräsen, glaube ich. Also, dass wir eben Lieder nicht als komplette Komposition behalten, sondern, so wie wir als normale Hörer Popmusik rezipieren, bleiben uns Erinnerungen an einprägsame Melodien."
Vielleicht ist der Pop-Trend 2016 also nicht das Interpolieren, sondern die neue Ehrlichkeit gegenüber musikalischen Einflüssen. Zu sagen: Mein musikalisches Gedächtnis funktioniert eben so – und ich bekenne mich dazu, dass ich bestimmte Melodie- und Text-Schnipsel nicht mehr aus meinem Kopf herausbekomme, so kitschig sie auch klingen. Interpolation heißt wiederholen. Etwas nachahmen. Für Pop-Fans, die genervt sind von der dauernden Wiederkehr, ist das natürlich ein Graus. Doch Christian Huck vermutet:
"Bücher wie das des britischen Musikjournalisten Simon Reynolds, der ja ein Buch namens 'Retromania' geschrieben hat, wo er sich darüber beschwert, dass also diese Formen der Wiederholung stattfinden, die geraten vielleicht eher ins Hintertreffen, weil sich die Pop-Schaffenden selber sagen: Nein, das ist gar nicht schlimm, sondern das ist unser Prinzip. Das ist unser Prinzip von Popmusik, unterschiedlichste, verschiedenste, diverseste Formen der Wiederholungen zu benutzen."
Wiederholung, sowieso schon immer ein wichtiges Prinzip der Popmusik – scheint also jetzt noch bedeutsamer zu werden.
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