Internationaler PEN-Kongress in Bischkek

Schriftsteller gegen Massenüberwachung

Die Überwachungsdrohne der Polizei "md 4-200" wird am Dienstag (30.08.2011) während einer Großübung in Celle bei Demonstranten eingesetzt. Die niedersächsische Bereitschaftspolizei übt in Celle neue Techniken der Beweissicherung und Festnahme. Mehr als 800 Mitwirkende sollen auf einem ehemaligen Kasernengelände Szenen nach einem festen Drehbuch spielen. Die Polizisten werden dabei mit Gewalt und schwer zu kontrollierenden Situationen konfrontiert.
Überwachungsdrohne: Die ausufernde Überwachung, nicht nur in Diktaturen, bereitet den Schriftstellern Sorge. © picture alliance / dpa / Peter Steffen
Josef Haslinger im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 02.10.2014
Beim Internationalen PEN-Kongress in Bischkek war ein zentrales Thema die Massenüberwachung. "Man erwartet von Schriftstellern das freie Wort, man erwartet, dass sie offen sprechen", sagt der Präsident des deutschen PEN-Zentrums, Josef Haslinger.
Liane von Billerbeck: Der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger – Sie kennen bestimmt seine Bücher „Opernball" über einen Anschlag auf den Wiener Opernball, den er aus mehreren Perspektiven erzählt, oder „Phi Phi Island", worin er die Erlebnisse seiner Familie während des Tsunami 2004 thematisiert hat. Haslinger lehrt am Leipziger Literaturinstitut und ist seit 2013 Präsident des deutschen PEN – und als solcher jetzt vom 80. Internationalen PEN-Kongress aus dem kirgisischen Bischkek zugeschaltet. Professor Haslinger, ich grüße Sie, schönen guten Morgen!
Josef Haslinger: Ja, guten Morgen!
von Billerbeck: Der PEN und seine Mitglieder, die haben sich immer engagiert in den Konflikten der Welt. Einer der Konflikte, der beschäftigt uns seit Monaten, das ist der zwischen der Ukraine und Russland. Wie wurde der in Bischkek beim PEN-Kongress diskutiert?
Schriftsteller verurteilen russische Annexion der Krim
Haslinger: Es gab mehrere Veranstaltungen zu diesem Konflikt und da herrscht eigentlich eine klare Meinung vor. Das ist: Diese Annexion der Krim ist absolut nicht akzeptabel. Und da herrscht auch eine klare Meinung vor, was die Ostukraine betrifft, dass Russland hier dahintersteht und dass Russland hier eigentlich eine Expansion plant, die ebenfalls nicht akzeptabel ist. Die Meinung ist, dass Russland auftritt als ein „Verteidiger alter Werte". Russland spielt sich auf gegenüber einem „dekadenten Europa", das dann auch als „Gayropa" denunziert wird, als ein Europa, wo die Lesben und Schwulen gleichsam dominieren, dass Russland die „alten Werte" verteidigt, und als solches ist es bei der eigenen Bevölkerung mit entsprechenden Zensurmaßnahmen auch erfolgreich.
von Billerbeck: Am Montag, habe ich gelesen, hat ja der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow Kritik an den Europäern geübt, weil diese zu schwach seien und die Sanktionen eben nicht gleich, sondern erst in zwei Jahren griffen. Wie haben denn Ihre Kollegen diese Kritik aufgenommen?
Haslinger: Ja, diese Kritik ist eigentlich, man kann sagen, gut aufgenommen worden. Man hat das gut verstanden. Man hat auch hier das Gefühl, dass Putin hier mit den Europäern spielt und dass wahrscheinlich ein stärkeres Entgegentreten sinnvoller gewesen wäre – aber wie? Diese Frage kann dann allerdings keiner beantworten, denn es gibt auch in unseren Reihen niemanden, der zu kriegerischen Maßnahmen aufrufen will.
von Billerbeck: Wenn ich Sie so höre, dann möchte ich mir eigentlich mal vorstellen, wie so ein PEN-Kongress eigentlich abläuft. Das klingt jetzt eben so ein bisschen wie so die Tagung der Vereinten Nationen. Wie ist das, wenn sich da Schriftsteller aus zig Ländern treffen?
Neues PEN-Zentrum in Eritrea
Haslinger: Ja, in gewisser Weise ist es auch so. Ich meine, es ist jetzt dann ... Wir haben ein neues PEN-Zentrum in Äthiopien gestern aufgenommen, nicht in Äthiopien, Entschuldigung, in Eritrea, und in Eritrea herrschen ganz fürchterliche Zustände, und die Schrifsteller kommen aus aller Welt zusammen und sind vor allem befasst jetzt mit Menschenrechtsangelegenheiten und mit der Frage, wie es ihren Kollegen in den jeweiligen Ländern der Welt geht. Und das steht eigentlich im Mittelpunkt, die Freiheit des Wortes: Wo ist sie beschränkt und wo muss man protestieren, wo muss man sich dagegen auflehnen und wo muss man versuchen, Öffentlichkeit herzustellen?
Da gibt es die Dauerbrenner China und Vietnam und den Iran. Im Iran hat sich zwar die Lage nach der neuen Präsidentenwahl 2013 etwas verbessert, es wurden also einige Autoren freigelassen, mittlerweile wurden aber wieder neue verhaftet. Und in aller Welt, dort, wo autoritäre Verhältnisse herrschen, dort kommen vor allem die Blogger jetzt dran, das heißt, die Überwachung des Internets hat an Bedeutung gewonnen...
Auch diese Überwachungsfrage wurde zu einem zentralen Thema. Und hier haben die deutschen Schriftsteller oder hat auch der deutsche PEN Vorarbeit geleistet. Also diese Resolution, Schriftsteller gegen Massenüberwachung, die aus Deutschland kam und die von unabhängigen Schriftstellern zusammen gemacht wurde mit Unterstützung von Nobelpreisträgern, die hat beim internationalen PEN große Beachtung gefunden, und es gab jetzt einen Antrag des amerikanischen PEN, der versucht, also Einfluss zu nehmen auf die eigene Regierung, endlich diese Überwachungsmaßnahmen abzustellen, weil die sind einer Diktatur würdig, aber nicht freien Bürgern in einem freien Staat.
von Billerbeck: Allerdings, wenn wir uns die politische Großwetterlage angucken, also in der Welt und auch zum Beispiel in den USA nach dem 11. September – was kann da Literatur, was können da PEN-Literaten tatsächlich leisten?
Haslinger: Na ja, sie können Öffentlichkeit herstellen, das ist das entscheidende Mittel. Es geht darum, Öffentlichkeit herzustellen, es geht darum, Druck auszuüben ... Das betrifft jetzt nicht unsere Länder, aber dort, wo tatsächlich diktatorische Regime herrschen, dort kriegt die Literatur sofort eine andere Aufgabe. Man erwartet von Schriftstellern das freie Wort, man erwartet, dass sie offen sprechen. Das war in den kommunistischen Regimen nicht anders, als es jetzt etwa im Iran ist oder in bestimmten afrikanischen Staaten.
Hier in Kirgistan gibt es einen Fall, also einen Schriftsteller, der inhaftiert ist, ein Journalist ist es im Grunde genommen, der inhaftiert ist, weil er zu ausführlich über das Verhalten der Polizei während dieser Konflikte vor ein paar Jahren berichtet hat, und der ist jetzt im Gefängnis, und dieser Fall wurde auch zum Beispiel vom PEN-Präsident, also hier dem Landespräsidenten, brav offen angesprochen. Also dieses Öffentlichkeit Herstellen, das Immer-Wieder-Insistieren, das ist das Entscheidende, was man machen kann.
Propaganda gegen "Gayropa"
Es gibt dann noch einen anderen Punkt, der auf die Tagesordnung kam und der immer bedeutender wird: Es gibt bestimmte Länder in Russland, von Russland ging das aus, in dieser Region, dass man sozusagen Propaganda von nicht-heterosexuellen Beziehungen bestraft. Und das ist ein Gummiparagraph. Also da geht es ja ... Was wir unter Propaganda ... Im Grunde, das Reden darüber in jeder Form wird dann unter Strafe gestellt und da kommt es zu Verhaftungen, und da sind natürlich alle, die schreiben, die von der schreibenden Zunft sind, mit betroffen – und das ist ein deutlicher Eingriff in die freie Meinungsäußerung.
Und das wird hier in Kirgistan, da wird ein solches Gesetz vorbereitet. Ein solches Gesetz gibt es auch im Iran. Ein solches Gesetz gibt es in afrikanischen Staaten, etwa in Nigeria, und da muss ... Das sind neue Zensurmaßnahmen – da muss man dagegen auftreten. Und das hat so den Hang, sich zu verbreiten, indem man dieses „Gayropa", so dieses „dekadende Europa" denunziert und dagegen „traditionelle Kulturwerte" wie die traditionellen sexuellen Beziehungen hochhält.
von Billerbeck: Der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger war das vom 80. Kongress des PEN, der internationalen Schriftstellervereinigung, live aus Bischkek, der kirgisischen Hauptstadt. Herr Haslinger, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Haslinger: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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