David Almond: "Heaven"

Altkluge Sprüche und viel Pathos

David Almond: "Heaven"
David Almond: "Heaven" © Nicolas Armer / dpa / S. Fischer Verlag
Von Sylvia Schwab · 22.11.2017
Mit "Heaven" hat David Almond ein modernes Märchen geschrieben. Doch das Jugendbuch über Anna, die auf einem verlassenen Fabrikgelände lebt, bietet statt eines Geheimnisses nur Geheimniskrämerei. Das ist nicht nur schade, sondern bei dem preisgekrönten Autor auch vollkommen unerwartet.
"Heaven" ist die Schlüsselfigur in David Almonds neuem Jugendroman, einer Geschichte zwischen Wirklichkeit und Traum. Eigentlich heißt Heaven Anna und ihr trauriges Schicksal bleibt fast bis zum Schluss ein Geheimnis. Entdeckt wird sie von drei Waisenkindern, die auf der Flucht aus ihren Heim mit einem selbst gebauten Floß, in einem ölig-schlammigen Sumpfgelände stranden, wo sie am Ufer auf das Mädchen mit den "Schwimmhäuten" und den "mondrunden, wässrig blauen Augen" treffen.

Das unschuldig-schöne Kind und der Alte

Spätestens jetzt enden alle Parallelen zu berühmten literarischen Floßfahrten, denn die Ich-Erzählerin Erin und ihre beiden Freunde sind in einem albtraumhaften, verlassenen Fabrikgelände gelandet, einem Gewirr aus zerstörten Lagerhallen, Schutt und Trümmern, an einem "ganz und gar tödlichen Ort". Engelgleich führt Heaven sie durch diese Wüstenei, sie lebt hier mit ihrem alten "Grampa", dem Bewacher des Geländes. Wer sind die beiden, das unschuldig-schöne Kind und der düstere Alte? Warum leben sie allein in dieser "Verdammnis"? Ein schreckliches Geheimnis umgibt sie, dem die drei Freunde auf den Grund gehen – auch, um Heaven zu erlösen.
David Almond hat ein modernes Märchen geschrieben: Der Lebensvogel, der Erin begleitet; Heaven, diese Mischung aus Fee und Meerjungfrau; der biestig-bärenstarke Grampa; eine Schatzsuche und eine Moorleiche, die sich als "Heiliger" entpuppt, dazu die unheimliche Düsternis des Geländes – das alles sind Motive, die einen magischen Raum schaffen sollen.
Doch David Almonds Finsternis fehlt jene Faszination, die man etwa aus den großartig-existenziellen Romanen von Astrid Lindgren wie "Die Brüder Löwenherz" kennt. Was dort wirklich gestaltet und sichtbar wird, das Böse und Unheimliche, die Angst und auch die Liebe, hier werden sie immer wieder zitiert, aber nicht spürbar.

Sentimentale Gefühle und altkluge Sprüche

Denn Almonds raunende Sprache voller Anspielungen und Andeutungen, seine blutroten Sonnenuntergänge und tiefschwarzen Tiefen, die unzähligen Tränen, die in diesem Roman vergossen werden und die seelischen Schmerzen, die alle Beteiligten peinigen – das wirkt zu pathetisch. Auch Heavens naive Sprache mit ihren albernen Doppelungen ("Solche wunderschön Wunderschönen") und kindlich-hilflosen Verbalkonstruktionen ("Er tut euch lieben und über euch wachen") sind auf Dauer nervig.
Statt eines Geheimnisses bietet dieser Roman Geheimniskrämerei. Er beschwört und behauptet tiefe Bedeutung, ohne sie zu gestalten. Während große Kinderliteratur gerade darum so überzeugt, weil sie Menschen und Konflikte schlicht, klar und eindringlich schildert, taucht David Almond seine Geschichte in sentimentale Gefühle, wispernde Dialoge, altkluge Sprüche und eine süßliche Atmosphäre. Das ist nicht nur schade, sondern bei diesem preisgekrönten Autor auch vollkommen unerwartet!

David Almond: "Heaven"
Aus dem Englischen von Alexandra Ernst
Fischer Verlag, Frankfurt 2017
220 Seiten, 15,00 Euro, ab 10 Jahren

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